Ausgabe 6 - 2017
Digitalisierung bleibt häufig Zukunftsmusik

Wie bilden sich Personaler weiter? Am liebsten lernen sie analog und im persönlichen Austausch im Kollegenkreis. HR-Strategie, Führung und Change sind die wichtigsten Themen. Derweil kommt Bewegung in die Weiterbildungsformate.
Von Winfried Gertz
Wer nicht lernt und sich weiterentwickelt, hört auf zu leben – davon ist Joachim Schledt überzeugt. „Mit mir selbst ginge ich hart ins Gericht, würde ich meine Weiterbildung vernachlässigen“, betont der Personalleiter der Biomarktkette Alnatura mit Sitz im hessischen Bickenbach. Um diesen Wissensdurst zu stillen, liest Schledt, in dessen Bereich knapp 50 Mitarbeiter tätig sind, zunächst HR-Fachzeitschriften und -Blogs. Drei oder vier Stunden kommen dafür pro Monat zusammen.

Joachim Schledt,
Personalleiter, Alnatura
Am liebsten sucht Schledt jedoch den Kontakt zu anderen HR-Kollegen, um sich auszutauschen und fachlich auf dem Laufenden zu halten. Darin stimmt er mit Renate Helbig überein. Seit zwanzig Jahren führt sie den Personalbereich der Maas & Roos AG in Hilpoltstein. Der Fertigungsbetrieb ist auf Lichtwerbung und LED-Produkte spezialisiert. Während Schledt HR-Strategie und Organisationsentwicklung als Themen in der Weiterbildung favorisiert, konzentriert sich Helbig primär aufs Arbeits- und Sozialversicherungsrecht. Sechsmal pro Jahr trifft sie sich mit Kollegen im Personalleiterkreis der RKW-Mittelstandsvereinigung. „Wenn ein pensionierter Richter praxisnah die neuesten Urteile erläutert und wir uns untereinander über Relevanz und Erfahrungen in den Betrieben austauschen“, beschreibt sie den Nutzen, „hat das einen hohen Effekt auf meine eigene Tätigkeit.“
Anders als Schledt, der sich selbst nicht als „digitalen Lerntyp“ bezeichnet, frischt Helbig ihr Wissen regelmäßig durch Webinare auf. „Kurz und bündig“ sollten sie sein. Der Vorteil: Man müsse sich nicht vom Arbeitsplatz entfernen und könne die Einheit jederzeit unterbrechen. Freilich empfehlen sich Webinare laut Helbig vornehmlich für „weniger komplexe Themen“. Gehe es beispielsweise um Pfändungsrecht oder Zwangsvollstreckung, hält sie Face-to-face-Seminare „eindeutig für die bessere Wahl“.
Digitalisierung – nur ein Hype?
Wer sich eingehender mit der Weiterbildung von Personalern befasst, stößt in eine klaffende Lücke vor. Denn über die inhaltlichen und methodischen Vorlieben derjenigen, die im Schaltzentrum der betrieblichen Personalentwicklung weitreichende Entscheidungen treffen, ist wenig bekannt. Etwas Substanz lieferten jüngst die an der Hochschule Osnabrück und der Universität Münster forschenden Psychologen Uwe Kanning und Meinald Thielsch in einer Stichprobe unter knapp 200 Personalern. Dies vorweg: Ihre Ergebnisse decken sich zum großen Teil mit den Angaben der HR-Praktiker Schledt und Helbig.
Weiterbildung macht sich demnach im HR-Berufsalltag eindrucksvoll bezahlt: Während ihnen das durch Berufserfahrung erworbene Wissen am meisten hilft, greifen Personaler immerhin bei einem Viertel ihrer täglichen Aufgaben auf Weiterbildungsinhalte zurück. Am meisten Zeit, rund zehn Stunden monatlich, investieren sie in Fachlektüre. Fünf Stunden erübrigen sie für den Besuch von Weiterbildungsveranstaltungen, auch digitalen Formaten. Das am stärksten nachgefragte Thema ist HR-Strategie mit rund zwei Drittel aller Nennungen. Mit Abstand folgen Führung, Kommunikation und Konfliktmanagement.
Unter den favorisierten Inhalten fallen Big Data, HR Analytics oder Agilität zurück. Empirisch schlägt sich – die Studie datiert allerdings von 2015 – der Rummel um das Thema Digitalisierung bisher also nicht deutlich in der HR-Weiterbildung nieder. „Für meine persönliche Weiterbildung ist es überhaupt nicht relevant“, sagt Schledt. Ebenso wenig gelte dies für Alnaturas HR, zumal Gehaltsabrechnung oder Personalakte längst digitalisiert seien. Die Technik müsse dem Menschen dienen und nicht umgekehrt, betont der Personalexperte. „Der Hype um die Digitalisierung wird sich bald legen.“
Unter den favorisierten Inhalten fallen Big Data, HR Analytics oder Agilität zurück.
Change Management und Blended Learning
Oder ist es nur eine Frage der Zeit, bis die in seltener Eintracht von Politik und Wirtschaft beschworene Transformation auch zahlenmäßig ihren Ausdruck in der HR-Weiterbildung findet? Erste Anzeichen dafür müssten sich in den einschlägigen Bildungsinstituten finden lassen, die sich ausschließlich oder zumindest in nennenswertem Umfang an die HR Community richten: etwa bei der DGFP, der Haufe Akademie (HRspezifische Weiterbildungen), dem Tüv Süd oder der Studiengemeinschaft Darmstadt (SGD) (Weiterbildungen für unterschiedlichste Funktionsbereiche).
Beginnen wir bei jenen Instituten, die sich zwar nicht ausschließlich an HR richten, aber ein stattliches und zugleich wachsendes Weiterbildungsangebot für Personaler offerieren. Die meisten HR-Kurse der Tüv Süd Akademie zielen auf die Stärkung des Business Partners ab. Er müsse unternehmerisch denken, als Berater von Geschäftsführung und Führungskräften agieren und Veränderungen begleiten können, erläutert Erich Hildenbrand, Leiter der Business Unit Corporate Solutions. Rang zwei belegen dort Seminare zum Qualitätsmanagement. „Dessen Relevanz entdecken immer mehr Personaler für ihre Arbeit“, so Hildenbrand. Würde man allein die Nachfrage zusammenfassen, sei das Thema Change für Personaler eindeutig am wichtigsten. Diesem Nachfragetrend begegnet auch die Studiengemeinschaft Darmstadt. Das Kursangebot im Change Management richtet sich primär an Personaler mit akademischer Bildung. Laut Volker Hedderich, Leiter des Fachbereichs Wirtschaft, sind die Teilnehmer primär Kaufleute oder Experten für Personalentwicklung und in Konzernen tätig. Grundsätzlich lässt sich die SGD-Kundschaft in zwei Gruppen einteilen: Während Quereinsteiger in ihrem neuen Berufsfeld bisher unbekannte Aufgaben bewältigen müssten, habe die andere Gruppe den personalwirtschaftlichen Beruf „von der Pike auf“ erlernt. „Sie benötigen zusätzliche Kompetenzen, etwa um Mitarbeiter durch Veränderungsprozesse zu führen“, so Hedderich.

Erich Hildenbrand,
Geschäftsfeldleiter Mitarbeiterakademie, Tüv Süd
Leitlinie für den konzeptionellen Ausbau des SGD-Kursangebots ist die fortschreitende Akademisierung von HR. Während sich die Rolle des Personalers laut Hedderich weiter differenziere und das Berufsbild durch steigende Anforderungen charakterisiert sei, „verfolgen Kursteilnehmer mit ihrer Weiterbildung entweder Karrieremotive – wie etwa einen beruflichen Aufstieg oder mehr Gehalt – oder sie wollen sich in einem zunehmenden Verdrängungswettbewerb absichern“.
Beide Institute haben das Thema Digitalisierung noch nicht in neue Weiterbildungsangebote für Personaler umgemünzt. Zumindest methodisch sind erste digitale Ansätze erkennbar. E-Learnings etwa dienen der Vor- und Nachbereitung von Präsenzseminaren. Für den „schnellen Informationsbedarf“, so Tüv-Manager Hildenbrand, gebe es Webinare. Anders beim Fernlerninstitut SGD mit seinem Mix aus Selbststudium, Online-Begleitung und Präsenzseminar: Durch dieses Blended-Learning-Konzept, betont Hedderich, „stärken Teilnehmer ihre digitale Medienkompetenz“.
Neue Führung und Gesellschaftspolitik
Richten wir den Blick nun auf die HR Think Tanks. Welche Inhalte treiben sie voran, gibt es methodische Experimente, gar Innovationen? Beginnen wir bei der DGFP. Neben den einschlägigen Ausbildungen und Professionalisierungsprogrammen sind Themen wie Arbeitsrecht, Personalauswahl und Führung laut Geschäftsführerin Katharina Heuer „unverändert stark nachgefragt“. Auf die Digitalisierung angesprochen erwartet sie nicht, dass das Thema in der HR-Weiterbildung „alles Bisherige in den Schatten stellen“ werde. Jeder Personaler benötige zunächst ein fundiertes HR-Know-how in Arbeitsrecht, Eignungsdiagnostik und HR-Kennzahlen, nicht zuletzt „ein gutes Verständnis vom Business und eine Zugewandtheit zu Menschen“. Nur so könne sich HR auch sinnvoll für Digitalisierungsthemen einsetzen und sie vorantreiben.

Katharina Heuer,
Geschäftsführerin, DGFP
Während für Heuer die Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten rund um die Digitalisierung angesichts konkreter Herausforderungen „noch größer sein könnte“, scheint man bei der Haufe Akademie einen Schritt weiter zu sein. „Zugpferd der HR-Weiterbildung ist eindeutig die Digitalisierung“, betont Geschäftsführer Holger Schmenger. Seit sie in Unternehmen zur Chefsache erklärt worden sei, habe sie technische und personalwirtschaftliche Relevanz. Personaler wollten erfahren, wie die Unternehmenskultur sich durch Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 verändere.
Sattelfest sollten Personaler zunächst aber in Kommunikation und Change Management sein. Sonst könne die Digitalisierung nicht realisiert werden. „Priorität hat die Umsetzung von Projekten, nicht aber die Mitnahme der Beteiligten.“ Schmengers Prognose: Sobald der Hype um die Digitalisierung abklinge, werde die Nachfrage nach Weiterbildungsangeboten über neue Arbeitsbeziehungen und Führungskonzepte sowie unternehmenskulturelle wie gesellschaftspolitische Fragen merklich anziehen.
Klassisch-frontale Seminarformate sind auf dem Rückzug.
Apps, MOOCs und Learning Journeys
Interessant ist, welche Prioritäten beide Anbieter bei ihren Vermittlungsmethoden setzen. Unter dem Label Best Blend können bei der Haufe Akademie Präsenzseminare, Webinare mit tutorieller Begleitung und E-Learning zweckmäßig kombiniert werden. Wer ein klassisches Seminar besucht, kann zusätzlich ein passendes E-Learning oder Transfer-Coaching hinzubuchen. Schmenger ist überzeugt, dass klassische Präsenzseminare künftig als Blended-Learning-Kombination, und zwar über alle Themenbereiche hinweg, darstellbar sind. „Darauf stellen wir uns ein, indem wir sukzessive alle 800 Weiterbildungsangebote anpassen.“ Ähnliche Akzente setzt die DGFP: weg von der klassischen Präsenzweiterbildung hin zu digitalen und Blended-Learning-Angeboten. Apps, MOOCs oder auch Virtual-Reality-Formate stünden vor der Erprobung. Besonderes Gewicht legt die DGFP aber auf kompakte, interaktive Formate wie Praxiswerkstätten, Kompetenzforen oder Labs. „Personaler wollen von anderen lernen“, erläutert Geschäftsführerin Heuer und bestätigt damit die Präferenzen der HR-Praktiker Schledt und Helbig.
„Sie wollen ihre Herausforderungen und Themen in der Gruppe teilen, von den Erfahrungen anderer profitieren und gemeinsam zu praktikablen Lösungen finden.“ Dieses Bedürfnis werde zunehmend in sogenannten Lernreisen oder „Learning Journeys“ aufgegriffen und in ersten Projekten umgesetzt. So hat die DGFP die Ausbildung zum Personalentwickler komplett in eine Learning Journey umgewandelt, was Heuer zufolge auf hohe Resonanz trifft.
Das Potenzial scheint immens, wie Stefan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist von Haufe Umantis, erläutert. Noch immer seien viele Personaler der Annahme, „nur weil ihnen jemand auf einer Konferenz etwas über die Digitalisierung oder Transformation erzählt, würden sie es schon verstehen“. Tatsächlich gelinge der Zugang „erst durchs Erleben“. Nur so könne man den Wissensinput auch umsetzen. Der Lernerfolg von Lernreisen, beruft sich Grabmeier auf Bildungsexperten, liege deutlich höher als bei anderen Formaten. „Ohne solche Bausteine funktioniert die künftige Arbeitswelt nicht mehr.“

Stefan Grabmeier, Chief Innovation Evangelist, Haufe Umantis
Klärungsbedarf beim Datenschutz
Zu ergänzen wäre: auch nicht ohne Datenschutz. Denn hier gibt es offenkundig stattlichen Nachholbedarf. Wie eine gemeinsame Studie des IT-Branchenverbands Bitkom und Kienbaum von 2016 herausfand, artikuliert sich in der HR-Community ein großes Bedürfnis nach gezielter Weiterbildung. Das Problem: Die Mehrheit derjenigen Personaler, die bereits Initiative ergriffen haben, kritisieren empfindliche Qualitätsmängel im Weiterbildungsangebot. Lediglich 45 Prozent der Befragten bestätigen, dass die Schulungen ihnen Handlungssicherheit vermittelt hätten.
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