Ausgabe 6 - 2017
Deutschland als Ruhepol in unruhigen Zeiten

Politik und Mitarbeitermotivation hängen enger zusammen, als es mancher Personaler glauben mag. Eine aktuelle Studie zeigt auf, was Front National, Brexit und Donald Trump mit HR zu tun haben.
Von Sven Frost
Die Welt (zumindest der gemäßigte Teil) atmet auf: Frankreich hat sich bei der Präsidentschaftswahl gegen Extremismus und für Europa entschieden. Der Brexit ist nach dem ersten Schock eine akzeptierte Tatsache, und auch der vielfach dämonisierte US-Präsident Donald Trump hat sich bislang eher durch Dilettantismus als durch Katastrophenpolitik hervorgetan. Dennoch: Politische Trends verunsichern (auch) Beschäftigte – mit Folgen für die Mitarbeitermotivation.
Wachsende nationalistische Bewegungen verunsichern die Mitarbeiter. Sie befürchten negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Zum ersten Mal seit 2012 ist deren Niveau nämlich gesunken. Das zeigt die aktuelle Studie „Trends in Global Employee Engagement 2017“ von Aon Hewitt. So fiel der sogenannte Engagement-Level der Mitarbeiter vom vorläufigen Spitzenwert 65 Prozent im Jahr 2015 auf 63 Prozent in 2016. Weniger als ein Viertel (24 Prozent) ist hochgradig engagiert, 39 Prozent bringen sich eher moderat ein. Die jährlich durchgeführte Studie basiert auf Angaben von fünf Millionen Beschäftigten in mehr als 1000 Unternehmen weltweit. Es werden Faktoren wie Leistungsförderung, Karrieremöglichkeiten, Anerkennung, Arbeitsmittel und Ressourcen sowie die Bewertung des Topmanagements untersucht.
„Die wachsenden nationalistischen Bewegungen in den USA, in Großbritannien und anderen Ländern verunsichern die Mitarbeiter, die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt befürchten“, erklärt Stefan Mauersberger, Leiter Talent Practice Central Europe bei Aon Hewitt. Viele Menschen glauben, dass eine vermehrte Abschottung den freien Verkehr zwischen den Ländern einschränkt, die wirtschaftlichen Voraussetzungen verschlechtert und letztlich ihren Arbeitsplatz gefährden könnte. „Das Engagement der Mitarbeiter sinkt, und wir erwarten, dass sich dieser Trend fortsetzen wird“, führt Mauersberger aus.
Dazu kommen die rapiden Veränderungen durch die Digitalisierung, die zunehmend Einfluss gewinnt. Jenseits der Politik sind es nämlich Technologien, die vor einigen Jahren noch wie Science Fiction erschienen – etwa Chatbots, selbstfahrende Autos, Drohnen –, die Mitarbeiter verunsichern. Die Technik tritt mehr und mehr in direkte Konkurrenz mit menschlichen Mitarbeitern. Dies stellt Führungskräfte aller Ebenen (speziell Personaler) vor völlig neue Herausforderungen.
Abbildung 1
Mitarbeitermotivation weltweit seit 2011

Stichwort Führung: Bereits 2015 hat Oracle eine europaweite Studie zum Thema Mitarbeitermotivation veröffentlicht. Allerdings war der Ansatz hier ein anderer als bei Aon Hewitt: „Die Simply Talent-Studie stellte generell fest, dass es eine ganz klare Diskrepanz gibt zwischen dem, was Mitarbeiter sich von ihrem Arbeitgeber wünschen, und was das Management und andere wichtige Stakeholder derzeit leisten. Das passt allerdings auch ins Bild der Aon-Hewitt-Studie: Führungskräfte sind offenbar vielfach nicht in der Lage, ihre Mitarbeiter in – sei es wirtschaftlich, sei es politisch – schwierigen Zeiten adäquat zu führen.
Abbildung 2
Index Mitarbeitermotivation

Deutschland in Europa am stabilsten
Der Negativtrend ist laut Studie in den verschiedenen Regionen der Welt unterschiedlich ausgeprägt. In Europa liegt die Kennzahl für die Mitarbeitermotivation traditionell am niedrigsten. Hier verringerte sie sich im Schnitt um zwei Punkte auf 58 Prozent. Die Verbesserungen aus dem vergangenen Jahr wurden damit wieder aufgezehrt. In den zehn größten Wirtschaftsnationen der EU sank die Motivation der Mitarbeiter durchweg oder verblieb auf niedrigem Niveau.
Die Verschlechterung ist offenbar eine erste Folge des Brexit-Votums. Frankreich und Italien verzeichneten mit einem Minus von sieben Prozent die größten Einbußen, gefolgt von Spanien und den Niederlanden mit einem Minus von fünf Prozent. In Deutschland gab das Engagement der Mitarbeiter lediglich um einen Prozentpunkt nach. Interessant hierbei: In Großbritannien hat sich die Mitarbeitermotivation im vergangenen Jahr verbessert. „Deutschland ist die Insel der Stabilität in Europa“, sagt Stefan Mauersberger. „Bei uns bleibt das Niveau fast gleich, während es in anderen Ländern sinkt. Wir sind der Ruhepol in unruhiger Landschaft.“ Diese Beobachtung hat auch das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) gemacht: Die meisten deutschen Unternehmen sehen den Brexit gelassen, hat das IW im Rahmen einer Befragung von 2900 Firmen im Oktober und November 2016 ermittelt. Das wirkt sich offensichtlich auch auf die Mitarbeiter aus.
Ein überraschendes Bild ergibt sich in der Türkei: Trotz Putschversuch, Flüchtlingskrise und der restriktiven Politik von Präsident Erdogan wuchs die dortige Wirtschaft um 2,5 Prozent, und auch die Mitarbeitermotivation erhöhte sich von 51 auf 56 Prozent. Die Studie lässt allerdings offen, welche Gründe das hat.
Asien verliert, Südamerika gewinnt
Am stärksten sank das Engagement-Level der Mitarbeiter in Asien. Es fiel von 65 Prozent in 2015 auf 62 Prozent in 2016. Der größte Zuwachs fand in Lateinamerika statt, das Niveau der Mitarbeitermotivation stieg von 72 Prozent in 2015 auf 75 Prozent in 2016. Der Zuwachs war zwar nicht in allen Ländern gleich, dennoch liegen alle Länder der Region über dem globalen Durchschnitt. Ebenso Afrika: Auch hier trotzte die Entwicklung dem globalen Trend, das Engagement-Level stieg von 59 (2015) auf 61 (2016) Prozent. In Nordamerika verschlechterte sich die Mitarbeitermotivation nur geringfügig, von 65 Prozent in 2015 auf 64 Prozent in 2016.
Weniger als ein Viertel ist hochgradig engagiert, 39 Prozent bringen sich eher moderat ein.
Chancen zur Verbesserung der Mitarbeitermotivation
Dabei zahlen sich Investitionen in die Mitarbeitermotivation offenbar aus. Laut Aon-Hewitt-Studie führt eine Zunahme der Mitarbeitermotivation um fünf Prozent zu einer Umsatzsteigerung von drei Prozent im folgenden Jahr. Wenn das Engagement der Mitarbeiter nachlässt, ist mit höherer Fluktuation, steigender Krankheitsrate und geringerer Kundenzufriedenheit zu rechnen. All dies wirkt sich negativ auf die Geschäftsentwicklung aus.
Stellschrauben, mit denen sich die Mitarbeitermotivation in unsicheren Zeiten verbessern lässt, gibt es mehrere. Erheblichen Einfluss auf die Motivation hat beispielsweise das Vertrauen der Mitarbeiter in das Topmanagement, so die Studie. Wird den Führungskräften an der Spitze zugetraut, zukunftsorientierte Entscheidungen zu treffen, steigt das Engagement. Geeignete Führungskräfte, die Mitarbeiter richtig anleiten und Unternehmen auf den Wachstumspfad bringen, seien ein wichtiges Asset in diesen Zeiten der schnellen Veränderungen.
Gefragt ist bei den Mitarbeitern zudem eine partnerschaftliche, unterstützende Rolle ihrer Vorgesetzten – gerade in Zeiten des digitalen und politischen Wandels. Doch dies kommt offenbar vielerorts zu kurz: Laut der „Simply Talent“-Studie von Oracle müssen vier von zehn Mitarbeitern stets selbst mit Problemen auf ihren Arbeitgeber zugehen. Lediglich 32 Prozent der deutschen Studienteilnehmer fühlen sich von ihren Arbeitgebern verstanden und in ihrer Individualität akzeptiert. Mehr als die Hälfte kritisieren Stil und Form der Rückmeldung ihrer Vorgesetzten. Nur jeder Zehnte (elf Prozent) wird regelmäßig von seinem Arbeitgeber zu seiner Befindlichkeit befragt (einmal im Monat oder häufiger).
Abgesehen von diesen „weichen“ Faktoren lässt sich die Motivation auch ganz pragmatisch verbessern. Programme zur Belohnung und Anerkennung stehen zum Beispiel bei den Mitarbeitern ganz oben. Faire Anreizprogramme werden geschätzt und können so eine wichtige Rolle dabei spielen, die Mitarbeitermotivation zu verbessern.
Schaffen es Führungskräfte allerdings nicht, Mitarbeiter in Zeiten des digitalen und politischen Wandels entsprechend „abzuholen“, dürfte die Mitarbeitermotivation weiter zurückgehen, befürchten die Macher der Aon-Hewitt-Studie.
Wenn das Engagement nachlässt, ist mit höherer Fluktuation und geringerer Kundenzufriedenheit zu rechnen.
Abbildung 3
Das Aon-Hewitt-Engagement-Modell

Die Studie „Trends in Global Employee Engagement 2017“ von Aon Hewitt steht als Download zurVerfügung unter www.aon.com/engagement17
Die Studie
Aon Hewitt misst jährlich die Mitarbeitermotivation auf Grundlage der Daten von weltweit rund 1000 Unternehmen. Dazu wurden 2015 und 2016 die Aussagen von etwa fünf Millionen Angestellten ausgewertet. Die Unternehmen kommen aus circa 60 Industriezweigen. Vertreten sind ebenso Mittelständler mit weniger als 100 Mitarbeitern wie auch komplexe Organisationen mit hunderttausend Mitarbeitern. |
Definition Employee Engagement
Das Konzept des Employee Engagements ist nicht gleichzusetzen mit„Zufriedenheit“ oder „Glück“. Aon Hewitt definiert den Begriff vielmehr als das Maß dessen, was Mitarbeiter psychisch in ihr Unternehmen investieren. Abgefragt werden hierzu, ob sich die Angestellten positiv über ihr Unternehmen äußern, ob sie planen, dort weiter zu Topmanagement sowie ihre Bereitschaft, ihr Bestes zu geben, um ihrem Arbeitgeber zum wirtschaftlichen Erfolg zu verhelfen. |
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