Ausgabe 7 - 2014
Reality-Games für Führungskräfte
Führungskräftetrainings deutscher Unternehmen verfehlen häufig ihr Ziel. Der Grund liegt nach Ansicht deutscher Arbeitnehmer auf der Hand: Viele Mitarbeiter kritisieren zu viel Theorie und wenig Praxisnähe. Dieser Beitrag zeigt, wie man es richtig macht.
Bereits seit zwei Jahren sichtet die Unternehmensberatung Q_Perior am Markt verfügbare Führungskräftetrainings, um vor allem Herausforderungen der eigenen Branche abzubilden. Elternzeit, Sabbaticals oder Regelungen zum Home-Office lassen sich im Projektgeschäft einer Beratung beispielsweise schwieriger abbilden als in Unternehmen mit lokalen Office-Standorten. Das bestätigt auch eine Umfrage von Q_Perior unter 1000 Arbeitnehmern in Deutschland: 63 Prozent bemängeln, dass viele Trainings eher Standardfälle behandeln und kaum Branchenbezüge aufweisen (Abbildung 1).
Abbildung 1
Führungskräfteentwicklung in deutschen Unternehmen

Deutsche Arbeitnehmer zeigen sich bei Führungskräftetrainings zurückhaltend.
Sechs von zehn Mitarbeitern befürchten, das Gelernte kaum anwenden zu können, sobald es konkret wird. Hinzu kommt, dass Q_Perior erst 2011 aus agens Consulting, ESPRiT Consulting und paricon hervorgegangen ist. Das Training soll daher auch dazu dienen, eine passende Führungskultur zu entwickeln und Personalverantwortliche bei der Umsetzung aktiv einzubinden.
Reality-Game aktiviert Führungskompetenz
Die Lösung: Ein individualisiertes und komplett selbst entwickeltes Führungskräftetraining, das in den Kontext der eigenen Unternehmensstrukturen hineinpasst. Branchenübergreifend halten 71 Prozent der Angestellten das für den richtigen Weg. Schließlich lassen sich so am ehesten unternehmenstypische Prozesse und Strukturen sowie die Eigenheiten der Branche auffangen.
Das Führungsmodell bei Q_Perior sieht beispielsweise Coaches auf den Projekten und Leads in der Linie vor, die sich gemeinsam um die Mitarbeiterführung kümmern. Im Alltag stellen sich für diese Kollegen jedoch unterschiedliche Herausforderungen. Im Rahmen eines zweitägigen Reality-Games lernen die Kollegen anhand typischer und regelmäßig wiederkehrender Situationen aus der tatsächlichen Führungspraxis, ihr Führungsverhalten zu reflektieren und gemeinsam zu besseren Entscheidungen zu kommen.
Der Clou: Alle Teilnehmer bleiben die ganze Zeit über in ihrer Führungsrolle, müssen auftretende Schwierigkeiten gemeinsam bearbeiten und zu einer guten Lösung kommen sowohl für das Unternehmen als auch den Mitarbeiter. Dabei steht die praktische Anwendung im Fokus, um Besprochenes unmittelbar anzuwenden. Fast 92 Prozent der Angestellten wünschen sich das auch für Führungskräftetrainings in ihrem Unternehmen.
Gute Entscheidungen stehen im Fokus
Bei Q_Perior umfasst das Planspiel 16 reale Fälle, die tatsächlich von den Teilnehmern im Führungsalltag erlebt werden und im Unternehmen bereits vorgekommen sind. Das Spiel selbst findet auf einem Spielplan mit verschiedenen Ereignisfeldern statt, die sich um die drei maßgeblichen Anforderungen an Führungskräfte drehen: Führen im Dialog, Führen im Dilemma und Führen im Prozess.
Abbildung 2
Spielplan

Der Plan bildet typische Führungssituationen im Beratungsalltag ab.
Konkret geht es also um das Finden gemeinsamer Lösungen, Kommunikation in schwierigen Situationen bei unterschiedlicher Interessenlage und schnelle Entscheidungen bei eher spontan auftretenden Ereignissen. Dabei erhalten die Teilnehmer regelmäßig Feedback von anderen Mitspielern, zwei professionellen Trainern und von Mitgliedern der ersten Führungsebene, die bei jedem Training mit von der Partie sind. So gewährleistet Q_Perior die notwendige Management-Attention und schafft Raum für direkten Austausch.
Gerät das Spiel mal ins Stocken, stehen erfahrene HR-Ansprechpartner und das Management mit Rat und Tat zur Seite. Mit Leadership-Credits, einer fiktiven Spielwährung, bezahlen die Teilnehmer wertvolle Tipps und Tricks vom Spielfeldrand. Bonifikationen gibt es dagegen für innovative Lösungen oder untereinander ausgetauschte Ideen. Dabei dient der Wettbewerb um die meisten Credits jedoch vor allem dazu, Ehrgeiz zu entfachen und verfügbare Mittel für die bestmögliche Lösung der aktuellen Aufgabe einzusetzen.
Rahmenbedingungen ändern sich ständig
In der praktischen Umsetzung sieht das Spiel daher keinen Sieger im ursprünglichen Sinne des Wortes vor. Zwar spielen die Führungskräfte in Teams und können mit Hilfe gewonnener Credits Erfolge untereinander vergleichen. Doch die meisten Leadership-Credits bedeuten nicht automatisch die beste Führungsperformance. Denn häufig kommen die besten Ideen erst zustande, wenn die Kollegen verfügbare Prozesse, Gespräche und Unterstützung aktiv nutzen.
„Werteflüsse“ von ausgegebenen Leadership-Credits spiegeln damit Möglichkeiten wider, die den Führungskräften im Unternehmen tatsächlich zur Verfügung stehen, um sich in konkreten Situationen die gewünschte Hilfestellung zu holen. Das Ziel: Durch perfektes Zusammenspiel aller verfügbaren Ressourcen optimale Entscheidungen zu treffen.
Diese Fähigkeit, Unterstützung in Anspruch zu nehmen und für eine gute Entscheidung auf im Unternehmen bereits bewährte Prozesse zu setzen, spielt vor allem in der Beratung eine entscheidende Rolle. Denn im dezentral organisierten Projektgeschäft mit oft wechselnden Teamzusammenstellungen oder vom Kunden formulierten Anforderungen ändern sich die Rahmenbedingungen manchmal schon von Tag zu Tag. Das schafft auch für Führungskräfte immer wieder neue Entscheidungssituationen. Beispiele: Ein Berater ist als SAP-Experte für einen länger andauernden Kundeneinsatz vorgesehen. Doch die Familienplanung führt dazu, Reisetätigkeiten reduzieren zu wollen und näher am Wohnsitz zu arbeiten. Oder eine vom Kunden vorgegebene Feiertagsregelung kollidiert mit gewohnten Arbeitsbedingungen. Was tun? Standardisierte Verhaltensregeln stoßen dabei häufig an Grenzen.
Mehrwert: Führungshandbuch entwickeln
Vor diesem Hintergrund erweist sich eine Führungskultur, die von den Führungskräften mit entwickelt worden ist, als besonders wertvoll. Deshalb fließen alle Ergebnisse des Planspiels in einen „Leading-Guide“ ein, der alle während des Trainings entwickelten Lösungsstrategien enthält. Auf diese Weise bekommen die Teilnehmer unmittelbar einen auf das Unternehmen passenden Leitfaden an die Hand und können durch ihr Handeln das künftige Miteinander in kritischen Führungssituationen mitbestimmen.
Diese Form der Nachhaltigkeit erfüllt kein extern beauftragtes Trainingsformat. Darüber hinaus garantiert das interaktive Moment des Spiels, dass alle Teilnehmer genügend Freiraum bekommen, um sich selbst einzubringen und praktisch auszuprobieren. Herkömmlichen Seminaren und moderierten Rollenspielen gelingt dies nur selten, da einzelne Teilnehmer für ein nachhaltiges Erfolgserlebnis meist zu wenig Übungszeit bekommen. Das Planspiel gewährleistet dagegen, dass sich alle Teilnehmer am Geschehen beteiligen können und über die Spaßkomponente beim Lösen der Aufgaben auch persönliche Erfolge für sich verbuchen können – und wer mit Spaß bei der Sache ist, lernt besser.
Planspiel in HR-Maßnahmen einbetten
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass im Unternehmen auftretende Dilemmas, etablierte Prozesse und Strukturen sowie die Menschen, die eine Führungskultur leben, zu individuell ausfallen, als dass Standardlösungen zum Erfolg führen könnten. Zusätzlicher Vorteil: Selbst entwickelte Trainings bieten die Chance, Personalverantwortliche im firmeneigenen Kontext anzusprechen und in diesem Zusammenhang bereits etablierte HR-Instrumente und IT-Tools in das Trainingsprogramm zu integrieren. Dies unterstreicht die unmittelbare Anwendbarkeit des Gelernten zusätzlich. Q_Perior setzt beispielsweise für Zielvereinbarungen SAP Success Factors ein, das auch während des Planspiels zur Verfügung steht. Darüber hinaus geben alle Mitarbeiter im Rahmen des jährlichen Lead-Feedback anonymisiert Rückmeldung an ihre Führungskraft – eine Methode, die sich gut 94 Prozent aller Beschäftigten sehnlichst wünschen und auf die Führungskräftetrainings von der Stange nur eingeschränkt vorbereiten können.
Sechs Erfolgskriterien für das eigene Führungskräftetraining
- 1.
Praxisbezug: Alle Teilnehmer verbringen das Training in ihrer Rolle als Führungskraft statt abwechselnd nur theoretische Aufgaben zu lösen.
- 2.
Realbezug: Trainingsinhalte entsprechen echten Fällen aus dem Führungsalltag und orientieren sich an den im Unternehmen bereits bekannten Prozessen.
- 3.
Feedback: Professionelle Trainer, erfahrene HR-Kollegen und das Management geben während des Trainings qualifiziert Feedback, um Transferverluste zu vermeiden.
- 4.
Motivation: Spielerische Elemente, praktische Übungen und ein aktiver Austausch schaffen die nötige Motivation, um gemeinsam eine Führungskultur zu prägen.
- 5.
Nachhaltigkeit: Das Training steigert die Selbstwahrnehmung als Führungskraft und trägt dazu bei, einen Leadership-Guide für das eigene Unternehmen zu entwickeln.
- 6.
Transparenz: Unausgesprochene Regeln des Führungsalltags kommen auf den Tisch und lassen sich anhand des Gelernten überprüfen.
Autorinnen
Isabell Wirth, Personalmanagerin, Leiterin Personalentwicklung, Q_PERIOR AG, München,
isabell.wirth@q-perior.com
Ute Waidelich, Geschäftsführerin, Organisationsberatung develoop, Neustadt,
waidelich@develoop.de
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