Ausgabe 7 - 2014
Trends im Ausbildungsmarketing
Was bringt die Zukunft im Ausbildungsmarkt? Unser Autor hat 13 Trends identifiziert – einige davon kann man sicher kontrovers diskutieren. Aber eines sollte das Ausbildungsmarketing nicht tun: diese Trends ignorieren.
Für ein erfolgreiches Ausbildungsmarketing ist es entscheidend, ein Gespür für aktuelle Entwicklungen im Ausbildungsmarkt und rund um das Thema Ausbildung zu haben. Aus diesem Grund werden nachfolgend einige relevante Trends angesprochen. Ein Teil der folgenden Trendaussagen gibt dabei, einem Orakel gleich, Hinweise auf Zukunfts- und Entscheidungsfragen (von einigen auch gerne als Rechtfertigungsgründe genutzt); der andere Teil beschreibt zukünftige Entwicklungen auf der Basis heute gewonnener Daten und Untersuchungen, wie sie in der Zukunftsforschung zur Anwendung kommen. Insofern ist der Begriff „Trend“ bewusst gewählt: weil er Veränderungen und Strömungen beschreibt, um Aussagen über zukünftige Entwicklungen treffen zu können – ohne dass diese in jeder Hinsicht über eine lange Zeitreihenanalyse validierbar sind. Dennoch sollen sie durchaus zum kontroversen Diskurs anregen.
Trend 1: Der Ausbildungsmarkt wird zum Bewerbermarkt
Die Steigerung bei den neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen aus den vergangenen Jahren konnte für das Ausbildungsjahr 2012 nicht fortgeschrieben werden. Mit 551 272 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen war ein Rückgang von über drei Prozent gegenüber dem Vorjahr festzustellen – eine Folge der demografischen Entwicklung und des gezielten Abbaus der außerbetrieblichen Ausbildung.
Bis zum Jahr 2025 wird sich die Zahl der jungen Menschen, die für eine berufliche Ausbildung infrage kommen, stark vermindern. Deutlich weniger Jugendliche werden die allgemeinbildenden oder beruflichen Schulen verlassen. Nach den heutigen Prognosen rechnet man deutschlandweit mit nur noch 442 400 nicht studienberechtigten Schulabgängern für das Jahr 2025. 2004 waren es noch 714 800, 2012 sank die Zahl bereits auf nur noch 534 600.
Trend 2: Die Politik will Akademiker
Im internationalen Vergleich ist die Akademikerquote Deutschlands gering – zu gering in Augen der Politik, die sie unbedingt erhöhen will. Und zwar mit allen Mitteln. Während sich die Hochschulen mit einem Ansturm von Studierenden konfrontiert sehen, werden in der dualen Ausbildung junge Menschen fehlen. In Deutschland macht ein immer größerer Teil der Schüler Abitur – und selbst ohne Abitur ist heute ein Studium möglich. Damit ist der Anteil der Studienanfänger innerhalb von 15 Jahren von 28,1 auf 54,7 Prozent (2012) eines Jahrgangs gestiegen. Der Journalist Ferdinand Knauß forderte jüngst ein „Ende des Akademisierungswahns“. Er rechnet vor, dass bei Fortschreibung der aktuellen Entwicklung in 15 Jahren drei von vier jungen Menschen – und in 30 Jahren alle – studieren. Außerdem stellt er fest, dass, wer einmal Student sei, kaum noch Lehrling werden wolle.
Trend 3: Selbst den Ballungsräumen gehen die Lehrlinge aus
Sogar für Unternehmen in Ballungsräumen wird es immer schwieriger, Lehrstellen zu besetzen und geeignete Bewerber zu finden. So blieben 2012 selbst in der Boom-Region Stuttgart im Handwerk viele Hundert Lehrstellen unbesetzt. Gleiches trifft auch auf Bayern zu, wo laut Peter Kammerer, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der IHK München, im gleichen Zeitraum rund 10 000 Ausbildungsplätze nicht besetzt werden konnten. Ähnlich gestaltet sich die Situation in NRW, wo nach der IHK-Ausbildungsumfrage fast jeder fünfte Betrieb mangels geeigneter Bewerber Ausbildungsstellen unbesetzt lassen musste.
Trend 4: Ausbildungen werden immer kürzer
Gemäß Berufsbildungsgesetz sollte die Ausbildungsdauer grundsätzlich nicht mehr als drei und nicht weniger als zwei Jahre betragen – zwar dauern nach wie vor einige Ausbildungen länger, doch der Anteil kürzerer Ausbildungen steigt. Von 2003 bis 2012 sank die Zahl der Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungsdauer von 42 Monaten von 58 auf 54, während die Zahl der Ausbildungsberufe mit einer Ausbildungsdauer von 36 Monaten relativ konstant blieb (253 versus 250). Bei den Berufen mit einer relativ kurzen Ausbildungsdauer von 24 Monaten stieg die Gesamtzahl verhältnismäßig am deutlichsten an (von 34 auf 38).
Trend 5: Ausbildungen werden immer häufiger abgebrochen
Im Berichtsjahr 2011 wurden bundesweit rund 150 000 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Etwa 65 Prozent aller Vertragslösungen fielen dabei in den Zeitraum der ersten zwölf Monate nach Vertragsbeginn, ein Drittel (33,7 Prozent) sogar in die als Probezeit ausgeflaggten ersten vier Monate. Zwar muss hier zwischen den Berufsgruppen, dem Schulabschluss und auch zwischen den Bundesländern deutlich unterschieden werden. Das ändert aber nichts daran, dass damit nahezu jede vierte Lehre in Deutschland frühzeitig abgebrochen wird.
Trend 6: Die Ausbildungsreife ist ein brennendes Thema
Jenseits der rein quantitativen Diskussion muss man für den deutschen Ausbildungsmarkt festhalten: Es hat Gründe, wenn rund 76 000 Bewerber – unabhängig davon, ob sie mit oder ohne Alternative keinen Ausbildungsplatz gefunden haben – von den Unternehmen nicht eingestellt wurden. Eine Begründung: mangelnde Ausbildungsreife. Die DIHK-Umfrage „Ausbildung 2012“, an der über 14 500 Unternehmen teilnahmen, bescheinigt vielen Schulabgängern aus Unternehmenssicht Mängel in der Ausbildungsreife. Die Zahlen sind eklatant: Etwa drei Viertel der deutschen Jugendlichen werden als nicht ausbildungsreif eingeschätzt. Trauriges Schlusslicht ist der Osten Deutschlands, wo die befragten Unternehmer mehr als vier von fünf Jugendlichen als nicht ausbildungsreif einschätzen – gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl sogar von 80 auf 82 Prozent gestiegen. Im Süden und im Westen bescheinigen 74 Prozent der Unternehmen den Ausbildungsplatzbewerbern eine unbefriedigende Ausbildungsreife, im Norden sind es 73 Prozent. Ferner sind die Betriebe zunehmend unzufrieden mit den sozialen Kompetenzen der Schulabgänger: 48 Prozent der Unternehmen beklagen Disziplinlosigkeit, 45 Prozent geringe Belastbarkeit und 49 Prozent unzulängliche Leistungsbereitschaft. Auch bewerten die Hälfte aller Betriebe das schulische Wissen vieler Ausbildungsplatzbewerber in Deutsch und Mathematik als unzureichend.
Trend 7: Schwächere Bewerber kommen langsam in den Fokus
Als Reaktion auf die sinkenden Schulabgängerzahlen nimmt die Bereitschaft der Unternehmen zu, die Anforderungen an die Bewerber abzusenken. Hier passiert eine rapide Entwicklung: 2010 waren nur acht Prozent der Unternehmen bereit, Abstriche bei der Bewerberqualifikation zu machen; 2011 waren es zwölf und 2012 bereits 16 Prozent der Unternehmen. Banken und Versicherungen indes sehen in der Absenkung der Anforderungen keine Antwort auf die unzureichende Anzahl an passgenauen Bewerbungen: Sie werben nun zunehmend um Studienabbrecher.
Trend 8: Verschiedene Unternehmen suchen die gleichen Bewerber für die gleichen Ausbildungsberufe
Gemäß Bundesinstitut für Berufsbildung existieren in Deutschland etwa 350 anerkannte Ausbildungsberufe (nach BBiG und HwO) – eine Zahl, die sich in den letzten zehn Jahren kaum verändert hat. Die Zahl der Neuabschlüsse von Ausbildungsverträgen betrug für das Ausbildungsjahr 2012 genau 551 272, wobei alleine auf die ersten 25 Ränge 326 331 Abschlüsse entfielen, was einem Anteil von 59,2 Prozent (gemessen an der Gesamtanzahl der abgeschlossenen Ausbildungsverträge) entspricht. Kurzum: Verschiedene Unternehmen suchen die besten und passgenauen Bewerber für die gleichen Ausbildungsberufe – und das bedeutet: noch mehr Wettbewerb.
Trend 9: Jugendliche wollen „coole“ Berufe
Die Entscheidung für oder gegen einen Ausbildungsplatz wird von den Jugendlichen neben Aspekten wie Arbeitszeiten, Verkehrsanbindung oder Betriebsgröße unter anderem auch von der Attraktivität des Ausbildungsberufes selbst abhängig gemacht. Nachgefragt sind beispielsweise Berufe wie „Gestalter für visuelles Marketing“ oder „Veranstaltungskaufleute“. Vermeintlich „uncoole“ Berufe hingegen stellen für die meisten Ausbildungssuchenden keine Alternative dar – so etwa die Ausbildung zum Bäcker, Landwirt oder Gebäudereiniger.
Trend 10: Jugendliche finden Unternehmen, die sie kennen, attraktiv
Bei der Wahl der Ausbildungsunternehmen liegen die Präferenzen hauptsächlich bei Unternehmen und Organisationen, die den Jugendlichen bereits bestens bekannt sind und die sie in ihrem Alltag begleiten. In einer Trendence-Umfrage von 2012 etwa setzt sich die Polizei mit 10,6 Prozent an die Spitze der Rangliste, gefolgt von der ProSiebenSat.1 Media AG mit 9,2 Prozent, der Bundeswehr mit 7,4 Prozent, der BMW Group mit 7,2 Prozent, H&M Hennes & Mauritz mit 6,5 Prozent und ADIDAS mit 6,4 Prozent.
Trend 11: Jungs ticken meist anders als Mädchen
Obwohl die Politik mit Girls’ Day & Co. versucht, Mädchen für technische Berufe zu begeistern – und inzwischen in gleichem Maße danach trachtet, Jungen etwa für erzieherische und pflegerische Tätigkeiten zu erwärmen –, sind die beruflichen Interessen von Mädchen und Jungen eindeutig unterschiedlich. Auch hier belegt die Trendence-Befragung: Männliche Schüler favorisieren insbesondere die Automobil- und Luftfahrtindustrie mit 42,4 Prozent, gefolgt von IT, Software und Elektrotechnik mit 16,6 Prozent und dem öffentlichen Sektor (Sicherheit/Verteidigung) mit 15,3 Prozent. Schülerinnen hingegen sehen ihre beruflichen Perspektiven eher im Handel mit 30,8 Prozent oder im Konsumgüterbereich mit 18,9 Prozent – und erst dann in der Automobil- und Luftfahrtbranche oder der Industrie (16,3 Prozent).
Trend 12: Der Nachwuchs will Abwechslung
Bei einer Untersuchung der IGS Organisationsberatung GmbH (gemeinsam mit der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände, der Frankfurter Rundschau und der Wirtschaftszeitung „Aktiv“) wurden insgesamt 1600 Schüler, Auszubildende, Studierende und Eltern befragt. Die Auswertung zeigte, dass sich der Nachwuchs in erster Linie im Arbeitsleben Abwechslung (elf Prozent) wünscht, gefolgt von hohem Einkommen (neun Prozent), Zeit für die Familie (neun Prozent), netten Kollegen (neun Prozent) und Entwicklungsmöglichkeiten (neun Prozent). Verantwortung scheint der Nachwuchs eher meiden zu wollen: Nur vier Prozent der jungen Leute wünschen sich dies als Herausforderung des Arbeitslebens.
Trend 13: Karriere-Websites sind der primäre Kommunikationskanal
Die Kommunikationskanäle sind für beide Hauptakteure im Ausbildungsmarketing wichtig. Während die künftigen Auszubildenden ihren Informationsbedarf decken wollen, sind es die Unternehmen, die ihre Botschaften und Angebote kommunizieren wollen. Im Zuge einer Online-Befragung durch die u-form Testsysteme, die Hochschule Heilbronn und das Portal Azubister.net wurden hierzu 1155 Personen (441 Ausbildungsverantwortliche und 714 Azubis und Schüler) befragt. Kommunikationskanal Nr. 1 ist das Internet, hier insbesondere die Karriere-Websites der Unternehmen. Sowohl die Ausbildungsverantwortlichen als auch die künftigen Auszubildenden präferieren die Karrierewebsites der Unternehmen als bevorzugten Informations- und Kommunikationskanal. Daneben nehmen Multiplikatoren nach wie vor eine sehr wichtige Rolle ein: 59 Prozent der befragten Auszubildenden nutzen den Rat der Eltern und der Lehrer intensiv bis sehr intensiv, um sich über Ausbildungsbetriebe zu informieren. Indessen sind Social-Media-Kanäle für diesen Zweck (noch) relativ unbeliebt.
Literatur-Tipp
Dieser Beitrag ist ein für die Personalwirtschaft bearbeiteter Auszug aus dem Buch:
Ausbildungsmarketing 2.0. Die Fachkräfte von morgen ansprechen, gewinnen und binden
1. Auflage, herausgegeben von Prof. Dr. Christoph Beck und Stefan F. Dietl, Umfang: ca. 350 Seiten
ISBN 978-3-472-07899-9
Autor
Professor Dr. Christoph Beck, Hochschule Koblenz, Lehrgebiet Human Resources Management,
beck@hs-koblenz.de
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