Ausgabe 6 - 2016
Unternehmenskulturwandel: schnell und nachhaltig

Mittelmanager gelten oftmals als Bremser in Veränderungsprozessen. Die Bayerische Hausbau zeigt, dass sie auch Prozessbeschleuniger sein können – etwa beim Kulturwandel.
Im Jahr 2010 bündelte die damalige Bayerische Bau und Immobilien Gruppe ihre Aktivitäten und tritt seitdem unter der gemeinsamen Dachmarke Bayerische Hausbau auf. Mit der Umfirmierung ging die Einführung einer neuen Organisationsstruktur sowie einer klaren Zuordnung der Geschäftsaktivitäten zu den einzelnen Gesellschaften einher, was unmittelbare Auswirkungen auf die Prozesse und Kommunikation der neu geschaffenen Dachmarke hatte.
Neben organisationalen Veränderungsmaßnahmen beschloss die Geschäftsführung daher, mithilfe eines Beratungsunternehmens ein Kulturentwicklungsprojekt aufzusetzen. Der Geschäftsführung war bewusst, welchen enormen Einfluss Organisationskulturen auf den Erfolg von Change-Maßnahmen haben. Die überwiegende Zahl solcher Projekte scheitert erfahrungsgemäß, wenn die aktuelle Kultur unberücksichtigt bleibt. Schließlich ist eine Organisationskultur ein stets wirkender Faktor, auch bei Mergern und Fusionen, in Wachstumsphasen, bei Veränderungsvorhaben und neuen Strategien.
Systematische Kulturveränderung
Das Projekt basierte auf einem systematischen Kulturveränderungsmodell (Abbildung 1, Seite 46). Zunächst erfolgte eine Erhebung, was die Mitarbeiter unter Unternehmenskultur verstehen, wie sie diese aktuell erleben und was hinsichtlich der Firmenkultur wünschenswert wäre. Dazu führten die Berater teilstrukturierte Interviews mit Vertretern aller Ebenen sowie mit dem Betriebsrat und externen Kennern des Unternehmens, um den Kultur-Status-quo zu erfassen. Anschließend wurden mit dem Topmanagement eine Kulturvision und ein kultureller Leitsatz entwickelt. Dieser Leitsatz lautete: „Durch eine Leistungs- und Erfolgskultur, gelebt in respektvollem Miteinander, Offenheit, Klarheit, Förderung und Anerkennung, steht die Bayerische Hausbau für hervorragende Produkte und zufriedene Kunden.“ Gemeinsam mit den Führungskräften wurden die Bedeutung und die Umsetzbarkeit dieses Leitsatzes diskutiert.
Eine erste Mitarbeiterbefragung diente dann dazu zu ermitteln, in welchem Maße die einzelnen Aspekte dieses Leitsatzes bereits Teil des Betriebsalltags waren. Die Ergebnisse wurden mit den definierten Zielen des Change-Vorhabens abgeglichen. Dann wurden die erforderlichen Maßnahmen bestimmt. Den Entscheidungsträgern war beispielsweise klar, dass es neben einer neuen strategischen Ausrichtung auch veränderter Strukturen und Prozessketten sowie einer neuen Form von Entscheiden, Führen und Zusammenarbeit bedurfte, um dauerhaft im Markt erfolgreich sein zu können. Daher sollte das obere und mittlere Management mehr Verantwortung übertragen bekommen, und auch die bereichsübergreifende Zusammenarbeit galt es zu verbessern, um für die Kunden beste Produkte und Dienstleistungen entwickeln zu können. Mitarbeiterversammlungen dienten dazu, die Belegschaft unter anderem über die Projektfortschritte und die nächsten Maßnahmen zu informieren.
Mittelmanager als Prozessbeschleuniger
Die Berater achteten darauf, dass die Themen Kultur- und Führungsentwicklung nicht voneinander getrennt wurden, sondern stets die jeweiligen Einflüsse bearbeitet wurden. Denn Kultur ist nichts, was losgelöst von anderen unternehmerischen Aktivitäten stattfindet. Alles Handeln ist immer auch kulturelles Handeln. Den Führungskräften muss klar werden, dass Kultur nichts ist, um das man sich kümmert, wenn gerade Zeit dafür da ist, sondern dass sich die Unternehmenskultur in allem Handeln offenbart.
Im nächsten Schritt wurden die Führungskräfte, insbesondere die Mittelmanager, weiterqualifiziert. In ihrer Dissertation (Fast Culture Change) belegt die Mitautorin dieses Artikels, dass – neben der Geschäftsführung – vor allem das mittlere Management eine Schlüsselrolle innehat, wie bei allen strategischen Veränderungen. Daher wurde das Mittelmanagement systematisch in den Wandlungsprozess einbezogen: als Implementer, Syntheziser, Champion und Facilitator (Abbildung 2, Seite 47).
Dieser Vertrauensvorschuss durch die Geschäftsführung zahlte sich aus. Denn oftmals werden Mittelmanager als Verhinderer wahrgenommen, da sie bei Veränderungen um ihre Interessen fürchten. Sie können jedoch auch – wie bei der Bayerischen Hausbau geschehen – zu Gestaltern des Wandels werden und ein Veränderungsvorhaben maßgeblich zum Erfolg führen. Ihr besonderer Einfluss ergibt sich aus ihrer Position, die es ihnen ermöglicht, Veränderungsinitiativen zu unterstützen oder zu verzögern, Informationen weiterzugeben oder zu manipulieren. Entscheidend ist es daher, diese wichtige Gruppe zu gewinnen und so zu entwickeln, dass sie den Kulturwandel mit forcieren.
Abbildung 1
Das Kulturveränderungsmodell im Überblick

Das Projekt zur Kulturentwicklung wurde in drei systematischen Stufen umgesetzt.
Mehr Entscheidungsbefugnisse
Natürlich mussten dazu die Rahmenbedingungen angepasst werden. Daher übertrug die Geschäftsführung dem mittleren und dem oberen Management umfassende Entscheidungsbefugnisse, um selbstverantwortliches Führen und Entscheiden sowie kontroverse Diskussionen bereichs- und hierarchieübergreifend zu ermöglichen. Dafür war es erforderlich, insbesondere die Führungsfähigkeiten des Mittelmanagements zu entwickeln und im Rahmen von Workshops einen intensiven Austausch zwischen allen Managementebenen zu unterstützen. Auch die Auseinandersetzung mit dem kulturellen Bewusstsein stand auf der Agenda.
Diese Entwicklungsarbeit und neue Entscheidungsspielräume bereicherten und motivierten die Führungskräfte. Denn während sie – begründet durch die alte Unternehmenskultur – vorher nur selten wichtige Entscheidungen treffen durften und sich nach oben absicherten, wurden die Mittelmanager sukzessive zu offen diskutierenden, selbstständig handelnden Akteuren, die in ihren Bereichen Aktivitäten und Ideen entwickelten, die ihr Unternehmen nach vorne brachten. Wenn die Übernahme von Entscheidungen mal zu einem Fehler führte, sollte dies nicht mit einem Entzug des Vertrauens geahndet werden. Im Gegenteil, es galt, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen.
Anders als in anderen Unternehmen wurde das Mittelmanagement somit nicht in seinen Einflussmöglichkeiten und Fähigkeiten unterschätzt und als Hemmschuh betrachtet. Vielmehr wurde es gezielt entwickelt und gestärkt. Dass die Geschäftsführung immer wieder Zeichen des Vertrauens „von oben“ sendete und dass auch jungen Mitarbeitern etwas zugetraut wurde, war auch wichtig.
Fortschritte messen
Lange galt, dass es sieben bis 30 Jahre dauern kann, bis sich eine Unternehmenskultur ausreichend tief und nachhaltig verändert. Inzwischen ist wissenschaftlich belegt, dass dies bereits in deutlich kürzerer Zeit möglich ist. Ein merklicher und messbarer Kulturwandel bei der Bayerischen Hausbau vollzog sich in nur zwei Jahren. Das bestätigen die durchgeführten Erhebungen. Wichtig dabei: Die Messmethoden waren individuell auf das Unternehmen zugeschnitten und folgten keiner standardisierten Typologie, die Entwicklungen wurden regelmäßig mithilfe quantitativer Befragungen gemessen. Diese Befragungen basierten stets auf den unternehmensspezifischen Anforderungen und dem kulturellen Leitsatz. Neben den quantitativen Befragungen wurden teilstrukturierte Interviews mit Führungskräften verschiedener Ebenen durchgeführt. Außerdem flossen Erkenntnisse aus Prozessbeobachtungen in die Bewertung ein. Basierend auf den Ergebnissen und Erfahrungen bei der Bayerischen Hausbau wurde später ein Messinstrument entwickelt, das in Organisationen eingesetzt werden kann. Dieses Messinstrument, der sogenannte Lateral Culture Index, erfüllt wissenschaftliche Kriterien. Es misst den Status der lateralen Kultur im Unternehmen und eignet sich auch als Monitoring-Instrument für Veränderungsprozesse. Erhoben werden die Faktoren: Führen auf Augenhöhe, Ideenkultur und Offenheit für Verbesserungen/Neuheiten, Handlungsspielraum und Entscheidungsfreiheit (Organisational), Eigenverantwortung und Selbstständigkeit (Personal), Flexibilität und Abwechslungsreichtum, Beschwerdekultur und Transparenz der Ziele.
Die zu Projektbeginn durchgeführte Einschätzung des Kulturstatus wurde zu verschiedenen Messzeitpunkten wiederholt, ebenso die Mitarbeiterbefragung. Dadurch konnten Fortschritte und damit der Erfolg des Projektes nachgewiesen werden.
Laterales Führen
Im Februar 2016, fünf Jahre nach Abschluss des Kulturprojekts, wurde erneut in qualitativen Interviews nach den (kulturellen) Veränderungen im Projektzeitraum und den heute gelebten kulturellen Verhaltensweisen gefragt. Dabei zeigte sich, dass – trotz weiterer struktureller Veränderungen – die neue Kultur gelebt wird. Die Führungskräfte und Mitarbeiter haben nach wie vor Raum für eigene Entscheidungen. Auch die damals angestrebten Werte werden gelebt. Führungskräfte wie Mitarbeiter haben das Vertrauen der Geschäftsleitung.
Während früher Informationen per Flurfunk verbreitet wurden, stehen Führungskräfte und Vorgesetzte jetzt in einem viel persönlicheren Austausch. Im Rahmen eines Workshops mit Teilnehmern unterschiedlicher Ebenen – vom Youngster, der gerade die Ausbildung beendet hatte, bis hin zum Geschäftsführer – konnte festgestellt werden, dass hierarchische Abstufungen kein Hinderungsgrund für eine tiefe, umfassende und kontroverse Diskussion sind. Im Unternehmen wird heute lateral, das heißt „auf Augenhöhe“, geführt und miteinander gearbeitet. All dies zeigt: Die während des zweijährigen Projekts gelegten Grundlagen gelten noch heute. Führen, Entscheiden und Zusammenarbeit haben sich nachhaltig verändert und helfen dabei, die neuen Strukturen und Prozesse mit Leben zu füllen. Das hohe Maß an Selbstverantwortung motiviert die Mitarbeiter und fördert ihre Einsatzbereitschaft. Die Leistungsträger und hoch qualifizierten Mitarbeiter identifizieren sich mit ihrem Arbeitgeber und entwickeln ihre Kompetenzen stetig weiter. Der gesamte Veränderungs- und Kulturwandlungsprozess war wichtig für den Erfolg des Unternehmens, was nicht zuletzt die guten Wirtschaftsergebnisse belegen.
Natürlich ist darauf zu achten, dass kein Rückfall in alte Gewohnheiten erfolgt. Um das zu verhindern, sollte das Kulturbewusstsein nicht wieder in der Schublade verschwinden, sondern regelmäßig in Meetings aufgegriffen und reflektiert werden. Gegebenenfalls sind neue Aktivitäten zu planen.
Abbildung 2
Rollen und Rahmenbedingungen der Mittelmanager

Die Mittelmanager nehmen vier unterschiedliche Rollen im Prozess ein.
Erfolgsfaktoren des Kulturwandels
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Die Geschäftsführung hat dem mittleren und dem oberen Management im Rahmen des Kulturveränderungsprozesses umfassende Entscheidungsbefugnisse übertragen.
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Durch den Wandel der Unternehmenskultur wurden selbstverantwortliches Führen und Entscheiden sowie kontroverse Diskussionen bereichs- und hierarchieübergreifend möglich.
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Alle Managementebenen – insbesondere das Mittelmanagement – wurden aktiv eingebunden und qualifiziert.
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Eine konstruktive Fehlerkultur entstand: Fehler wurden nicht mit einem Vertrauensentzug geahndet, stattdessen wurden gemeinsame Lösungen gesucht.
Von den Autoren dieses Beitrags ist kürzlich erschienen:
„Laterales Management – Das Erfolgsprinzip für Unternehmen im digitalen Zeitalter“, Springer Fachmedien, Wiesbaden, 2016
Autoren
Dr. Martina Nieswandt, Geschäftsführerin, Denkwerkstatt für Manager, Mannheim,
info@denkwerkstattmanager.de
Dr. Roland Geschwill, Geschäftsführer, Denkwerkstatt für Manager, Mannheim,
info@denkwerkstattmanager.de
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