Ausgabe 6 - 2017
Beim Abschied Zeichen setzen

Die Nachricht vom Tod eines Kollegen löst oft ein Gefühl der Hilflosigkeit aus. Für den Umgang mit betroffenen Mitarbeitern und Angehörigen gibt es kein Patentrezept, doch ein kompetenter Krisenmanager ist eine wichtige Stütze. Ein Job für HR.
Von Annette Neumann
Nach einem Workshop erfährt Sabine Riemann (Name geändert) vom Tod ihrer Vorgesetzten, die am Tag zuvor an den Folgen eines Autounfalls während einer Dienstreise gestorben ist. Riemann, stellvertretende Vertriebsleiterin eines Pharmaunternehmens, fühlt sich der Ohnmacht nahe und verlässt den Tagungsraum in Trance. Auch ihre Kollegen sind schockiert und fühlen sich hilflos. Zwei Tage später wird sie in das Büro des Personalchefs gebeten. Nach einer kurzen Beileidsbekundung bekommt sie das Angebot, die Leiterin der Abteilung zu werden. Beförderung? Den Platz ihrer allerseits geschätzten Chefin einnehmen? Sie hat Schuldgefühle und ist mit der Situation überfordert.
„Nach dem Trauerereignis kann man nicht sofort wieder funktionieren. Trauer ist ein Prozess, der durchlebt werden muss.“
Heike von der Fecht, Inhaberin, Trauerakademie Berlin-Brandenburg
Solch eine Erfahrung ist leider keine Ausnahme. Verstirbt ein nahestehender Mitarbeiter, wird erwartet, dass man mit dem Verlust allein fertig wird. „In der deutschen Arbeitswelt gibt es die unausgesprochene Erwartungshaltung, dass starke Gefühle Privatsache sind, die es während des Arbeitsalltags ‚herunterzuregeln‘ gilt. Trauer zu zeigen, wird von vielen Arbeitgebern als störend oder unprofessionell empfunden“, sagt Adelheid Reik, die als Trauerexpertin Unternehmen berät. Auch Heike von der Fecht, Inhaberin der Trauerakademie Berlin-Brandenburg, hat die Erfahrung gemacht, dass sich Arbeitsgeber oftmals für die Situation trauernder Mitarbeiter nicht zuständig fühlen: „Ab dem zweiten Tag nach dem Trauerereignis hat man bitte schön zu funktionieren und wieder zur Tagesordnung zurückzukehren. Das geht aber nicht, denn Trauer ist ein Prozess, der vom Trauernden durchlebt werden muss.“
Business as usual macht Betroffene krank
Laut statistischem Bundesamt versterben in Deutschland jährlich rund 850 000 Menschen, davon rund 140 000 im berufsfähigen Alter. Unzählige Angehörige, Freunde und Kollegen trauern um sie. Wenn das Unternehmen im Betriebsalltag nach kurzer Schonfrist nach dem Prinzip „business as usual“ verfährt und die Trauer am Arbeitsplatz keinen Ausdruck finden darf, verlängert sich der Trauerprozess, was zu Präsentismus, krankheitsbedingten Ausfällen oder gar zu Kündigungen führen kann. Trauerexpertin Reik weiß aus Erfahrung, dass neben den persönlichen Folgen für Trauernde eine nicht zugelassene Trauer zu psychischen Erkrankungen führen kann: „Burn-out oder Depressionen sind häufige Folgeerscheinungen einer schweren persönlichen Krise.“
Zwar ist laut der Experten das Ausmaß der individuellen Beeinträchtigung noch nicht ausreichend erforscht. Doch es ist davon auszugehen, dass sich eine nicht gelungene Trauerarbeit auf das Leistungsvermögen und die Produktivität eines Mitarbeiters negativ auswirken kann. „Wichtig ist, mit den trauernden Mitarbeitern Gespräche zu führen, welche Aufgaben sie sich unmittelbar nach dem Erlebnis zutrauen und welche besser vorübergehend andere übernehmen sollten. Wird das versäumt, gefährdet man möglicherweise Projektziele oder andere Zielvereinbarungen“, ist Reik überzeugt. In solchen Fällen kann Trauer zu Produktivitätsverlusten und einem damit verbundenen finanziellen Schaden führen.
„Nach dem Verlust eines nahestehenden Menschen geraten viele in einen Gefühlstornado. Wichtig ist dann die authentische Anteilnahme der anderen.“
Adelheid Reik, Trauerexpertin
Personalverantwortliche als Prozesslenker gefragt
Karin Wurth, Krisen- und Trennungsexpertin, hat oftmals erlebt, dass Personalverantwortliche und Führungskräfte zu wenig auf die Trauersituation im Unternehmen vorbereitet sind. Auch weil es dafür keinen vorgefertigten Prozess gibt: „Viele erleben die Situation als emotional unberechenbar, weil sie zum Beispiel nicht wissen, wie einzelne Mitarbeiter reagieren, oder weil sie unsicher sind, welche Art der Behandlung sich der Einzelne wünscht.“ In der akuten Phase kurz nach dem Tod eines Teammitglieds sei es wichtig, Arbeitslast und Arbeitszeit so zu regeln, dass die Betroffenen nicht überfordert werden. (Konkrete Beispiele für einen gelungenen Umgang mit der Trauer finden Sie im Infokasten „Trauermaßnahmen“.)
Ein professioneller Umgang mit Trauer beinhaltet, individuelle Lösungen zu finden. Hier ist der Personalverantwortliche gefragt, der sich nicht scheuen sollte, den Prozess in die Hand zu nehmen und bedarfsgerechte Maßnahmen zu organisieren: „Der Umgang mit dem Tod ist sehr individuell. Entsprechend muss er gehandhabt werden“, sagt Wurth. „Sind die einen nicht in der Lage, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren, und brauchen eine mehrtägige Auszeit, sind andere froh, wenn sie sich durch die Arbeit ablenken können.“
Zwei Tage Sonderurlaub reichen nicht
Wichtig wäre aus ihrer Sicht, dass sich HR mit dem Betriebsrat möglichst schnell und informell darüber abstimmt, welche rechtlichen Möglichkeiten es zur Entlastung betroffener Mitarbeiter gibt. Zwar sind die Unternehmen verpflichtet, zwei Tage Sonderurlaub im Fall des Todes eines nahestehenden Familienangehörigen (erster Verwandtschaftsgrad) zu gewähren, doch reicht dies meistens gerade einmal dafür aus, die Bestattungsmodalitäten zu regeln. Um den Mitarbeitern darüber hinaus Hilfe anzubieten und gleichzeitig den Betrieb am Laufen zu halten, kommen weitere Ad-hoc-Lösungen in Betracht, zum Beispiel die Verschiebung von Geschäftsreisen, eine vorübergehende Teilzeit oder unbezahlte Urlaubstage. In schwerwiegenderen Fällen bieten sich auch Wiedereingliederungsprogramme an, die nach einem mehrwöchigen Ausfall die schrittweise Rückkehr ermöglichen. Die Trauerexperten sind sich einig: Personalverantwortliche sind als interne Berater gefragt, die bei Todesfällen eine wichtige Verbindungsrolle zwischen Führungskräften und betroffenen Mitarbeitern innehaben. Die Infobox „Begleitung durch die Krise“ zeigt, wie HR Führungskräfte und Mitarbeiter unterstützen kann.
Externe Trauerbegleiter sollten möglichst nicht erst dann in Aktion treten, wenn der Notfall bereits eingetreten ist. Besser ist es, wenn die Trauerarbeit und die Unterstützung durch professionelle Begleiter Bestandteil eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements sind. Dazu gehört, präventiv ein Kommunikationskonzept für den Krisenfall zu erarbeiten. „Das Thema Kommunikation wird in vielen Unternehmen stiefmütterlich behandelt. Und wenn informiert wird, dann oftmals auf unpersönliche Weise“, sagt Karin Wurth. So komme es selbst in kleinen Unternehmen vor, dass die Todesnachricht in Form einer nüchternen E-Mail übermittelt wird. Im Fall, dass Geschäftspartner des verstorbenen Mitarbeiters informiert werden müssen, sei eine schriftliche Mitteilung möglich. Doch wenn es nahestehende Teamkollegen betrifft, komme man nicht umhin, sie persönlich zu informieren und ihnen Anteilnahme auszusprechen. Bleibt diese Art der Kommunikation und des Mitgefühls aus, kann das zu Irritationen innerhalb des Teams bis hin zur inneren Abkehr vom Unternehmen führen, sind sich die Experten einig.
„Als Profis mit kühlem Kopf sollten Personaler den Abschiedsprozess organisieren.“
Karin Wurth, Trauer- und Krisenexpertin
Die richtigen Worte finden
Unternehmen setzen ein wichtiges Signal, wenn sie den Betroffenen Zeit für den Abschied geben und Orte des gemeinsamen Trauerns unterstützen. Wichtig wäre es, dem betroffenen Team zu ermöglichen, zusammen zur Beerdigung zu gehen. Auch wäre es angemessen, für verstorbene Mitarbeiter eine Gedenkfeier zu veranstalten. Personaler können sich hier einbringen, indem sie auf die Geschäftsführung zugehen und anregen, ein paar Worte an die Belegschaft zu richten und sich wertschätzend über den verstorbenen Mitarbeiter zu äußern: „Die richtigen Worte zu finden, hat eine starke Wirkung auf die Mitarbeiter und signalisiert ihnen, dass auch sie als Menschen und nicht nur als schnell ersetzbare Inhaber einer Stelle wahrgenommen werden“, ist Wurth überzeugt. „Und für die Unternehmen ist es eine Chance, die eigene Unternehmenskultur sichtbar zu machen.“
Rituale können helfen
Zu einem Abschiedsprozess gehört auch, auf die Leistung des Verstorbenen und gemeinsame Erfolge des Teams zurückzublicken. „Das hilft den Kollegen, die Trauer zu bewältigen, schweißt das Team zusammen und stärkt die Loyalität zum Unternehmen“, sagt Heike von der Fecht. Mitarbeiter, denen der Umgang mit Trauer schwerfällt, könnten zum Beispiel auf einer Kondolenzkarte Abschiedsworte an den Verstorbenen richten oder einen Nachruf für das Mitarbeiterportal verfassen. Für die kollektive Anteilnahme bieten sich auch Rituale an, wie zum Beispiel ein informeller Gesprächskreis im Rahmen eines Wochenmeetings. Ein Foto des Verstorbenen oder eine Wandtafel mit Abschiedsworten an einer zentralen Stelle im Unternehmen halten die Erinnerung aufrecht. Solche Rituale können den nahestehenden Mitarbeitern helfen, schneller wieder in den Arbeitsalltag zurückzufinden.
Beispiele für angemessene Trauermaßnahmen
(1) Zeit spenden: Als der Betriebsrat eines Automobilunternehmens von der todkranken Tochter eines Mitarbeiters hört, fragt er, was dieser am dringendsten benötigt. Der Vater äußert den Wunsch, eine Auszeit nehmen zu können. Der Personalleiter ruft alle Mitarbeiter dazu auf, jeweils von ihrem Überstundenkonto „Zeit“ zu spenden; seine Abteilung kümmert sich um die logistische Organisation. Es kommen so viele Stunden zusammen, dass der betroffene Vater sechs Monate bei seiner Tochter zuhause bleiben kann. (2) Teilnahme an der Beerdigung ermöglichen: Der Personalleiter einer mittelständischen Unternehmensgruppe in der Dentaltechnik verstirbt kurz vor Beginn seines Ruhestandes. Er hatte den größten Teil der Belegschaft eingestellt. Der Firmenspitze ist es deshalb wichtig, jedem Mitarbeiter die Möglichkeit zu geben, an der Beerdigung teilzunehmen. Der Betrieb verschickt Listen zum Eintragen und organisiert Zubringerbusse vom Werksgelände. |
Begleitung durch die Krise
Der Umgang mit dem Tod eines Mitarbeiters erfordert Empathie und ein sensibles Vorgehen. Wie HR den Abschiedsprozess professionell steuern kann:
Quelle: Karin Wurth, Beraterin für Organisationsentwicklung, 2017 |
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