Prävention schützt vor Kosten
Für multinationale Unternehmen wird die weltweite Erfüllung arbeitsrechtlicher Standards immer wichtiger. Doch komplexe Unterschiede können selbst erfahrenen Personalpraktikern Kopfschmerzen bereiten. Arbeitsrechtliche Audits können helfen.
Unternehmen, die Mitarbeiter in unterschiedlichen Ländern oder sogar auf mehreren Kontinenten haben, stehen vor einer gewaltigen Aufgabe. Die arbeitsrechtlichen Gesetze und Bestimmungen unterscheiden sich stark in den unterschiedlichen Rechtsordnungen, meistens verbunden mit substanziellen Unterschieden im Hinblick auf Rechtsanwendung sowie bei Sanktionen in Fällen von Rechtsverletzung. Noch komplizierter wird die Situation dadurch, dass auch unterschiedliche regionale Gepflogenheiten innerhalb einer Rechtsordnung existieren können. So hat zum Beispiel der US-Bundesstaat Pennsylvania andere Voraussetzungen für eine Betriebsschließung als das US-amerikanische Bundesrecht vorgesehen. Und beide unterscheiden sich wiederum stark von den gesetzlichen Vorgaben zur Betriebsschließung in der Europäischen Union.
Darüber hinaus ist es üblich, dass sich ein Unternehmen innerhalb einer neuen Rechtsordnung niederlässt oder einen bereits bestehenden Betrieb in Übersee kauft und sich vorher nicht der erheblichen Unterschiede in der Behandlung der meisten arbeitsrechtlichen Bereiche bewusst ist.
Arbeitsrecht: Internationale Unterschiede
Zu dieser Gemengelage kommt hinzu, dass in vielen Ländern der Welt mächtige Gewerkschaften und Interessenvertretungen für Arbeitnehmer existieren. Ignoranz gegenüber dem Einfluss sowie den Befugnissen dieser Organisationen und Gremien kann potenziell erhebliche Arbeitsrechtsstreitigkeiten auslösen sowie enorme Haftungsrisiken in sich bergen. Zu einem solchen arbeitsrechtlichen „Clash of Civilasations“ kam es beispielsweise im April 2010 bei der Telekom-Tochter T-Mobile USA. Ihr wurde vorgeworfen, sie verhindere die gewerkschaftliche Organisation ihrer Mitarbeiter. Das behaupteten zumindest amerikanische und deutsche Gewerkschaften. Schlussendlich kann auch das Verständnis dafür, wie Entlassungen zu behandeln sind und welche potenziellen Arbeitsrechtsstreitigkeiten und Kostenrisiken aus diesen oder anderen arbeitsrechtlichen Beendigungsentscheidungen resultieren, zwischen einem profitablen und effizienten Engagement und einem solchen, das in signifikanten Arbeitsrechtsstreitigkeiten und rechtlichen Problemen endet, entscheiden.
Risokobereiche abstecken
Der erste Schritt, sicherzustellen, dass die arbeitsrechtlichen Vorgaben in den einzelnen Rechtsordnungen eingehalten werden, liegt darin, festzulegen, welche arbeitsrechtlichen Bereiche betroffen sein werden. Dabei handelt es sich fast immer um Gesetzesrecht, Arbeitsverträge, andere Regelungen und Handbücher oder Betriebsordnungen, Tarifverträge, Antidiskriminierungsvorschriften sowie Vergütungs- und Arbeitszeitgesetze: In Hong Kong etwa kann ein Arbeitsvertrag fristgemäß gekündigt oder durch sogenannte „In-lieu-Zahlung“, die der Bezahlung während der Kündigungsfrist entspricht, beendet werden. Sofern ein Arbeitsvertrag weder befristet ist, noch eine Kündigungsfrist enthält, muss mindestens eine einmonatige Kündigungsfrist oder eine entsprechende Zahlung erfolgen. Dieser Ansatz unterscheidet sich deutlich von demjenigen des Staates New York, in welchem für den Fall, dass eine Kündigungsfrist nicht vereinbart wurde oder eine tarifliche Kündigungsfrist nicht existiert, keine Kündigungsfrist beziehungsweise „In-lieu“-Zahlung erforderlich ist. Wieder völlig anders ist es in Deutschland oder anderen Ländern der EU, wo es gesetzliche Mindestkündigungsfristen für Arbeitsverträge gibt. Solche Mindestkündigungsfristen sind dann immer einzuhalten.
Unternehmensinterne HR-Handbücher und Arbeitsordnungen bilden einen weiteren arbeitsrechtlichen Bereich, der den Abgleich mit internationalen Standards verlangt. In vielen nationalen Rechtsordnungen können sich Arbeitgeber auf Rechtsprechung beziehen, nach welcher Arbeitnehmerhandbücher nicht als Arbeitsverträge zu qualifizieren sind, sofern das Handbuch eine entsprechende Klausel enthält, die dies ausschließt. Im Gegensatz dazu werden in anderen Ländern Arbeitnehmerhandbücher als bindende Verträge gewertet und zwar unabhängig von entsprechenden Klauseln innerhalb des Handbuchs, nach welchen diese Bewertung ausgeschlossen sein soll.
Ein weiterer Risikobereich für multinationale Unternehmen liegt in dem Faktum der gewerkschaftlich organisierten Belegschaften im Ausland. Sie sind in anderen Ländern teilweise stärker und teilweise schwächer vorzufinden und die entsprechenden Regulierungsmechanismen, die Unternehmen aus ihrer heimischen Rechtsordnung kennen, ähneln denjenigen in anderen Ländern oft nur marginal. Darüber hinaus werden Arbeitnehmer in den USA und in der Europäischen Union im Bereich des Antidiskriminierungsrechts stärker geschützt als in anderen Ländern. Seit mehreren Jahrzehnten haben US-amerikanische Unternehmen die Vorschriften der Antidiskriminierungsgesetze der USA beachten müssen, wie Titel VII des Civil Rights Acts, welcher Diskriminierung in Hinblick auf verschiedenste Aspekte verbietet. Das Gleiche gilt seit über zehn Jahren für europäische Unternehmen, die sich zum Beispiel an die EU-Gleichbehandlungsrichtlinie 2000/78/EG vom 27.11.2000 und deren Umsetzung in nationales Arbeitsrecht halten müssen. Deshalb betrachten viele multinationale Unternehmen die Aufstellung von „Anti-Harassment“-Standards zur Vermeidung von Belästigungen oder die Aufstellung einer „Diversity policy“ (zur Förderung der Einstellung unterschiedlicher Personengruppen) als unvermeidliche Kosten.
Arbeitsrechtliche Audits einführen
Der effektivste Weg, die weltweite Einhaltung aller arbeitsrechtlichen Vorschriften sicherzustellen, liegt darin, ein arbeitsrechtliches Audit durchzuführen. Eine solche arbeitsrechtliche Überprüfung ist vergleichbar mit einer medizinischen Untersuchung. Ziel der Überprüfung ist ein „Gesundheitscheck“ des Unternehmens, der die rechtlichen Auswirkungen auf die Arbeitgeber-/Arbeitnehmer-Beziehungen in jeder Rechtsordnung überprüft, in der das Unternehmen tätig ist. Dieses Audit wird eine Kontrolle des gesamten personalpolitischen und personalwirtschaftlichen Vorgehens, der Verfahren und Prozesse sowie der Personalpraxis von der Einstellung über die Abwicklung des Beschäftigungsverhältnisses bis hin zu den nachvertraglichen Pflichten einschließen.
Wird hierzu ein Arbeitsrechtspezialist mit weltweitem Fokus eingeschaltet, stellt dies nicht nur sicher, dass das betreffende Unternehmen den benötigten Rat bekommt, aufgrund dessen alle anwendbaren Gesetze identifiziert und analysiert werden. Sondern es wird auch davor geschützt, dass die durch das Audit aufgedeckten Probleme erst während eines Rechtsstreits oder eines Verfahrens vor einer Regierungsbehörde aktuell werden. Der weitere Vorteil der Einschaltung eines außenstehenden Beraters liegt darin, dass die örtliche Personalleitung nicht dieselbe Objektivität sicherstellen kann, wenn es darum geht, einzuschätzen, ob die Vorgehensweisen und Praktiken rechtlich zu beanstanden sind. Darüber hinaus haben gegebenenfalls die Ergebnisse und Empfehlungen, die nach dem Audit umgesetzt werden sollen, nicht das gleiche Gewicht, wenn sie durch das lokale Management gegeben werden, als wenn dies durch externe Experten geschieht.
Eckpunkte des Fragebogens
Der Einstieg in ein solches Audit liegt für die Personalleitung, das lokale Management sowie den außenstehenden Berater darin, zusammen einen Fragebogen zu erarbeiten, der als Checkliste alle kritischen Personalpraktiken auflistet, die überprüft werden sollen. Der Fragebogen sollte sich auf vier Schlüsselbereiche beziehen:
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Einstellungsfragen: Welche Personalauswahlstrategien werden eingesetzt? Welche Bewerbungsformulare werden verwandt? Gibt es standardisierte Verfahren beim Einstellungsgespräch, bei Personalauswahlprozess und –kriterien? Gibt es Verfahren zur Zeugnisüberprüfung von Bewerbern oder Einstellungstests? Werden Screenings oder Background-Checks durchgeführt?
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Bestehendes Arbeitsverhältnis: Werden die benutzten Standardarbeitsverträge einschließlich der nachvertraglichen Wettbewerbsverbote und Geheimhaltungsverpflichtungen, Probezeit, Evaluationsverfahren, Verhaltensstandards regelmäßig rechtlich überprüft? Gibt es eine regelmäßige und standardisierte rechtliche Überprüfung der weiteren Personalpraxis, Vergütungs- und Arbeitszeitvorschriften, verpflichtende Weiterbildung, Abmahnungen und interne Ermittlungen des Unternehmens sowie sämtlicher Verfahrensweisen und Gründe für Vertragsbeendigungen und Kündigungen?
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Nachvertragliches Verhalten: Gibt es standardisierte Erfassung und Management der Fristen für Beendigungen, Entlassungen und freie Stellen, verpflichtende Sozialleistungen, die noch nach Vertragsbeendigung zu erfüllen sind, Zeugnisse, verpflichtende Entlassungsentschädigungen und Einhaltung von Aufbewahrungsfristen?
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Nachfolgende und anhängige Rechtsstreitigkeiten: Werden aktuelle und frühere Rechtsstreitigkeiten mit Arbeitnehmern standardmäßig überprüft, ob hieraus Lehren für die Zukunft gezogen werden können, z.B. zur Risikobegrenzung oder Ressourcenplanung?
Das Audit wird idealerweise in Zusammenarbeit mit einem Arbeitsrechtsexperten durch ein Management-Team umgesetzt, unter Einbeziehung der Personalleitung und des Datenschutzverantwortlichen. Die Umsetzung erfolgt regelmäßig durch Interviews mit allen Führungskräften des Unternehmens, die Personalverantwortung haben. Dazu ergänzend werden in Form einer internen Due-Diligence-Prüfung alle Prozesse überprüft, die zu den oben genannten vier Schlüsselbereichen gehören. Das Management-Team leitet die Überprüfung und berichtet wegen der Brisanz der Materie regelmäßig direkt an den CEO des Unternehmens.
Umsetzen einer Compliance-Strategie
Nach Durchführung des Audits sollte herausgearbeitet sein, welche Verfahrensweisen und Praktiken der Personalarbeit hinterfragt werden müssen. Außerdem kann bestimmt werden, in welcher Reihenfolge die nötigen Veränderungen umgesetzt werden. Die Vermeidung von Kosten, Beschwerden von Arbeitnehmern sowie Beanstandungen von öffentlichen Stellen, etwa über die Höhe der gezahlten Gehälter oder bezüglich der Arbeitszeit, sollte höchste Priorität haben. Zusätzlich sollten alle Verfahrensweisen daraufhin analysiert werden, ob sie die Aktivitäten des Unternehmens im Ausland beeinträchtigen.
Der Aufbau eines Netzwerks von international gut vernetzten Arbeitsrechtsanwälten in allen Rechtsordnungen, in welchen ein Unternehmen regelmäßig tätig ist, erspart nicht nur finanzielle Aufwendungen, sondern sichert auch eine zeitnahe und genaue Einhaltung der arbeitsrechtlichen Vorschriften. Allein eine regelmäßig gepflegte Arbeitsbeziehung mit einem Berater, der sämtliche Fragen schnell beantworten kann und hilft, bürokratische Fallen zu umlaufen, ist hilfreich. Kurz gesagt: Die Schwierigkeiten bei der Erfüllung der globalen Arbeitsrechtsstandards werden am besten durch präventive rechtliche Beratung abgemildert.
Autoren
Stephen J. Hirschfeld, Partner von Curiale Hirschfeld Kraemer in San Francisco, Chief Executive Officer der Employment Law Alliance,
Hirschfeld@chklayers.com
Ginger Schröder, Partnerin von Schroder, Joseph & Associates in Buffalo und Repräsentantin der Employment Law Alliance in New York State,
g.schroder@fjhlegal.com
Jan Tibor Lelley, Partner bei Buse Heberer Fromm, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Repräsentant der Employment Law Alliance in Deutschland,
lelley@buse.de
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