Ausgabe 6 - 2016
Azubi-Bewerbern mit Wertschätzung begegnen

Die duale Ausbildung hat in Deutschland überzeugte Anhänger. Azubis wissen, was sie an ihrer Ausbildung haben. Bei der Wahl des passenden Betriebs gehen sie durchaus pragmatisch vor, richten den Blick dabei aber auf die Zukunft und möchten, dass die Betriebe ihre Persönlichkeit in den Blick nehmen. Unser Beitrag stellt die zentralen Ergebnisse der jährlich durchgeführten Studie „Azubi-Recruiting Trends“ vor.
Das Bundesbildungsministerium gab Ende April im „Berufsbildungsbericht 2016“ bekannt, dass 41 000 Ausbildungsplätze 2015 nicht besetzt werden konnten – damit ist ein neuer Höchststand bei den nicht besetzten Ausbildungsplätzen erreicht. Im Rahmen der vorgelegten Studie berichten 40,2 Prozent der Ausbildungsbetriebe von unbesetzten Stellen. Die duale Ausbildung steht unter Druck: Immer mehr Eltern empfehlen den Kindern die Wahl des Studiums als „bessere Option“. Kleinere Unternehmen ziehen sich ganz aus der dualen Ausbildung zurück und die großen setzen auf Bachelorabsolventen.
Doch die duale Ausbildung hat in Deutschland überzeugte Anhänger. 90,1 Prozent der befragten Azubis und Azubi-Bewerber stimmen der Aussage „mit einer Ausbildung hat man etwas Handfestes und lernt nicht nur pure Theorie“ zu, 87,7 Prozent halten Ausbildung für „etwas Solides“ und 59,2 Prozent sind der Meinung, mit der Ausbildung „mindestens genauso gut“ wie mit einem Studium für die berufliche Zukunft aufgestellt zu sein. Allerdings heißt das auch, dass mehr als vierzig Prozent nicht der Meinung sind, dass sie mit einer Ausbildung auf die Zukunft genauso gut oder besser vorbereitet sind als mit einem Studium. Aus Sicht vieler Azubis verkauft sich die duale Ausbildung derzeit noch unter Wert. „Die meisten wissen gar nicht, wie vorteilhaft eine Ausbildung gegenüber einem Direkt-nach-der-Schule-Studium ist. Mehr Erfahrung für das spätere Berufsleben sammelt man nirgendwo. Und Studenten weinen hinterher reihenweise über ihre viel zu hohe Qualifikation für viel zu unterfordernde Jobs“, schreibt ein Teilnehmer in einem Kommentar.
Hinzu kommt, dass die meisten befragten Ausbildungsverantwortlichen die Rahmenbedingungen für die duale Ausbildung in ihrem Betrieb deutlich positiv sehen: 65,6 Prozent bewerten die „finanziellen Ressourcen“ als „gut“ oder „sehr gut“, bei den „personellen Ressourcen“ sind es 58,8 Prozent. Die Bedeutung der dualen Ausbildung bei der eigenen Geschäftsleitung schätzen 64,1 Prozent als „hoch oder sehr hoch“ ein.
Prioritäten der Azubis
Worauf legen Azubis im Hinblick auf ihre berufliche Karriere besonderen Wert? Hier kristallisieren sich vor allem drei Kriterien heraus: „eine sinnvolle Tätigkeit auszuüben“ (64,9 Prozent), „Ausgewogenheit zwischen Beruf und Freizeit“ (60,2 Prozent) sowie „immer mehr zu lernen“ (52,2 Prozent). Klassische Karriere-Argumente wie „immer mehr zu verdienen“ (41,5 Prozent) oder „irgendwann Führungskraft zu sein“ (38,2 Prozent) sind für eine größere Minderheit der Zielgruppe von Interesse, haben aber eher den Status eines Hygienefaktors. Den Ausbildungsberuf wählen Azubis vor allem danach aus, ob er zu ihren „Interessen und Fähigkeiten“ passt (Zustimmung von 62,9 Prozent) und „gute Zukunftschancen“ bietet (57,2 Prozent). Für viele sind zudem „Spaß an der Arbeit“ (36,5 Prozent), „Abwechslung“ (35,9 Prozent) und „Verdienstmöglichkeiten“ (35,9 Prozent) interessant.
Bei der Wahl des Ausbildungsbetriebs zeigen sich die Azubis pragmatisch: Bei den Gründen der Wahl des Ausbildungsbetriebs liegen die Kriterien „Nähe zum Wohnort“ und „Jobsicherheit“ weit vorn. Wie die Abbildung 1 zeigt, weichen hier die Priorisierung der Azubis und die Einschätzung der Ausbildungsverantwortlichen zu den Prioritäten ihrer Zielgruppe weit voneinander ab. Stärker eingeschätzt wird von den Ausbildungsverantwortlichen zum Beispiel die Nähe des Wohnorts sowie die Bekanntheit und der Ruf des Ausbildungsbetriebs. Noch deutlich unterschätzt werden die Faktoren „Jobsicherheit“ und „Aufstiegschancen“. Hier könnten leicht Lücken bei den Inhalten in der Azubi-Kommunikation entstehen.
Abbildung 1
Kriterien für die Wahl des Ausbildungsbetriebs

Bei der Frage, welche Kriterien für die Wahl eines Ausbildungsbetriebs wichtig sind, klaffen die Antworten von Azubis und Ausbildungsverantwortlichen an einigen Stellen stark auseinander, beispielsweise bei der Jobsicherheit.
Die Suche nach Ausbildungsplätzen wird persönlicher
Nach Auskunft der Azubis ist der persönliche Rat – zum Beispiel von Freunden und Eltern – aktuell der wichtigste Weg für die Suche nach einem Ausbildungsplatz (siehe Abbildung 2). Klassische Online-Recruiting-Medien wie Jobbörsen oder Azubi-Plattformen sowie die Karriere-Websites der Unternehmen spielen eine Rolle, werden aber im Vergleich als weniger wichtig eingestuft. Wenig überraschend ist, dass nur 13,8 Prozent der internetaffinen Zielgruppe „Printanzeigen“ zur Suche nach einem Ausbildungsplatz nutzen. Offen bleibt, ob Multiplikatoren wie die Eltern der Azubis solche Printanzeigen lesen und hierauf auch Empfehlungen aussprechen. Aus Sicht der Azubis gehören Arbeitgeberbewertungsplattformen wie kununu nicht zur Kategorie der „persönlichen Empfehlung“: Sie werden nur von 14,2 Prozent der Befragten „häufig“ oder „sehr häufig“ genutzt.
Persönlich geht es dagegen in der direkten Ansprache der Zielgruppe zu: Seit einigen Jahren verschwimmen in Deutschland auch im Recruiting die gewohnten Höflichkeitsregeln in der Ansprache. Früher galt als gesetzt: Erwachsene und angehende Erwachsene sind im offiziellen Kontakt zu siezen. Mehr und mehr sind Ausbildungsbetriebe aber dazu übergegangen, ihre Bewerber zu duzen. Von den teilnehmenden Betrieben tun dies aktuell schon 39,5 Prozent. 55,7 Prozent bleiben beim „Sie“, der Rest vermeidet die direkte Ansprache. Und die teilnehmenden Azubis? Das Durchschnittsalter der befragten Azubis und Bewerber liegt bei rund 21 Jahren. Grundsätzlich sind die Befragungsteilnehmer also durchaus im siezfähigen Alter, aber 42,2 Prozent bevorzugen das „Du“ auf Karriere-Websites und in Azubi-Flyern, 36,7 Prozent ist es „egal“ und 21,1 Prozent würden lieber beim formalen „Sie“ bleiben. Trotz dieser rechnerischen Mehrheit für das „Du“ gilt es zu bedenken, dass die Außenkommunikation der Ausbildungsbetriebe ein Spiegel ihrer realen Kultur sein sollte. Unternehmen, die im Alltag ihre Mitarbeiter siezen oder duzen, sollte dies auch bei der Bewerberansprache tun.
Abbildung 2
Kanäle für die Suche nach einem Arbeitsplatz

Der persönliche Rat ist aktuell der wichtigste Weg für die Suche nach einem Ausbildungsplatz. Klassische Online-Recruiting-Medien wie Jobbörsen oder Azubi-Plattformen sowie die Karriere-Websites der Unternehmen spielen eine Rolle, werden aber im Vergleich als weniger wichtig eingestuft.
Persönlichkeit statt Noten
Schon in der 2015er-Ausgabe der Studie Azubi-Recruiting Trends wurde deutlich, dass viele Ausbildungsverantwortliche an der Aussagekraft von Schulnoten für die Auswahl von Azubis zweifeln. Die aktuelle Ausgabe der Studie hat das Thema vertieft. Demnach glauben zwar 58 Prozent der Ausbildungsverantwortlichen, dass Schulnoten im „Großen und Ganzen“ die Leistungsfähigkeit von Azubi-Bewerbern widerspiegeln, aber 42 Prozent tun dies nicht. 52,6 Prozent sind überzeugt, dass Schulnoten viel mit der sozialen Herkunft zu tun haben und 47,6 Prozent machen regelmäßig die Erfahrung, dass die Schulnoten schlechter sind als die „tatsächliche Leistungsfähigkeit der Bewerber“.
Vor diesem Hintergrund und angesichts des sinkenden Angebots an nachrückenden Azubi-Talenten wird seit einigen Jahren die Forderung laut, die Erstauswahl von Azubis nicht mehr an Noten zu orientieren. Wie stehen die befragten Ausbildungsverantwortlichen dazu? Auf die Frage „Testverfahren statt Schulnoten – Können Sie sich ein solches Vorgehen auch für Ihren Auswahlprozess vorstellen?“ antworteten 43,9 Prozent mit „Ja“ oder „eher Ja“, 24,1 Prozent waren unentschieden und 32,0 Prozent votierten mit „Nein“ oder „eher nicht“. Die Meinung der Bewerberzielgruppe fällt hier eindeutiger aus: 59,5 Prozent sind dafür offen, 28 Prozent neutral und 12,5 Prozent dagegen. 88,6 Prozent der Azubis und Azubi-Bewerber fänden es gut, wenn Ausbildungsbetriebe neben Leistungs- auch Persönlichkeitsaspekte testen würden.
Blick der Azubis auf die Integration von Flüchtlingen
Es steckt schon im Namen: Die Studie „Azubi-Recruiting Trends“ geht aktuellen Entwicklungen nach. Daher lag es dieses Mal nahe, die Integration von Flüchtlingen in das System der dualen Ausbildung zu beleuchten, zumal die Ausbildung vielen Experten als wichtigstes Eintrittstor in den Arbeitsmarkt gilt. Einigen Azubis gefiel es nicht, dass „Flüchtlinge“ zum Thema einer Azubi-Recruiting Studie gemacht wurden: „Was zur Hölle soll diese Frage in einer Umfrage zur Ausbildung?“, schrieb ein Teilnehmer. Aber die meisten Azubis haben engagiert geantwortet und in rund 1950 Kommentaren ihre Meinung kundgetan.
Das wichtigste Ergebnis: Auf die Frage „Siehst du Flüchtlinge als mögliche Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt an?“ antworteten 75,1 Prozent der befragten Azubis mit „Nein“ und 24,9 Prozent mit „Ja“. „Was glaubst du, wie eine erfolgreiche Integration von Flüchtlingen erfolgen kann?“ Die (angehenden) Azubis haben hier zum Teil sehr differenziert im angebotenen Freitextfeld die aktuellen Herausforderungen kommentiert. Beeindruckend war dabei die überwältigende Zahl wertschätzender und ausgewogener Kommentare. „Sprache“ war in 43 Prozent der Azubi-Kommentare zu den Flüchtlingen ein Thema: „Gegebenenfalls eine Abendschule, in der Deutschkurse angeboten werden. Zusätzlich bessere psychologische Betreuung für Kriegsflüchtlinge und größere Sozialhilfen. Befestigte Wohnanlagen. Niemand sollte in Deutschland in einem Zelt wohnen müssen.“ Die berufliche Integration spielt ebenfalls eine große Rolle in den Azubi-Überlegungen: „Einbinden in betriebliche Tätigkeiten und Zutrauen von Einzelarbeit, bei Sprachbarrieren eventuell versuchen auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Motivation der Flüchtlinge durch Anerkennung der geleisteten Arbeiten erhöhen, eventuell durch Ausstellung von Zertifikaten/Dokumenten um Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu erhöhen.“ Auf Seiten der Ausbildungsverantwortlichen sehen 90,5 Prozent der Betriebe „Sprache“ als das größte Integrationshemmnis, zum Vergleich: Bei „Rechtsunsicherheit“ sind es 28,1 Prozent. Ausbildungsangebote für Flüchtlinge bieten schon jetzt 16,4 Prozent der befragten Betriebe an.
Azubis zu gewinnen ist People Business
Ausbildungsbetriebe haben es bei den aktuellen Azubis mit einer Zielgruppe zu tun, die vom eingeschlagenen Weg überzeugt ist, manchmal vielleicht überzeugter als so manches ausbildende Unternehmen. Wenn mehr Ausbildungsbetriebe als bislang glaubhaft den Wert ihrer Ausbildung kommunizieren – zum Beispiel in Form von Berichten über erfolgreiche Karriereverläufe ehemaliger Azubis – kann es sukzessiv gelingen, die Wahrnehmung der Attraktivität der dualen Ausbildung zu steigern und sie nicht als gleichartige, aber als gleichwertige Alternative zum Hochschulstudium zu positionieren.
Die Studie zeigt zudem, dass Ausbildungsbetriebe langfristige Perspektiven wie „Jobsicherheit“ und „Aufstiegschancen“, die bei der Wahl der Azubis für einen Ausbildungsbetrieb eine große Rolle spielen, in der Kommunikation nicht unterschätzen sollten. Azubi-Marketing ist außerdem People Business. Stärker als bislang gilt es, den Blick von den „richtigen Kanälen“ auf die Frage zu lenken, welche persönlichen Netzwerke und Empfehlungsmechanismen die Betriebe nutzen können, um die passenden Azubis anzusprechen.
Den Azubis von morgen geht es um ihre Zukunft – und ja, sie sind vielleicht ein bisschen anstrengend. Die Generation erwartet Sinnangebote in Ausbildung und Beruf und die hohe Priorisierung der Work-Life-Balance ist offensichtlich schon bei ihr angekommen, bevor sie die Arbeitswelt richtig betreten und den Begriff zum ersten Mal gehört hat.
Die Azubis von morgen sind zudem selbstbewusst und in den „großen Fragen“ ziemlich reflektiert. Und sie sind unsere Zukunft. Schon allein deshalb gilt es, ihnen mit Wertschätzung zu begegnen und sie als Persönlichkeiten ernst zu nehmen, in der Kommunikation wie im Auswahlprozess. Es lohnt sich, vor diesem Hintergrund die Studie als Spiegel zum Thema duale Ausbildung zu nutzen, eigene Denk- und Handlungsmuster zu reflektieren und gegebenenfalls Anpassungen vorzunehmen.
Autoren
Professor Dr. Christoph Beck, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Human Resource Management, Hochschule Koblenz,
beck@hs-koblenz.de
Felicia Ullrich, Geschäftsführerin, u-form Testsysteme, Solingen,
f.ullrich@testsysteme.de
Studie Azubi-Recruiting Trends 2016
In diesem Jahr haben an der deutschlandweiten Online-Befragung 3343 Azubi-Bewerber und Auszubildende sowie 1295 Ausbildungsverantwortliche teilgenommen. Die regelmäßig vom Ausbildungsspezialisten u-form Testsysteme durchgeführte Studie zum Stand der Dinge im Azubi-Marketing und -Recruiting fand 2016 zum siebten Mal statt. Professor Dr. Christoph Beck (Hochschule Koblenz) hat die Untersuchung wissenschaftlich begleitet, die Berufsorientierungsplattform blicksta hat die Studie als Sourcing-Partner unterstützt. Mit dem Erlös aus dem Verkauf der Studie unterstützt u-form Testsysteme die Initiative „Joblinge“. Bestellung unter: www.testsysteme.de/studie
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