Ausgabe 6 - 2016
Enormes Potenzial zum Dauerstreit

Wissenschaftler, Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Zeitarbeitsverbände diskutierten beim Forum des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg unter anderem über den Status quo des AÜG und komplexe Werkvertragskonstruktionen.
Vertreter der Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände und Branchenverbände der Zeitarbeitsunternehmen, die beim IAB aufeinandertrafen, haben in den vergangenen 15 Monaten „ihre Argumente mit einer auffälligen Schärfe ausgetauscht“, bescheinigt Professor Werner Widuckel den Parteien.
20 Jahre in verschiedenen Betriebsratsfunktionen bei Volkswagen, danach im Vorstand bei Audi für Personal- und Sozialwesen verantwortlich, kennt er beide Seiten der Werkvertragspraxis und interpretiert die Heftigkeit des Streits als Hinweis darauf, dass es beim Werkvertrag nicht nur „um Grundfragen der Mitbestimmung“ geht, sondern „um die Zukunft der industriellen Beziehungen und deren kooperativer Grundlage“. Diese Auseinandersetzung sei keine technische Regelungsfrage, sondern normativer Art und führe nicht nur zu betrieblichen, sondern auch zu gesellschaftlichen Folgen.
Eigentlich wollten die Wissenschaftler und Praktiker beim „5. Interdisziplinären Forum zur Zeitarbeit“ über das neue AÜG und die Werkvertragsregeln diskutieren. Doch die Hängepartie geht weiter. Ob nun der zweite Entwurf aus dem Arbeitsministerium, unter anderem mit einer entschärften Fassung zum Werkvertrag und einer verschärften zu Equal Pay, wie angekündigt vor der Sommerpause verabschiedet wird, bleibt fraglich. In einigen Punkten geht er immer noch über den Koalitionsvertrag hinaus – mit diesem Argument hatte schon die Bundeskanzlerin den ersten und die CSU den zweiten Entwurf gestoppt.
Kontroverse Definition von Missbrauch
Die Positionen der Kontrahenten im Gefecht um den Werkvertrag sind zwar klar abgesteckt und weitere Versuche, den jeweils Andersdenkenden zu überzeugen, werden in Berlin wohl kaum mehr wahrgenommen – mit Ausnahme der Gewerkschafts-Demos „für ein Gesetz gegen den Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen“. Auch wenn einige der vorgestellten Studien durchaus schon bekannt sind, der konträre Richtungsstreit flammt beim Thema Werkvertrag immer wieder auf. IG Metall und DGB stehen weiter für eine strengere Regulierung, sie begrüßen den zweiten Entwurf, der aber „weit hinter den Notwendigkeiten zurückbleibe, einen Missbrauch von Werkverträgen zum Lohndumping zu verhindern“, heißt es bei der IG Metall.
Die Arbeitgeberverbände möchten dagegen am bestehenden Werkvertrag gar nicht herumdoktern und kritisieren den „praxisfremden und hochbürokratischen Entwurf“. „Die Kernstreitfrage zwischen den Gewerkschaften und den Arbeitgeberverbänden lautet nach wie vor: Was ist Missbrauch?“, erinnert der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall Oliver Zander. Und formuliert überspitzt die Haltung der IG-Metall, nach der schon allein Outsourcing zu einem Tarif, der sich nicht innerhalb der Betriebsratsstrukturen der Gewerkschaft bewege, einen Missbrauch darstelle. „Es ist jedoch kein Missbrauch, wenn sich Arbeitgeber an Recht und Gesetz halten und im Rahmen der Gesetze bewegen, das ist legitim.“
Würden Arbeitnehmer im Rahmen von Werkverträgen für ihre Arbeitgeber tätig, gelte das gesamte Arbeits-, Sozialversicherungs- und Tarifrecht, einschließlich der Regelungen des Kündigungsschutzgesetzes, des Betriebsverfassungsgesetzes oder auch des Befristungsrechts. Doch über diesen Punkt streite man sich „zur Freude der Öffentlichkeit seit mehreren Jahren“. Dr. Stefanie Janczyk von der IG Metall hält dagegen, dass nicht alles, was der Rechtsrahmen möglich mache, dem Arbeitsmarkt guttue. Die Gewerkschaft wäge sehr wohl ab, wo der Missbrauch beginne. Nämlich dort, wo die Werkverträge in Kernbereiche dringen und dann noch in großem Ausmaß, deshalb „wünschen wir uns eine stärkere Regulierung“.
Werkvertrag hat Potenzial zum Dauerstreit
Das Kapitel Werkvertrag ist auch deshalb so schwer zu regeln, weil es in heterogenen Formen und Mischformen in Erscheinung tritt. Zudem entspricht das Bild, das der Gesetzgeber von Werkarbeit hat, schon lange nicht mehr der Wirklichkeit, stellen alle Anwesenden übereinstimmend fest – wenn auch aus unterschiedliche Motiven und mit anderen Absichten. Nur die Verkennung der Praxis hat letztlich dazu geführt, dass der Referentenentwurf die falsche Zielgruppe getroffen hat, nämlich die Solo-Selbstständigen, oft im IT- und Medienbereich unterwegs, die nicht als Zeitarbeitnehmer arbeiten wollen, sondern bewusst Dienst- oder Werkverträge abschließen, um ihre Flexibilität zu wahren. Geradezu absurd wäre der Effekt des ersten Referentenentwurfs deshalb geworden, weil Einzelpersonen eine kleine Minderheit der Werkvertragspartner darstellen. Die wirklich problematischen Fälle sehen anders aus.
Nachdem das Arbeitsministerium heftige Kritik von allen Seiten einsteckte, wurde der zweite Referentenentwurf deutlich entschärft. Die neue Vorlage enthält anstelle des umstrittenen Kriterienkatalogs über mögliche Missbrauchstatbestände nur noch eine allgemeine Definition des Arbeitnehmerbegriffs. Außerdem sollen die Betriebsräte lediglich über den Einsatz von Werkvertragsnehmern informiert werden und nicht mehr mitreden können. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser Entwurf zur Gesetzesvorlage wird. Doch der Dauerstreit wird damit nicht beendet sein.
Einflugschneise für den Gesetzgeber
Werkverträge werden überwiegend mit Fremdfirmen geschlossen. Ein problematisches Beispiel: Sogenannte Kontraktlogistikdienstleister übernehmen per Werkvertrag dauerhaft – meistens für mehrere Jahre – Aufträge von Industriebetrieben. Diese umfassen nicht nur logistische Tätigkeiten, sondern auf dem Betriebsgelände des Werkgebers führen die Mitarbeiter des Werknehmers auch Montagetätigkeiten, Qualitätsprüfung zur Vormontage von Rädern, Armaturenbrettern und Achsen durch.
Ein anderes Beispiel für die Komplexität der Werkvertragskonstruktion: Ingenieurdienstleister sind Werknehmer, da sie vom Auftraggeber ein Projekt übernehmen, und sind sie gleichzeitig „Werkgeber“. Als Arbeitgeber könnten sie Arbeitnehmer oder Werkarbeitnehmer beschäftigen, meistens aber Zeitarbeitnehmer. Der Ingenieurdienstleister rechnet beim Auftraggeber nach Stunden ab und nicht nach fertiggestelltem Projekt und umgeht somit rein theoretisch ein entscheidendes Kriterium des Werkvertrags, die erfolgsorientierte Abrechnung der Leistung. Diese Praxis zeigt, dass der Gesetzgeber die Realität schon lange aus dem Auge verloren hat.
Das Gebilde des Werkvertrags bietet eine „ideale Einflugschneise für den Gesetzgeber“, erklärt Professor Werner Widuckel von der Universität Erlangen. „Die juristische Normierung von Werkverträgen ist sehr allgemein und lässt Raum für Grauzonen.“ Er verdeutlicht dies: Unproblematisch sei ein Werkvertrag, dessen Leistungen außerhalb des Betriebsgeländes erbracht werden. Doch Onsite-Werkverträge treten nicht mehr als Einzelerscheinung sondern in Massen auf: So arbeiten Entwicklungsdienstleister, Reinigungs- und Sicherheitsdienste, Kantinenbetriebe und logistische Dienstleister auf dem Betriebsgelände. Das Fremdunternehmen könne dabei entweder mit Werk- oder Zeitarbeitnehmern arbeiten oder beauftrage Subunternehmer, für die wiederum das Gleiche gelte. Beim Gang über große Werksgelände lässt sich schon lange nicht mehr auseinanderhalten, welche Person vom Drittunternehmen kommt und mit welcher Form von Arbeitsvertrag ausgestattet ist. Spielt sich alles noch in der Grauzone ab oder schon im roten, gesetzeswidrigen Bereich?
Erfordert Arbeit 4.0 neuen Ordnungsrahmen?
Können die Ordnungsprinzipien der industriellen Beziehungen noch gelten, fragt Werner Widuckel angesichts dieser Komplexität. Ist der Betrieb als geschlossener sozialer Ordnungsraum für die Regulierung von Arbeitsbedingungen und der Tarifvertrag als übergreifender vereinheitlichender Ordnungsrahmen noch tauglich? Er wünscht sich, dass „die Auseinandersetzung um Werkverträge auch als Chance einer erforderlichen grundlegenden Debatte genutzt wird, die durch die Digitalisierung der Arbeit erforderlich wird“, eine Debatte über die Prinzipien Arbeitszeit, Betrieb, Wert und Organisation der Arbeit sowie Mitbestimmung und Partizipation. Dieser Ansatz hilft aber nicht weiter, um die aktuellen arbeitspolitischen Fragen und den Missbrauch in der Praxis des Werkvertrags zu beantworten. So gibt knapp die Hälfte von 96 Managern an, in deren Betrieb Onsite-Werkvertragsarbeitskräfte tätig sind, dass diese auch von Führungskräften ihres eigenen Betriebs angewiesen und kontrolliert würden (siehe Abbildung, Studie Professor Markus Hertwig von der Universität Chemnitz). Auch lassen Firmen die eigenen Arbeitskräfte und die des Werkunternehmens an den gleichen Bändern arbeiten.
Abbildung
Onsite-Werkvertragsarbeitskräfte werden angewiesen und kontrolliert durch …

Knapp die Hälfte von 96 Managern, in deren Betrieb Onsite-Werkvertragsarbeitskräfte tätig sind, gibt an, dass diese auch von Führungskräften ihres eigenen Betriebs angewiesen und kontrolliert würden.
Zwar sind diese Verträge rechtlich unangreifbar gestaltet, zeigen aber Nebenwirkungen: Die Löhne in Werkunternehmen, so Hertwig, seien „im Durchschnitt niedriger und auch die Stammbeschäftigten der Werkbesteller geraten durch die Zunahme kostenmotivierter Personalstrategien oder die Androhung von Outsourcing unter Druck“.
Unabhängig davon, mit welchen Inhalten der Referentenentwurf im Sommer zum Gesetz wird: Das Thema Werkvertrag wird weiter bei den Arbeitsgerichten landen, die ständig mit der Trennung von Eingriffen des Werkbestellers beim Werkarbeitnehmer beschäftigt sind.
Autorin
Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz
Nach Redaktionsschluss einigte sich die Koalition auf neue Regeln:
Die ursprünglichen Vorschläge von Kriterien für das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses beziehungsweise eines Werkvertrags werden nicht weiter verfolgt. Für Zeitarbeitnehmer gilt die gesetzliche Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten, allerdings sind davon Kundenunternehmen ausgenommen, in denen ein Tarifvertrag gilt. Auch nicht tarifgebundene Unternehmen sollen von der tariflichen Öffnungsklausel Gebrauch machen können. Die Branchenzuschlagstarifverträge bleiben unangetastet. Weiter offen ist, welche Kriterien zur Berechnung des Equal Pay herangezogen werden und ob die Arbeitgeber der Zeitarbeitsverbände selbst eigene Tarifvereinbarungen zur Höchstüberlassungsdauer treffen können.
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