Keine Angst vor Konfrontationen
Sich nicht ducken, sondern konstruktiv an Problemen arbeiten – so sollten eigentlich innerbetriebliche Konflikte angegangen werden. Doch das ist angesichts meist persönlicher Befindlichkeiten schwierig. Konfliktmanagement hilft, Klarheit in die Sachlagen zu bringen und Lösungen herbei zu führen.
Die Türen der Büros im Verwaltungstrakt des Unternehmens waren offen, wie immer. Aus einem der Zimmer tönte eine laute Stimme. Eine Weitere, Ruhigere versuchte etwas zu erklären. Nur kurz war das Gespräch. „Verschwinden sie aus meinem Büro“, schrie der Chef plötzlich. Der Angestellte verließ nicht nur das Büro, sondern kündigte am folgenden Tag. Konflikte sind ein Ausdruck unerfüllter Bedürfnisse, und das macht es schwierig, mit ihnen umzugehen.
Die oben beschriebene Harakiri-Mentalität bei der Konfliktlösung wird jedoch zunehmend kritisch gesehen. „In deutschen Unternehmen beobachtet man seit einigen Jahren einen Paradigmenwechsel“, sagt Jürgen Briem, Leiter des Konfliktmanagement-Systems (KMS) und Ombudsmann beim Softwarehersteller SAP. Wurden interne Konflikte zwischen Mitarbeitern oder Abteilungen in der Vergangenheit überwiegend verdrängt, entwickelt sich nun eine konstruktive Konfliktkultur. Man bekennt sich zu den Auseinandersetzungen, bearbeitet diese systematisch und sieht darin eine Quelle von Ideen und Beiträgen für Wachstum und Entwicklung.
Bleiben statt Kündigen
Lassen sich durch KM-Maßnahmen für ein Unternehmen Kosten aufgrund von Streitigkeiten einsparen, so kann HR davon profitieren, denn oft wird dieser Bereich zur Konfliktbearbeitung angesprochen und die Aufwände fallen im Personalbereich an. Sind im Betrieb speziell ausgebildete Fachkräfte vorhanden, die Konflikte bearbeiten können, kann dies für HR entlastend wirken. Ebenso ist mittelfristig ein Rückgang der Fluktuation zu erwarten, wenn Mitarbeiter nicht mehr wegen ungelöster Konflikte das Unternehmen verlassen. „Die Stärken eines KM liegen darin, Konflikte frühzeitig erkennen zu können und die darin enthaltene Energie in positive Bahnen zu lenken“, sagt Briem. „Grenzen sind aber dort gegeben, wo bei Konflikten Gesetze überschritten werden, etwa bei Korruption.“ Eine Grenze ist aber auch dann erreicht, wenn Konflikte im Zusammenhang mit psychischen Problemen eines Beteiligten entstehen. Dann sind individuelle und spezielle Beratungsangebote gefragt.
Neben Mitarbeitergesprächen werden weitere Methoden eingesetzt, mit denen man gezielt schwelende oder bereits ausgebrochene Konflikte bearbeiten kann, für die jedoch meist spezielle Ausbildungen benötigt werden. Geht es beim Coaching darum, einer Führungskraft individuell dabei zu helfen, eine konfliktbeladene Situation zu meistern, wird eine Mediation meist bei komplexen Sachverhalten eingesetzt, bei denen die eigentliche Ursache des Konflikts häufig unklar ist. Eine Ombudsperson wiederum arbeitet ohne festgelegte Regeln und versucht durch Gespräche aufgrund von eigenem Ermessen und Erfahrungen mit den Konfliktparteien eine Einigung zu erzielen. Die Auswahl der geeigneten Mittel erfordert die Analyse des jeweiligen Konflikts. Diese kann aber auch ergeben, dass eine bestimmte Unstimmigkeit gar kein Fall für das Konfliktmanagement ist. Denn geht es zum Beispiel darum, ob und wie ein kurzfristiger Termin eingehalten werden kann, ist die Entscheidung einer Führungskraft gefragt. So verschieden die Unternehmen, so unterschiedlich auch der Aufbau ihres KM-Systems und der Gang der Konfliktbearbeitung.
Eigene Stelle für Konflliktlösungen sinnvoll
Beim Zeitarbeitsunternehmen I. K. Hofmann wird seit dessen Gründung KM betrieben, denn hier war man schon immer der Ansicht, dass Probleme unvermeidlich sind, wenn Menschen miteinander arbeiten. „Zunächst wurden Konflikte auf der Ebene von Mitarbeitergesprächen gelöst. Aber seit wir vor einigen Jahren eine Ombudsstelle eingeführt haben, ist das KM bei uns in festen Strukturen verankert“, sagt Michael Bayerlein, der das Konfliktmanagement leitet.
Beim Münchner Kaufhaus Ludwig Beck hatte schließlich eine personelle Umstrukturierung dazu geführt, dass man sich mit dem Thema intensiver befasst und Konfliktmanagement mit einer ausgesprochen starken Betonung auf Personalentwicklung betreibt. „Wir setzen auf Vermeidung von Problemen durch optimierte Kommunikation“, sagt Pedram Taghizadeh, Leiter des Personalwesens mit Coaching-Ausbildung. Wurde früher in Kritik- und Anerkennungsgesprächen geschult, fördert man nun die Dialogfähigkeit der Führungskräfte und deren Fähigkeit zur Selbstreflexion. Bei der Rekrutierung von Mitarbeitern mit Personalverantwortung achtet man vor allem darauf, dass die Bewerber im hohem Maße zur Empathie und Selbstwahrnehmung fähig sind.
Wenn Personalmanager zu Konflikt-Profis werden
Eine Voraussetzung für die erfolgreiche Bearbeitung von Konflikten ist die Problemlösungskompetenz der mit dem KM beauftragten Mitarbeiter. Jedoch sind diese in der Regel nicht dazu ausgebildet. „Hier sind die Personaler gefragt, entsprechende Qualifizierungen für die Angestellten im Unternehmen zur Verfügung zu stellen“, sagt Andreas Peteranderl, Coach, Personaltrainer und Organisationsberater. In seinen Seminaren legt er den Schwerpunkt weniger auf die Vermittlung von theoretischem Wissen als darauf, dass die Teilnehmer erfahren, welchen Konflikttypen sie entsprechen. Sind sie in der Lage, in Gesprächen nicht nur die eigenen Bedürfnisse zu erkennen und darauf einzugehen, sondern auch auf diejenigen der Gegenseite im Konflikt, besteht für beide die Chance auf eine Win-win-Situation. Ungefähr 50 Prozent der Teilnehmer aus Peteranderls Kursen sind Personaler. „Die meisten Kursteilnehmer kommen aus eigenem Antrieb. Sei es aus der Not heraus, dass sie mit eigenen Konflikten nicht zurecht kommen oder dass sie mit Konflikten, die sie klären müssen, überfordert sind.“
Über Intranet, Broschüren und Schulungen werden SAP-Mitarbeiter über die KM-Stelle unterrichtet, welche innerhalb von HR organisiert ist. Liegt in einer Abteilung ein Konflikt vor, können sich die betroffenen Mitarbeiter an einen Konfliktnavigator wenden, der die Angelegenheit an die zuständige Stelle weiterleitet. „Bei SAP haben wir unter anderem einen Pool interner, ehrenamtlicher Mediatoren in verschiedenen Abteilungen und auf diversen Leitungsstufen. Dadurch können wir auf allen Hierarchieebenen eine Mediation anbieten und vermeiden Interessenskonflikte der Mediatoren“, sagt Briem, der selbst über eine Mediatorenausbildung verfügt. Oberste Instanz im KM sind jeweils eine Ombudsstelle für nationale oder internationale Angelegenheiten.
Mitarbeiter über Angebote informieren
Bei I. K. Hofmann mit deren 15 000 festen und Leiharbeitnehmern besteht das KM-Team aus einem Ombudsmann, externen Mediatoren sowie Mitarbeitern der Personal- und Rechtsabteilung und der Geschäftsführung. Organisatorisch ist das KM direkt der Geschäftsleitung unterstellt. „Jeder Mitarbeiter wird bei uns in mehrfacher Weise auf das KM hingewiesen. So findet man meine Telefonnummer nicht nur im Extranet, sondern auch in jedem Arbeitsvertrag“, sagt Michael Bayerlein. In seiner Eigenschaft als Ombudsmann ist er überwiegend für schnelle Konfliktlösungen zuständig. Über Probleme wird er in erster Instanz telefonisch informiert. Um die Vertraulichkeit zu wahren, befindet sich sein Büro außerhalb der Firmenzentrale. „Die beste Konfliktprävention besteht für mich in der guten Betreuung unserer Mitarbeiter“, sagt Bayerlein. Eine Systemsteuerung sei für ihn derzeit nicht zwingend, da sein KM überschaubar sei und gut funktioniere.
„Bei uns wurde schon immer großen Wert darauf gelegt, dass die Angestellten ihre Meinung sagen“, stellt Pedram Taghizadeh vom Kaufhaus Ludwig Beck fest. So setzt man hier darauf, dass sich die Angestellten ohne spezielle Unterweisung bei Unstimmigkeiten an das Führungspersonal wenden. Bei der Konfliktbearbeitung wird der Personaler auch selbst aktiv. Interessenskollisionen bestehen für ihn dabei nicht, denn bevor er mit einer Konfliktlösung beginnt, macht er den Beteiligten klar, dass er als Berater tätig wird und nicht als Personalchef. „Die Mitarbeiter kommen freiwillig zu mir. Wer das nicht will, kann sich an die Abteilung Personalentwicklung oder an unsere externe Beraterin wenden, die auch als Konfliktmanagerin arbeitet“, sagt der Personalleiter.
Weiterentwickeln und systematisieren
Doch KM-Einrichtungen selbst funktionieren nicht immer reibungslos. Wie man deren Abläufe optimieren kann, damit beschäftigen sich Unternehmensvertreter seit 2008 am Round Table Mediation und Konfliktmanagement der deutschen Wirtschaft, dem auch SAP und I. K. Hofmann angehören. Hier werden unter anderem Verfahrensstandards für die Konfliktbearbeitung und Qualitätssicherung sowie Möglichkeiten der systematischen Vernetzung von Komponenten des KM zu einem System erarbeitet. Wissenschaftlich begleitet werden die Aktivitäten des Runden Tischs vom Institut für Konfliktmanagement der Universität Frankfurt Oder.
In einer Studie befasste sich eine Arbeitsgruppe von Professor Lars Kirchhoff unter anderem mit den Elementen des Konfliktmanagements, deren Klassifizierung und der Zusammenfassung zu einem System. Durch Interviews in den Unternehmen, die am Round Table teilnehmen, hat die Arbeitsgruppe ein sechsteiliges Komponentenmodell entwickelt, das sich von der Konfliktanlaufstelle über -bearbeitung bis hin zur Innen- und Außendarstellung von Konflikten erstreckt. Damit das KM tatsächlich zu einem System wird, bedarf es weiterhin einer Steuerung, die alle Komponenten miteinander vernetzt und koordiniert.
Die Studie enthält auch Handlungsempfehlungen zur Einführung von KM. So sollte auf jeden Fall mit einer Bestands- und Bedarfsanalyse begonnen werden und der Erfahrungsaustausch mit KM-Beauftragten anderer Unternehmen gesucht werden, in denen KM schon erfolgreich etabliert ist. Weil die Einführung von KM-Programmen ihrerseits zu Konflikten führen kann, sollten alle Stellen, die mit der Bearbeitung von Konflikten betraut sind, wie Personalstelle, Rechtsabteilung und der Betriebsrat, bei der Planung mit einbezogen werden.
Machtpromotoren nötig
Notwendig sei es nicht, so Kirchhoff, dass man gleich alle Komponenten eines KMS einführt, aber zwingend sei es, über Anlauf- und Bearbeitungsstellen für Konflikte zu verfügen. Für den Aufbau von KM sind sogenannte Fachpromotoren mit dem notwendigen Know-how erforderlich sowie Machtpromotoren, welche die Einführung durchsetzen. Ist HR ein solcher Machtpromotor, kann diese Abteilung bei der Einführung auch den Hut aufhaben.
Nicht nur geschultes Personal, strenge Vertraulichkeit und Allparteilichkeit sind Voraussetzungen für ein erfolgreiches Konfliktmanagement. „Wichtig ist auch ein echtes Bekenntnis der Unternehmensleitung, denn erst dadurch werden Budgetierung und Berücksichtigung des KM bei der Formulierung langfristiger Unternehmensziele gesichert“, sagt Kirchhoff. Denn vielfach leiden Konfliktmanagementprogramme darunter, dass die Geschäftsleitung nicht ganz klar und eindeutig Stellung dazu bezieht und ausreichend Resourcen zur Verfügung stellt.
Viele offene Fragen unter KM-Beauftragten gibt es noch in Sachen Qualitätssicherung und der dafür notwendigen Dokumentation der Ursachen und Bearbeitung von Konflikten. Eine Niederschrift wird wegen der geforderten Vertraulichkeit nach der Bearbeitung häufig sofort vernichtet oder erst gar nicht angelegt. Doch wer sich mit Konflikten befasst, wird auch für dieses Problem gewiss eine handhabbare Lösung finden.
Autor
Klaus Wagner, freier Journalist, München
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