Ausgabe 7 - 2014
Manchmal reicht ein offenes Ohr
Stress und Burnout sind mittlerweile Themen, mit denen sich jede Führungskraft auseinandersetzen muss – entweder wenn es um das eigene Wohlbefinden geht oder das der Mitarbeiter. Sieben Schritte aus der systemischen Lösungsfokussierung ebnen den Weg zum gesunden Führen.
Unsere Arbeitswelt befindet sich in einem kontinuierlichen Prozess des Strukturwandels. Ohne Zweifel kann die zunehmende Komplexität besser von begeisterungsfähigen, gesunden und kreativen Mitarbeitern bewältigt werden. Deshalb stellt sich immer mehr die Frage, wie eine Unternehmenskultur gestaltet werden kann, in der Begeisterung, Gesundheit und das Engagement der Mitarbeiter langfristig erhalten werden können. Waren Stressmanagement-Kurse für Unternehmen bis vor einigen Jahren vielleicht ein Nice-to-have-Faktor, ist mittlerweile ein Umdenken zu bemerken, denn: Stress kostet Geld.
Jeder dritte kämpft mit Burnout-Symptomen
Die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz geht davon aus, dass europaweit rund 60 Prozent aller Fehlzeiten auf beruflichen Stress zurückgehen und bereits jeder dritte Mitarbeiter mit Burnout-Symptomen kämpft. Umgekehrt amortisiert sich jeder Euro, der in die systemische Schulung von Führungskräften investiert wird. Für Unternehmen rechnet sich ein gut gesteuertes betriebliches Gesundheitsmanagement knallhart: Zeit also, sich dieses Erfolgsfaktors anzunehmen – nur wie?
Führungskräfte können Teil der Lösung oder Teil des Problems sein und sind in doppelter Hinsicht von dem Thema Burnout betroffen: Einerseits sind sie als Leistungsträger mit hohem Engagement selber gefährdet und auf der anderen Seite tragen sie Mitverantwortung für die seelische Gesundheit und Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter. Neben den bekannten Strategien der Verhaltens- und Verhältnisprävention können folgende Tipps aus der systemischen Lösungsfokussierung dazu beitragen, dass Mitarbeiter ihr Brennen für die Sache behalten – ohne auszubrennen:
1. Gutes Hinhören als Führungsqualität Nummer eins
Stress wird immer dann ausgelöst, wenn die Bedürfniserfüllung als gefährdet erscheint: zum Beispiel das Bedürfnis nach Ruhe, Sinn oder Wertschätzung. Leider überhören Führungskräfte oft die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter, weil sie sich nicht in Zugzwang bringen wollen oder sich keine Zeit zum guten Hinhören nehmen. Gesundes Führen bedeutet jedoch, die Bedürfnisse des Mitarbeiters erst einmal zu hören, aber nicht unbedingt, sie immer und gleich erfüllen zu müssen. Nur wenn es den Bedürfnissen des Unternehmens dienlich ist, können individuelle Bedürfnisse erfüllt werden – sonst nicht. In diesem Fall zeigt bereits das aufmerksame Zuhören eine hohe Wertschätzung und kennzeichnet einen empathischen Führungsstil. Eine Führungskraft eines internationalen Unternehmens sagte einmal den schönen Satz: „Ich kann eigentlich nichts, als genau zuzuhören.“ Das schien auszureichen, weil sowohl seine innovative Abteilung sehr erfolgreich war als auch der Krankenstand und die Fluktuation sehr niedrig.
2. Balance der Bedürfnisse
Ein „empathischer Führungsstil“ ist gekennzeichnet durch Führen ohne Angst, Strafe und Scham, sondern mit Empathie und klaren Ansagen. Empathische Führung heißt, genau herauszufinden, welche Bedürfnislage jeder Mitarbeiter hat und durch welche Strategie er Bedürfniserfüllung erfährt: Der eine erlebt Wertschätzung durch ein „Danke“, der andere durch ein eigenverantwortliches Projekt und der Dritte braucht eine Gehaltszulage. Motivierte Mitarbeiter bleiben loyal zum Unternehmen, wenn sie dort die meisten Chancen sehen, ihre individuellen Bedürfnisse zu erfüllen. Sie können ihre Bedürfnisse und Werte gut mit denen des Unternehmens synchronisieren. Wenn Führungskräften diese Moderation der unterschiedlichen Bedürfnislagen achtsam gelingt, dann haben sie wesentlich zu einem gesunden Unternehmen beigetragen.
3. Wertschöpfung durch Wertschätzung
Eine sehr wirkungsvolle Übung für Führungskräfte ist es, einen Mitarbeiter pro Tag gedanklich wertzuschätzen: Was genau bringt dieser Mensch in die Arbeit ein? Allein diese Gedankenübung ändert spürbar die Haltung zu den Mitarbeitern – auch wenn man die wertschätzenden Gedanken gar nicht ausspricht. Führungskräfte sollten sich außerdem bewusst machen, dass eine Stärke immer auch der potenzielle Eintritt in den Burnout sein kann. Nehmen wir zum Beispiel Hilfsbereitschaft und ein hohes Verantwortungsbewusstsein. Wenn diese Stärken nicht gepaart sind mit einer gesunden Abgrenzung, dann fehlt die antagonistische Balance, was auf Dauer zum Ausbrennen führen kann. Zur wertschätzenden Führungsverantwortung gehört es also, einen Blick für die „Antagonisten“ zu haben und dadurch Mitarbeiter und Arbeitsprozesse zu schützen.
4. Über den Wert von Benutzerhandbüchern
Wir haben von all unseren Produkten Benutzerhandbücher, nur vom wertvollsten Gut nicht – den Mitarbeitern. Man bekommt interessante Einsichten, wenn man als Führungskraft die systemische Fragetechnik der „paradoxen Intervention“ anwendet, wie zum Beispiel: „Was müsste ich tun und was könnten Sie dazu beitragen, damit Sie in einem halben Jahr stressbedingt ausfallen …?“ Interessanterweise antworten hier Mitarbeiter offener, als wenn man sie fragen würde, was man tun könne, damit sie gesund, glücklich und motiviert bleiben.
Daraus können kleine Anleitungen zum Glück entstehen, die sehr viel dazu beitragen, dass Kollegen achtsamer miteinander umgehen und mehr Verständnis füreinander aufbringen.
Eine systemische Grundannahme ist: Handeln macht immer Sinn für den Handelnden – zumindest für diesen Zeitpunkt. Bevor das seltsame Verhalten des Mitarbeiters einen also wieder ärgert, empfiehlt sich ein Blick in das Benutzerhandbuch – oder das Nachfragen, was wohl die guten Gründe für diese Handlungsstrategie waren.
5. Wenn du es eilig hast, gehe langsam
Die hormonelle Stressreaktion befähigt uns zu körperlichen Höchstleistungen. Pech für unsere heutigen Arbeitsprozesse, da diese nicht mehr muskulär, sondern mit kognitiven Höchstleistungen gemeistert werden müssen. Stress deaktiviert die Großhirnrinde und so kommt es, dass in vielen Unternehmen vor lauter Stress purer Aktionismus herrscht – statt in einem Moment der Ruhe achtsam das weitere Prozedere zu planen.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass Führungskräfte Vorbilder sind und zum Beispiel in den Pausen nichts anderes tun, als eine Pause zu machen. Oder pünktlich in den Feierabend gehen – und vor allem: Keine E-Mails außerhalb der Arbeitszeiten schreiben. Immer mehr Unternehmen führen diese Etikette ein, wissend, dass gestresste Mitarbeiter viel kosten. Alle zwei Stunden sollten Mitarbeiter zwei Minuten Pause machen, innehalten, mit Mitarbeitern aus anderen Bereichen vielleicht ein kurzes Gespräch führen, um auf neue Gedanken zu kommen oder einfach nur kurz durchzuatmen. Ein Unternehmen hat beispielsweise mit großem Erfolg „Raucherpausen für Nichtraucher“ eingeführt und es konnte nachgewiesen werden, dass dadurch sogar mehr Arbeit in kürzerer Zeit erledigt wurde.
6. Was hat ein Papierkorb mit Innovation zu tun?
Als Ergebnis der Effizienzmaximierung in Unternehmen wurden die Wege immer kürzer, man hat kaum noch Anlass, den Arbeitsstuhl im Büro zu verlassen. Das ist schade, denn unser Gehirn liebt diese kleinen Lösungswege. Gerade in diesen Momenten ist unsere rechte Gehirnseite hochaktiv. Walt Disney wusste davon und verpflichtete seine Mitarbeiter, 30 Prozent der Arbeitszeit träumend vorzudenken: „If you can dream it, you can do it!“ Ein schöner Auftakt dazu, in Teambesprechungen die VW-Regel endlich anzuwenden: statt Vorwürfen Wünsche formulieren und Kriterien einer guten Lösung gemeinsam besprechen.
Vielleicht sind es gerade die kleinen Ideen, die auf dem Weg zum gesunden Unternehmen so viel bewirken. Eine Firma hat zum Beispiel die Papierkörbe zentral aufgestellt, so wurde die Entsorgung von Papier zum kommunikativen schnittstellenübergreifenden Kommunikationsplatz. Oder ein „Betriebsrad“ eingeführt: Jeder Mitarbeiter kann der lauten Fabrikationshalle kurz entfliehen, um mit dem Fahrrad, welches gleichzeitig auch ein schöner Werbeträger ist, zum Bäcker zu fahren.
Unser Gehirn braucht Ruhe, um Lösungen zu finden. Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern kleine produktive Auszeiten gönnen. So wie man als Kind die Wolken beobachtet hat, so wirkt sich diese Auszeit auch heute für uns höchst produktiv aus: Man findet mehr Ideen und ankert Wissen – unser Gehirn ist hochaktiv, wenn wir äußerlich zur Ruhe kommen.
7. Was hat Schielen mit Konfliktlösung zu tun?
Im Chinesischen hat das Schriftzeichen für „Konflikt“ zwei Bedeutungen: Gefahr und Chance. Wenn man Fehlermanagement in diesem Sinne begreifen würde, dann könnte eine Kultur des Lernens und der Angstfreiheit in einem Unternehmen entstehen. Im Systemischen Coaching zum Beispiel ist der Perspektivwechsel bereits der Schlüssel zur Lösung. Konflikte entstehen nur durch unsere Bewertung des Geschehens oder durch unterschiedliche Annahmen. So lohnt es sich, im Konflikt auf die mögliche Chance zu blicken, aber auch, eine andere Perspektive zu suchen, zum Beispiel das Geschehen einmal aus Sicht des Konfliktpartners zu betrachten und seine Sicht auf die Dinge zu begreifen – das würde helfen, zu einem langwährenden Konsens statt zu einem kurzfristigen Kompromiss zu kommen. Jeder Konflikt – ob innerer Art oder mit einem Gegenüber – ist ein Konstrukt der eigenen Wahrnehmung (Autopoiesis). Sagt man beispielsweise „Ich habe keine Zeit“, ist das eine Täuschung, denn wir haben Zeit, solange wir leben. Dann ist es doch besser, sich positiv zu täuschen und zu sagen: „Ich habe Zeit!“ Das löst sofort andere Gefühle aus. Alles ist schließlich nur eine Frage der klaren Entscheidung: Für was habe ich gerade Zeit (oder nicht)? Wenn ich beispielsweise „Nein“ zu jemandem sage, sage ich Ja“ zu mir und meinem derzeitigen Arbeitsauftrag. Es lohnt sich also, auf die Konflikte zu „schielen“.
Effizient und wirksam gesteuert
Vielleicht können diese sieben Punkte Anregungen sein, die Verhaltens- und Verhältnisprävention in Unternehmen genauso anzugehen, wie alle anderen Prozesse im Unternehmen: Effizient und wirksam gesteuert. Die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen kann ein wichtiger Fingerzeig auf mögliche Stressoren im Unternehmen sein. Nur werden leider in den meisten Verfahren die Resilienz-Faktoren nicht evaluiert aber genau das wäre für eine Gefährdungsbeurteilung sehr wichtig. Empfehlenswert ist in jedem Fall, dass sowohl Mitarbeiter und Führungskräfte über Prävention, Symptome und Verlauf des Burnout-Syndroms gut geschult werden als auch dass Kontakte zu örtlichen systemischen Spezialisten vorhanden sind. Eine Intervention in Form eines Coachings oder eines Seminars ist umso wirksamer und kostengünstiger je frühzeitiger sie erfolgt. Lassen Sie es also erst gar nicht anbrennen.
Was Führungskräfte für sich tun können
Diese fünf Übungen dienen der täglichen Burnout-Prävention und als kleiner Test, ob bereits erste Warnzeichen vorliegen.
- 1.
Machen Sie doch für fünf Minuten einfach mal NICHTS. Sollte Ihnen dies nicht gelingen, weil die Gedanken oder das Telefon nicht zur Ruhe kommen, können Sie es mit fünf wertschätzenden Gedanken an sich oder Ihre Mitarbeiter versuchen.
- 2.
Notieren Sie ganz spontan, was Ihnen heute gutgetan hat, worauf Sie mit Zufriedenheit blicken oder was Ihnen an einem Mitarbeiter Freude bereitet.
- 3.
Oder atmen Sie ruhig und gelassen für fünf Atemzüge tief in den Bauch und entspannen mit jedem Atemzug noch mehr Ihre Gedanken, Muskelgruppen und Ihre Sichtweise auf die Dinge.
- 4.
Die Achtsamkeitsfünf: Welche fünf schönen und erfüllten Momente fallen mir für heute ein? Fünf Takte einatmen, fünf Takte Pause, fünf Takte ausatmen, fünf Takte Pause. Welche Bedürfnisse waren heute erfüllt? Welche nicht?
- 5.
Ein Blick in den Terminkalender zeigt: Haben Sie pro Woche mindestens fünf Stunden der Muße? Heilige Zeit, in der Sie machen können, was Ihnen wichtig ist und was Sie erfüllt?
Sollten Ihnen die „Take five“ leicht von der Hand gegangen sein, dann gelingt Ihnen die Eigen-Führung offensichtlich schon sehr gut und Sie können gut gerüstet in die tägliche Balance von Privatem, Arbeit und sozialem Umfeld gehen. Falls nicht: Mittlerweile bieten die meisten Krankenkassen gute Burnout-Präventionsprogramme an. Scheuen Sie sich nicht, sich rechtzeitig Inspiration für ein Leben in Balance zu holen.
Autorin
Karin Probst, Business Coach und Stress- und Burnoutpräventionsberaterin, Ulm,
probst@2-change.de
- Nicht um jeden Preis
- Von Schrauben und Menschen
- „Ein Problem liegt im Anreizsystem im Einkauf“
- „HR muss sich im Einkaufsprozess professionalisieren“
- Keine Industrie 4.0 ohne Arbeitswelt 4.0
- Trends im Ausbildungsmarketing
- Selbstbewusste Sinnsucher
- Willkommenskultur zum Ausbildungsstart
- Akademisierung: Wahn oder Wunsch?
- Maßlos oder Maßarbeit
- Die Kontakte spielen lassen
- Talente interaktiv ansprechen
- Ein entscheidender Wettbewerbsfaktor
- Mittlere Reife
- Reality-Games für Führungskräfte
- Manchmal reicht ein offenes Ohr
- Virtuelle Teams zusammenschweißen
- Flexibler Mitarbeitereinsatz über Blackberry & Co.
- Lernen in Eigenregie