Ausgabe 7 - 2014
Von Schrauben und Menschen
Sie sitzen sich gegenüber und sprechen verschiedene Sprachen: Einkäufer und Personaler. Die einen wollen standardisieren, Vergleichbarkeit herstellen und Kostensenkungspotenziale identifizieren. Die anderen reden über Qualität, Nachhaltigkeit, Vertrauen und Bauchgefühl.
Die Schnittmenge, in der sich die Beschaffungsabteilung und das HR-Management begegnen, ist konfliktgeladen. Die Beteiligten – Personalleiter, Einkäufer und HR-Dienstleister – kommunizieren Details nur ungern nach außen. Der Personaler will es sich nicht mit seinem Einkauf verderben, der Dienstleister erst recht nicht, und auch Einkäufer wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.
Der Grund für den Konflikt liegt in den unterschiedlichen Philosophien der Beteiligten: „Einkaufsprozesse von Papier und Maschinen lassen sich nicht auf personalnahe Dienstleistung übertragen; der Einkäufer muss einsehen, dass die Arbeitsleistung eines Menschen nicht gleichzusetzen ist mit dem Bestellprozess für eine Schraube.“ So bringt ein Personaler die Diskussionen mit seiner Einkaufsabteilung auf den Punkt.
Natürlich sind die Erfahrungen von HR-Fachbereichen mit dem Einkauf unterschiedlich und neben der Größe des Unternehmens auch abhängig vom Professionalisierungsgrad des Einkaufs. Dienstleister, die das „Miteinander“ von HR und Einkauf im Beschaffungsprozess von außen betrachten, schildern ihre Erfahrungen mit den Worten: „Das Spektrum des Miteinanders von Einkauf und HR reicht von Harmonie bis hin zu offenen Interessenkonflikten mit den Fragen, welche Fachabteilung die finale Entscheidungskompetenz hat.“
Trial and Error
Einkäufer träumen davon, über bestimmte Lieferpunkte Vergleichbarkeit herzustellen, damit sie zu der reinen Preisdiskussion kommen können. „Der Einkäufer versucht aus HR-Dienstleistungen ein vergleichbares Massengut zu machen. Er will die ihm aus der Materialdisposition bekannten Kriterien wie Normen, Lieferzeiten, Losgrößen übersetzen und auf Personaldienstleistungen wie Assessment Center oder Führungskräftetraining anwenden. Nach dieser Währung vergleicht und entscheidet der Einkäufer. Er ist rhetorisch gut geschult und sein riesiges Selbstbewusstsein basiert darauf, dass er das Absolutum des Unternehmens vertritt: Kosten sparen. Dabei fallen Qualität oder Erfolgsaussichten oft unter den Tisch.“
Diese gängige Philosophie dominiert den Einkauf, resümiert ein Personalleiter eines größeren Mittelständlers. Und das habe Folgen: Das Diktum „Preis vor Qualität“ gehe auch schief, führe nicht selten zu „Trial and Error“, sodass Unternehmen erst aus dem Schaden klug werden. Wenn beispielsweise negative Rückmeldungen der Mitarbeiter zunehmen oder Geschäftsziele nicht erreicht werden.
Hier soll weder Einkäufer-Schelte betrieben noch das HR Management ob seiner Verhandlungsposition bedauert werden – denn beide Seiten haben noch Hausaufgaben zu erledigen. Es gibt HR-Abteilungen, die partnerschaftlich und auf Augenhöhe mit dem Einkauf zusammenarbeiten. „Wo der Prozess professionell und gut organsiert ist, machen beide den Schulterschluss. Es gibt die Fachbereichsrolle und die Einkaufsrolle, die jede für sich sinnvoll ist und akzeptiert werden muss. Sie agieren in einem Team zum Wohle des Unternehmens. Das heißt: maximale Leistung zu günstigen Kosten, oder ein Mindestmaß an Leistung zu günstigen Kosten.“
Zwei Wertschöpfungspartner in Konkurrenz
So beschreibt Bernd Schreiber, Partner der Unternehmensberatung Arthur D. Little den idealen Einkaufsprozess. Doch bis es soweit ist, oder ob es dazu kommt, ist zumindest von zwei Parametern abhängig. Zum einen muss HR Verantwortung abgeben, sich nach außen öffnen und transparent werden in der Entscheidung; zum anderen ist der Einkauf im HR-Beschaffungsmarkt noch nicht trittsicher genug, um auch vom Fachbereich akzeptiert zu werden.
Hat der Einkauf bis vor einigen Jahren Sparpotenziale in erster Linie bei den Roh- und Werkstoffen realisiert, ist erst mit dem Wandel zu einer wissens- und dienstleistungsorientierten Wirtschaft der Anspruch gewachsen, dass auch immaterielle Güter den Einkaufskriterien standhalten müssen. Der Einkauf wird heute in manchen Unternehmen bereits als strategischer Wertschöpfungspartner wahrgenommen. Nicht nur in Industrieunternehmen nimmt sein Einfluss auf die Ertragsstärke des Unternehmens permanent zu.
Doch der Dienstleistungseinkauf beispielweise von HR-Managementberatung und Personalserviceleistungen – mit Ausnahme des Einkaufs der Arbeitnehmerüberlassung – ist ein unbeschriebenes Blatt. Während Berufsverbände in Seminaren am Beispiel von Putzdiensten, Wäscherei und Marketing die Beschaffung durchdeklinieren, fehlt Einkäufern bei nicht skalierbaren HR-Dienstleistungen Wissen und Handwerkszeug. „Die Unkenntnis von HR-Aufgaben wie der Führungskräfte- und Personalentwicklung springt einen nur so an, da beteiligen wir uns erst gar nicht.“ So äußert sich ein namhaftes Beratungsunternehmen zu einer Ausschreibung eines großen deutschen Konzerns am Anfang des Jahres.
Klare Rollenverteilung
Auf der anderen Seite trifft der Einkäufer auf eine Personalabteilung, die es bislang gewohnt war, auf Grund von „jahrelanger guter Zusammenarbeit“, nach Bauchgefühl oder weil die „Chemie stimmt“, HR-Berater oder Personalserviceanbieter zu beauftragen – ohne Blick auf Kosten, Ergebnisse und Prozesse. Ausnahmen bilden die HR Units in kapitalmarktorientierten Unternehmen, die rechtlich gezwungen sind, gegenüber den Investoren nachzuweisen, dass sie Prozesse einhalten, um Risiken zu managen und zu kontrollieren. In vielen mittelständischen Unternehmen zwingt nun aber die Beschaffungsabteilung das HR-Management in ein professionelleres Vorgehen. Und nicht nur, weil sie das Maverick-Buying – also den wilden Einkauf, bei dem Abteilungen eigenmächtig Dienstleistungen ordern – unterbinden muss.
Doch der Prozess steckt derzeit in vielen Personalabteilungen noch in den Kinderschuhen. „HR muss sich im Einkauf weiter professionalisieren und in den gleichen Kategorien denken wie Procurement“, wünscht sich Martin Haep, Principal und Vertriebsleiter bei Mercer in Central Europe (DACH). Solange HR nicht auch auf Basis nachvollziehbarer Entscheidungskriterien und klarer Prozesse einkaufe, blieben Preis- und Leistungstransparenz, Haftungs- und andere Vertragsrisiken unklar.
„Ein strukturierter Einkaufsprozess schafft für alle Beteiligten mehr Transparenz und Sicherheit.“ Sein Appell richtet sich insbesondere an Dienstleister, egal ob Trainer, Personalmanagement-Berater oder Headhunter: Beratungsdienstleistungen seien im Gegensatz zu eindeutig spezifizierbaren Produkten intransparent. Individuelle PowerPoint-Präsentationen mit schwer vergleichbaren Ergebnissen und Kalkulationen stellten keine ausreichende Vergleichsgrundlage dar.
Nach Auffassung von Martin Haep müssen Dienstleister heute, jedoch zumindest für die Zukunft, geradezu ein Interesse daran haben, dem HR-Fachbereich und dem Einkauf nachvollziehbare Daten und Fakten für einen fairen und nachvollziehbaren Angebotsvergleich zu liefern. Denn eigentlich sind die Rollen klar definiert: HR gibt die „technischen“ Informationen vor, wählt zwei bis drei Dienstleister aus und die vertraglichen sowie kommerziellen Fragen führt der Einkauf aus. In der Theorie muss der Einkäufer also kein HR-Spezialwissen besitzen. Sein Qualifikationsprofil umfasst Grundkenntnisse im Beschaffungsfeld, denn der Fachbereich gibt mit der technischen Freizeichnung die vermeintlich vergleichbaren Dienstleister vor. Dann obliegt es dem Einkauf, welcher Dienstleister am Ende zum Zug kommt, und er kann die Wettbewerbskarte noch mal auszuspielen, da qualitative Unterschiede in dieser Phase nicht noch einmal in die Bewertung mit einbezogen werden. Dieses Vorgehen ist kritisch zu beurteilen, meint Bernd Schreiber, Arthur D. Little, da sich bestimmte HR-Leistungen wie Beratung nicht in ein Schema pressen lassen. „Bauchgefühl und Vertrauen, die oftmals nicht trügen, werden durch den nur die Faktenlage beschreibenden Prozess ausgehebelt. Und ob es am Ende zum Wohl des Unternehmens ist, dass die Frage der Total Cost of Ownership nicht beantwortet wird, ist fraglich.“ Folgekosten entstehen beispielsweise, wenn Personalberater länger als drei Monate brauchen, um eine Führungsposition zu besetzen, der Führungskräftetrainer nicht das Vertrauen der Mitarbeiter hat oder der Berater die Probleme des Unternehmens nicht erfasst. „Folgeeffekte einer Beschaffung müssten berücksichtigt werden.“
Wie vergleichen, was nicht vergleichbar ist?
Der Dissens beim Einkauf von HR-Dienstleistungen entsteht bei Fragen der Vergleichbarkeit von Leistungen mit unterschiedlichem Preisgefüge – mit den bekannten Ausnahmen von Payroll- und Pension-Administration-Outsourcing, bei dem das Procurement Skaleneffekte zu Grunde legen kann. Doch wie sieht es beim Einkauf eines Motivationstrainers aus, eines Vergütungsexperten, eines Beraters für Talent Management, Organisationsgestaltung, Employer Branding, bAV oder betriebliches Gesundheitsmanagement aus? Hier sollte die HR-Abteilung dem Einkäufer aufklärend und informierend zur Seite stehen und die Leistungsfelder, die ihr wichtig sind, detailliert beschreiben, „damit sich keiner über den Tisch gezogen fühlt“, empfiehlt Bernd Schreiber von A. D. Little. Ebenso sei es Aufgabe des Einkaufs, sich HR-Fachwissen anzueignen. Entscheidend sei jedoch: „Je kreativer die Dienstleistung und je weniger beschreibbar, umso mehr spielt im Miteinander der Bereiche Vertrauen eine Rolle“. Für HR liege der beste Weg zu einer einvernehmlichen Lösung darin, den Prozess in einem Schulterschluss zu gestalten. „Am Ende will der Einkäufer einen Einkaufserfolg vorzeigen. Und wenn HR sich im positiven Sinne den Kriterien der Bewertung öffnet, also neben dem angestammten Lieferanten bereit ist, auch einen anderen anzuschauen, können sich beide Seite aufeinander zubewegen.“
Am Informieren und Schulen der Einkäufer kommt HR nicht vorbei, auch wenn es nicht gerade zur seiner Kernaufgabe gehört. Doch selbst wenn der notwendige Wissensstand vorhanden ist und sich die Einkäufer speziell im Bereich HR geschult haben, wird eines nicht geschehen: „Ein Einkäufer wird nie die fachliche Qualifikation eines guten HR-Beraters von der eines schlechten unterscheiden können.“ Das betont Martin Haep von Mercer und verbindet es mit einer Aufforderung: „Ein guter HR-Chef muss seinem Einkäufer erklären können, warum er welche Dienstleister bevorzugt.“
Procurement habe den Auftrag und den Wunsch, die bestmögliche Dienstleistung für das Unternehmen zu kaufen. Insofern gäbe es keinen Grund, fachliche Präferenzen nicht auch umzusetzen, wenn dies aufgrund objektiver Kriterien nachvollziehbar sei. Hieraus folgt jedoch für HR: klar begründen zu können, warum für die Dienstleistung X der Berater Y die bestmögliche Wahl ist. Zudem schaffe Transparenz auch klare Verantwortung. „Wenn die Auswahl objektiv und nachvollziehbar ist, ist auch eindeutig, wer die Verantwortung für eine falsche, beispielweise ausschließlich preislich motivierte, Beraterwahl trägt.“
Kostenreduzierung vs. Qualität
Am Ende ist die richtige Beraterauswahl für die HR-Führungskräfte existenziell. Die falsche, vielleicht auf Basis unklarer Kriterien getroffene Beraterauswahl, hat nicht selten gravierende berufliche Folgen für die HR-Führungskraft. Größere Projekte werden in der Regel eng von der Geschäftsführung beziehungsweise dem Vorstand nachvollzogen. Da die Projektqualität eindeutig mit dem Fachbereich verbunden wird, trifft diesen auch die volle Verantwortung für eine falsche Beraterauswahl. Haep rät Personalern: Wenn sie mit der Auswahl des Einkaufs nicht leben können, sollten sie ihren präferierten Anbieter einfordern mit der Bitte um erneute Preisverhandlungen des Einkaufs.
Der HR-Fachbereich ist allerdings nicht der einzige im Unternehmen, der Probleme mit der Rolle von Procurement hat. Im Rahmen der Studie „Value Sourcing“ hat Arthur D. Little die strategische Funktion der unternehmenseigenen Beschaffungsabteilungen in 200 Unternehmen aus verschiedenen Branchen abgefragt. Das Ergebnis: Mehr als zwei Drittel aller Teilnehmer schätzen die Positionierung ihrer Beschaffungsabteilung als „nicht strategisch“ ein. Zudem gibt es nach Angaben der Studienteilnehmer nur bei 33 Prozent der Unternehmen funktionierende und lebendige Schnittstellen zwischen der Beschaffungs- und Fachabteilung.
„Doch der Weg der Professionalisierung geht kontinuierlich weiter und in fünf Jahren wird HR in mittleren und größeren Unternehmen nicht grundsätzlich über den Einkaufsprozess debattieren, dann ist es Alltag“, lautet das Resümee von Bernd Schreiber. Ausnahmen bilden die Unternehmen, in denen HR keine größere Kostenposition darstellt, also unter dem Radar läuft. Ansonsten gilt: Mit dem Wert steigt die Aufmerksamkeit.
Autorin
Christiane Siemann, freie Journalistin, Bad Tölz
- Nicht um jeden Preis
- Von Schrauben und Menschen
- „Ein Problem liegt im Anreizsystem im Einkauf“
- „HR muss sich im Einkaufsprozess professionalisieren“
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