Ausgabe 6 - 2016
Gastgeber mit Herz und Seele gesucht

Die Belegschaft der Soulmade Derag Livinghotels setzt sich aus Experten aus dem Hotelfach und Quereinsteigern zusammen.
Wer unkonventionelle Stellenanzeigen schaltet, bekommt unkonventionelle Bewerbungen. Genau das war das Ziel der Derag Livinghotels mit ihrem Next-Generation-Mitarbeiterkonzept. Quereinsteiger mit einem Herz für Gäste sollen so die Chance auf einen Einstieg in die Hotelbranche bekommen. Dieses Konzept ist voll und ganz aufgegangen.
Vor dem Fachkräftemangel in Deutschland warnte das Institut der deutschen Wirtschaft in Köln bereits 2009. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag prognostizierte 2010, dass bis 2015 circa 50 Prozent der Unternehmen einen Mangel an qualifizierten Arbeitnehmern erwarten würden. Und schon seit Jahren beklagen und referieren Topmanager über das Thema auf den Fachkonferenzen der Hotellerie- und Gastronomiebranche. Die Problemlösungen? Die bewegen sich bislang eher auf Symptom-Ebene.
„Mit der Thematik Fachkräftemangel sind wir innerhalb der Hotellerie schon seit Längerem konfrontiert“, so Max Schlereth, Inhaber Derag Livinghotels. „Da uns die Vergangenheit jedoch gezeigt hat, dass alle bisherigen Ansätze innerhalb unserer Branche nicht von Erfolg gekrönt waren, weil sie nicht an der Ursache ansetzen, haben wir für diese gewichtige Thematik ein Projektteam etabliert. Mit dem Auftrag und Ziel, sich gedanklich völlig zu öffnen, um einerseits in Zukunft die Attraktivität unserer Branche für Arbeitnehmer wieder zu steigern und um andererseits den eigenen Mitarbeiter wesentlich mehr in den Fokus zu stellen. Denn der Mitarbeiter per se ist der Erfolgsgarant für eine erfolgreich agierende Hotellerie und bei aller fortschreitenden Technologisierung kann das Menschsein schlicht nicht ersetzt werden.“
Auch Quereinsteiger werden angesprochen
Aus dem Prozess, den das Münchner Unternehmen – Pionier auf dem deutschsprachigen Segment der Serviced Apartments und seit 35 Jahren am Markt – hierfür vor zweieinhalb Jahren aufgesetzt hat, resultiert das „Derag Livinghotels Next-Generation-Mitarbeiterkonzept“. Ein ganzheitliches Programm, welches erstmals für das neueste Haus des Konzepts „Soulmade by Derag Livinghotels“ in Garching und das ebenfalls neue Objekt in Frankfurt umgesetzt wird.
Die Kernsäule des neuen Personalkonzepts besteht darin, festgefahrene Normen fallen zu lassen, sämtliche gelernten und jahrelang gelebten Mitarbeiterprozesse en detail zu hinterfragen und zu vereinfachen, mit dem Ziel, das Menschsein in den Fokus des Hotelgeschehens zu stellen. Die Rolle jedes einzelnen Mitarbeiters wird so definiert, dass er sich auch als Person in seinem Tun wiederfindet und am Arbeitsplatz wie in seinen eigenen vier Privat- oder Geschäftswänden agiert: herzlich, authentisch, individuell, flexibel und intuitiv-souverän. Keine steifen, auswendig gelernten Formulierungsparolen, keine künstliche Fassade aufgrund von vorgegebener Corporate Policy, sondern jedem einzelnen Gast gegenüber als echter Gastgeber aufzutreten, weil jeder Mitarbeiter das Haus schlichtweg als „Meins“ betrachtet. Derag Livinghotels stellt mit dieser Herangehensweise den Mitarbeiter ins Zentrum, macht ihn quasi zum Botschafter der Marke Derag Livinghotels sowie des jeweiligen Hauses und darüber hinaus von sich selbst, weil er sich unverfälscht darstellen kann und sogar soll. Durch die daraus resultierende wachsende Zufriedenheit, die gestiegene Wertschätzung und ein höheres Maß an Selbstbestimmtheit erhöht sich konsequenterweise und im nächsten Schritt auch der Mehrwert für den Gast, da die Rolle des Gastgebers – die Herzstück-Aufgabe eines Hotels – zielgenauer umgesetzt und für den Gast spürbar erlebbarer gemacht wird.
Unkonventionelle Stellenausschreibungen …
Konsequenterweise beinhaltet dieser Schritt für Derag Livinghotels auch eine andere, erweiterte Form der Mitarbeiteransprache und -akquise. „Unsere (Hotellerie-)Welt ist derzeit derart im Wandel begriffen, die Anfragen unserer Gäste werden immer vielfältiger und individueller, dass wir klassisches Hotellerie-Gedankengut ganz wertfrei auf den Prüfstand gestellt und bewusst hinterfragt haben, ob eine klassische Hotelfach-Ausbildung allein die heutige Gäste- und Kundenvielfalt mit den dazugehörenden Aufgaben, Wünschen und Erfordernissen abbildet. Dabei sind wir zu dem Schluss gekommen, dass wir heutzutage auch Mitarbeiter und Charaktertypen für uns gewinnen wollen, die nicht zwingend in unserer Branche gelernt haben, die aber die Rolle des Gastgebers aufgrund ihrer Offenheit, Kommunikationsstärke und Begeisterungsfähigkeit erfüllen und mit den Kollegen gemeinsam einen unverwechselbaren Spirit vermitteln. Kurzum, wir wollen und werden künftig Quereinsteiger und Vollprofis bei uns beschäftigen und genau so formulieren wir das auch. Durch unsere neue Herangehensweise an Stellenbeschreibungen und -ausschreibungen sprechen wir sowohl Hotelfachschüler, Mitarbeiter aus der Sterne-Hotellerie als auch Hotel-Neulinge an und stellen erfreulicherweise fest, dass sich alle drei Gruppen unisono derzeit mit Kusshand bei uns bewerben und zwar mit einer vielfältigen, enorm hohen Ausbildung, Qualifikation und Bereitschaft, neue Wege einzuschlagen“, erklärt Ole Kloth, Director of Development, der den Mitarbeiterprozess von Anfang an begleitet und mitentwickelt hat, diese erstmalig gewählte Form der etwas anderen Stellenausschreibungsansprache selbst ausformuliert und gemeinsam mit einem Gremium aus insgesamt drei Personen auch die Auswahl der neuen Mitarbeiter vorgenommen hat. Eingestellt wurden die Anzeigen für die zu vergebenden Stellen auf Hotelcareer inklusive deren Kooperationspartnern, bei der Agentur für Arbeit und deren weiterführenden Kanälen sowie auf der hauseigenen Derag-Livinghotels Homepage.
… führen zu unkonventionellen Bewerbungen
Gesucht wurden künftige Mitarbeiter durch ganz persönliche Ansprachen in großer Bandbreite von „Ein bisschen verliebt … Wenn wir es schaffen, dass Sie sich ein bisschen in den Job verlieben, werden sich auch unsere Gäste in das Hotel verlieben … denn unsere Livinghotels sind keine anonymen Schlaffabriken, sondern Häuser mit Zuhause-Gefühl …“ über „Von uns gibt es flexible Arbeitszeitgestaltung und Verständnis, wenn der Nachwuchs mal krank ist …“ bis hin zu „Sie wundern sich, warum hier keiner nach Ihrer beruflichen Qualifikation für die Stelle als (Energie-)Anlagentechniker fragt? Uns ist wichtig, dass Sie McGyver sind und dass Sie problemlos von Plan A auf Plan B wechseln und immer noch ein Lächeln für den Gast haben, wenn Sie merken, dass Plan B auch nicht funktioniert.“
Dass bei dieser unkonventionellen Form der Stellenbeschreibung potenzielle Bewerber zuweilen zweimal hinsehen mussten, daran erinnert sich die 24-jährige Scarlett Ködding, die sich gegen Ende 2015 direkt per Videobotschaft von ihrem Auslandsjahr in Australien bewarb und seit Beginn diesen Jahres nun die Stelle der stellvertretenden General Managerin im Soulmade by Derag Livinghotels verantwortet: „Den Satz ‚Viele sagen, sie wollen etwas verändern. Wir sind einer davon, aber wir meinen es tatsächlich auch so‘ fand ich einfach cool. Der ganze Anzeigentext zeigte, dass man sich tatsächlich um den Faktor ‚Mitarbeiter‘ kümmert. Ich hatte schon länger vor, mich einmal per Video vorzustellen. Bislang hatte mich aber noch keine Anzeige dazu gebracht, dass es sich lohnen würde – bis ich eben die Soulmade-Annonce las. Und dass ich von meinen jetzigen Chefs dann auch per Videoantwort das Feedback bekommen habe, war für mich einfach der Wahnsinn.“
Ebenso ging es ihrem Kollegen Oliver Reckzeh, der von einer anderen Bewerberin auf die Ausschreibung aufmerksam gemacht wurde, sich sogleich via Mail mit dem Betreff „kompetent, charmant und unglaublich interessiert“ samt kleinem Feature auf „About me“ bewarb und als Assistant to General Manager engagiert wurde: „Ich hatte schon öfter mit der Idee einer komplett anderen Bewerbung gespielt, die nicht so steif oder klassisch ist. Aber leider sitzen in den Personalbüros oft noch Menschen, die nicht offen für anderes sind. Umso mehr hab ich mich gefreut, jetzt Teil von etwas Besonderem zu sein.“
Dass für diesen neuen, besonderen Weg nicht nur auf Bewerberseite sondern auch hausintern ein Stück weit Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, ist nicht von der Hand zu weisen, so Albert Dander, Vorstand des Hauses, der den Bereich Personal verantwortet: „Anfangs stand die Personalabteilung dem Konzeptansatz durchaus abwartend und etwas verhalten gegenüber, weil er so gänzlich anders war und man damit nur wenige Erwartungen verbinden konnte. Nachdem aber der Zulauf auf unsere Annoncen von Bewerberseite derart groß und qualitativ hochwertig war, ist schnell klar gewesen, wie berechtigt diese neue Herangehensweise doch ist und dass es sich definitiv lohnt, auch in diesem bis dato sehr klassisch geprägten Segment mit der Zeit zu gehen.“
Inhouse-Kaderschmiede
Dieser neuartige Ansatz im Segment der Mitarbeitersuche von Seiten des Münchner Unternehmens erforderte zudem auch eine Weiterentwicklung im Feld der gewachsenen Strukturen, weg von Schubladendenken und klassischem Abteilungsleiter-Gefüge, hin zu einer Öffnung der Arbeitsplatzbeschreibung. Das Ziel war eine Spielwiese für die Mitarbeiter, die künftig in einem verschlankten Team mit einer ungefähren Größe von 20 agierenden Personen pro Haus auf den drei Ebenen General Manager, Assistant to General Manager und Host eingesetzt werden. Der Host, circa zehn bis zwölf pro Hotel, stellt künftig die Essenz, das Gesicht des jeweiligen Hauses dar, kümmert sich auf Face-to-Face- und Alles-aus-einer-Hand-Ebene um sämtliche Gästeanliegen auf der neugeschaffenen Living-Room-Fläche (Lobby-Bereich), angefangen von der Begrüßung des Gastes über den individuellen Check bis hin zum Service im Food- und Barbereich. Die Hosts sind der erste und letzte Eindruck für den Gast, fungieren als Aushängeschild und Visitenkarte des Hauses – und genau darum sollen sie spürbar, nahbar und vor allem authentisch sein, steht und fällt mit ihnen doch das Menscheln vor Ort.
Über ihnen stehen die sogenannten Assistants to General Manager (Ass. GM), deren Kernaufgabe darin besteht, den Hosts zur Seite zu stehen, sie zu motivieren, sie auszubilden sowie ihnen jederzeit den Rücken freizuhalten. Ihre Tätigkeitsschwerpunkte liegen im Guest Management, Floorbereich und Food & Barbereich. Diese zweite Ebene, besetzt mit je drei Mitarbeitern pro Haus, rotiert im Tertial, verfolgt während des jeweiligen Moduls eigene und vorgegebene Ziele und nimmt die Übergaben der drei Schwerpunkte selbstständig vor – Feedback-Gespräche am runden Tisch inklusive.
Diese regelmäßige Form des Sich-Hinterfragens und der Qualitätssicherung bewirkt eine kontinuierliche Verbesserung und Weiterentwicklung des Konzeptes, gibt den Derag Livinghotels die Möglichkeit der Weiterentwicklung und Ausbildung der General Manager der Zukunft und natürlich dem General Manager selbst die Gewissheit, in seiner Rolle als Hauptverantwortlicher regelmäßig einen Komplettüberblick über alle Abteilungen erhalten und die Prozesse überprüfen zu können.
Durch diese innovativ-unkonventionelle Konzeption, die die Prozesse vereinfacht und sowohl transparenter als auch erlebbarer macht, will Derag Livinghotels eine Inhouse-Kaderschmiede für künftige Häuser installieren, die eigenen Führungskräfte von morgen heute intern ausbilden und dadurch der hohen Fluktuation in der Branche und somit dem vorherrschenden Fachkräftemangel entgegenwirken.
Mut hat sich bewährt
Ob und wie das neue Konzept ankommt? Dazu Max Schlereth: „Das Feedback ist ausnahmslos positiv. Angesichts der Bewerbungen, die wir in den letzten Wochen in vielfältigster Form ins Haus bekommen haben, sind wir bestärkt, dass es hier einen Freiraum mit jeder Menge Potenzial gibt und Menschen, die nur darauf warten, sich anders, und zwar individuell, präsentieren zu können. Uns erreichen unkonventionelle, mutige, moderne Bewerbungen, unglaublich sympathische Vorstellungen, selbst produzierte Videos mit viel Inhalt und Herz, aufwendig gestaltete Collagen mit echter Inhaltstiefe und Botschaft und natürlich auch klassische Bewerbungen von Kandidaten. Wir bei Derag Livinghotels sind uns absolut bewusst, dass wir mit unserem Next-Generation-Mitarbeiterkonzept auch Neuland betreten und es sicher die ein und andere Stellschraube geben wird, an der wir optimieren werden müssen, aber fest steht für uns auch, dass sich viele eventuell künftige und zahlreiche jetzt schon angestellte Mitarbeiter auf eine klassische Stellenbeschreibung unsererseits sicher nicht beworben hätten.“
Autorin
Alexandra Ecker, freie Redakteurin, München
Personalwirtschaft
Einige Stellenausschreibungen der Derag Livinghotels sowie die Bewerbungen von Oliver Reckzeh und Scarlett Ködding finden Sie auf www.pwgo.de/downloads unter „Downloads zum Heft“.
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