Ausgabe 7 - 2015
Wir ernten, was wir säen

Führungskräfte im Mittelstand müssen sich neuen Herausforderungen stellen: eigene Verhaltensweisen aufgeben, die persönliche Komfortzone verlassen und auf eine Kultur des Vertrauens und der Begeisterung setzen. Die Belohnung sind mitdenkende und loyale Mitarbeiter.
Internationale Projekte, komplexe, unscharf definierte Aufgaben und unübersichtlicher werdende Netzwerke verwischen die Grenzen zwischen Führenden und Geführten zunehmend. Führungskräfte verlieren an unmittelbarem Einfluss und Kontrolle. Den Mitarbeitern fällt eine aktivere Rolle zu. Dies gilt verstärkt für die Leistungsträger. Kooperations- und Lernfähigkeit aller im Unternehmen entscheiden heute darüber, wie effektiv und flexibel, innovativ und leistungsstark ein Unternehmen in seinen Märkten agieren kann.
Starke Unternehmerpersönlichkeiten, die den Mittelstand nach wie vor prägen, haben diese Veränderung längst registriert. Sie wissen, sie werden in dieser neuen Konstellation ihre Rolle neu definieren müssen. Unternehmer und Alphachefs, deren Erfolgsrezept bisher charismatisches und entscheidungsschnelles Auftreten war und die damit erfolgreiche mittelständische Firmen gegründet und gesteuert haben, sind in diesem Umfeld gezwungen, umzudenken. Sie verlieren an direkter Kontrolle und Überblick. Führungskräfte werden damit nicht überflüssig, aber sie werden ihre Leistungsträger und Teams in Zukunft anders führen müssen. Wie? Dazu drei Thesen:
1. Führungskräfte müssen Leistungsträger und Mitdenker entdecken, einbinden und entwickeln. Denn: „It takes three to tango“, um ehrgeizige Ziele realisieren zu können.
2. In der Vernetzung liegt die Kraft. Es geht nicht mehr um die Taten eines einzelnen Unternehmers, sondern um die Fähigkeit, wie ein Dirigent seine Musiker, die eigentlichen Spezialisten, so zu orchestrieren, dass das beste Ergebnis für die komplette Organisation herauskommt.
3. Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser. Für moderne, erfolgreiche Unternehmer und Führungskräfte heißt dies, sich täglich auf eine Expedition außerhalb der persönlichen Komfortzone zu wagen. Dieses unternehmerische Wagnis fängt bei der Führungskraft selbst an.
Die Ein-Mann-Show hat ausgedient
Ein Video auf Youtube zeigt einen Mann auf einer bevölkerten Wiese. Er tanzt. Die Zuschauer wirken irritiert, tuscheln. Plötzlich gesellt sich einer der Umstehenden zu ihm und tanzt mit. Als noch eine dritte Person einsteigt, geht ein sichtbarer Ruck durch die Menge, immer mehr machen mit. Innerhalb von Minuten ist aus einer scheinbaren Spinnerei eine echte Bewegung geworden.
Nun sind die unternehmerischen Ideen innovativer Mittelständler keine Spinnereien. Dennoch zeigt dieses Video deutlich, wie Führung im 21. Jahrhundert funktionieren kann. Die Idee, der Funke des Unternehmers ist wichtig. Genauso wichtig ist, dass für unbequeme Entscheidungen und ungewöhnliche Neuerungen ein breites Commitment im Unternehmen entsteht. Führung als Ein-Mann-Show hat hier weitgehend ausgedient.
Es sind die Mitdenker und Mit-Unternehmer, die mit ihrer Eigeninitiative und Lösungsorientierung das nötige Momentum für herausragende Ergebnisse erzeugen und aufrechterhalten. Sie wirken als Multiplikatoren. Es sind nicht länger die Genieblitze einzelner Führungskräfte, sondern es sind die Mitunternehmer, die mit ihren Kontakten und ihrer Energie Mittelständler krisenfest, lernfähig und lebendig machen. Auch weil sie als Mitgestalter andere im Team befeuern, sind sie unverzichtbar und halten den Laden am Laufen. Wer von ihnen in jedem Team zwei hat, braucht sich über die Performance keine Sorgen zu machen.
Diese Leistungsträger lassen sich schon lange nicht mehr mit Weisungsbefugnis oder Richtlinienkompetenz steuern. Dazu müssten ihre Vorgesetzten ja auch mindestens so nahe am Marktgeschehen, tief im Thema und gut vernetzt sein wie sie selbst. Exzellent geführte Mittelständler schaffen es, jene zurate zu ziehen, die es wissen müssen, weil sie beispielsweise täglich im Kundenkontakt stehen und Probleme lösen.
Mitläufer zu Mitgestaltern machen
Mitarbeiter auf dem Level von Mitgestaltern lassen sich dauerhaft nur von echten Persönlichkeiten führen. Leistungsträger entscheiden heute selbst, ob sie einer Person das Recht einräumen, sie zu führen. Autorität wird durch den Mitarbeiter freiwillig zugewiesen. So verschiebt sich die Macht deutlich zu den Mitarbeitern. Fehlt es auf Dauer an Führungsqualität, gehen sie, und der Schaden beispielsweise durch den Abfluss von Wissen und Beziehungsnetzwerken ist groß, möglicherweise irreparabel. Auf ihre Bindung und Entwicklung kommt es deshalb besonders an.
Gute Führungskräfte erkennen das Potenzial möglicher Mitdenker und bilden es aus. Führungskräfte dieses Typs streben für jeden Mitarbeiter ein höheres Niveau an, indem sie mit ihm bewusst Ziele außerhalb deren Komfortzone verabreden. Es gelingt ihnen, aus Mitläufern Mitgestalter zu entwickeln. Sie erkennen das Führungspotenzial in den Menschen.
Führungskräfte auf diesem Niveau ziehen Topmitarbeiter an. Führungskräfte dieser Güte schaffen Raum für Eigeninitiative, fordern Entscheidungen aktiv ein und lassen Mitarbeiter in der Verantwortung, wenn es einmal schwierig wird. Sie sehen in ihren Mitarbeitern, was sie im Stande wären zu leisten, und thematisieren das auch. Wechselseitige Aufrichtigkeit und Leistungsdifferenzierung sind ihnen wichtige Tugenden. Gleichzeitig verstehen sie es aber auch, niemanden leichtfertig in eine Führungsrolle zu drängen, der nicht bereit dazu ist. Nicht jeder ist zum Mitunternehmer geeignet. Das macht aus dem jeweiligen Beschäftigten keinen schlechten Mitarbeiter, aber er oder sie ist dann eben nicht der gesuchte Mitgestalter und Mitdenker.
Verantwortung abgeben
Die veränderten Erwartungen der Mitarbeiter an gute Führung sind ein treibender Faktor für die Veränderung der Führungsarbeit, auf die sich Führungskräfte im Mittelstand aktiv einstellen müssen. Ein zweiter, nicht weniger wichtiger Faktor ist die Komplexität und das Tempo des Geschäfts, das ein Einzelner kaum mehr oder gar nicht mehr allein überblicken oder steuern kann. Kein Mittelständler kann sich mehr leisten, wertvolle Zeit zu verlieren bis Ideen verschiedene Hierarchiestufen und Genehmigungsverfahren passiert haben oder im Micromanagement oder dem Gerangel um Zuständigkeiten versanden. Weil das so ist, ist es eine vordringliche Aufgabe der Führung, Verantwortung auf Teams zu verlagern und auf eine herausragende Kooperation einzuwirken. Die Frage muss lauten: Wie führen wir interdisziplinäre Teams so, dass unabhängige Leistungsträger zu schnellen Lösungen im Sinne des Unternehmens kommen? Wie ein Dirigent die Musiker seines Orchesters einsetzt, muss die Führungskraft ihre Mitarbeiter einsetzen. Ein guter Dirigent weiß, wann er den einzelnen Musikern Raum für ihre Kreativität geben muss und wie er sie dazu bringt, als gemeinsamer, strahlender Klangkörper zu überzeugen.
Exzellent geführten Mittelständlern gelingt es, die Zusammenarbeit aller Akteure im Unternehmen so zu orchestrieren, dass am Ende die beste Idee für das Unternehmen zählt und nicht, von wem sie kam. Störenfriede und Querdenker sind dort geschätzte Kollegen. Sie werden eingeladen, sich einzumischen, statt auf das Abstellgleis gestellt, auch wenn ihr scheinbarer Ungehorsam jede Führungskraft herausfordert. Diese Teams agieren außerhalb ihrer Komfortzone.
Chefs konzentrieren ihre Führungsarbeit auf die Qualität der Teamarbeit, bereichernde Lernprozesse, stete Veränderungsfähigkeit, eine förderliche Streitkultur und Verantwortungsübernahme. Ihr Fokus liegt auf der Güte der Zusammenarbeit und einem guten Teamgeist. Besondere Bedeutung geben sie der Fähigkeit, sich als Team selbstkritisch zu hinterfragen. Qualitäten und Lernfelder in der Kooperation werden gemeinsam ausgemacht, um sie aktiv anzugehen, auszubauen oder abzustellen. Regelmäßig überprüfen funktionierende Teams, was sie verbessern, beibehalten oder ausbauen müssen, damit sie ihre Ziele leichter erreichen können. Die Basis dieses Führungsstils ist eine konstruktive Kultur der Auseinandersetzung. Diese lebendige Streitkultur verlangt hohe Verbindlichkeit und Engagement.
Abbildung
Ein Geben und Nehmen

Führungskräfte, die mit Vertrauen führen und Verantwortung abgeben, bekommen loyale und unternehmerisch denkende Mitarbeiter.
Autorität, die auf Persönlichkeit und Integrität basiert
Führungskräfte diesen Niveaus ziehen Leistungsträger besonders an und können sie ans Unternehmen binden. Ihre Autorität basiert auf ihrer Persönlichkeit und Integrität. Werden Mitarbeiter und Teams dementsprechend geführt, bringen sie überdurchschnittliche Leistung, weil sie Vertrauen, Respekt und Loyalität gegenüber ihrer Führungskraft empfinden. Die Mitarbeiter und Teams folgen der Führungskraft nicht, weil sie müssen, sondern weil sie möchten. Sie folgen nicht für andere, sondern für sich, weil sie etwas Signifikantes beitragen können und daran wachsen.
Diesen Typus der Führungskraft findet man bereits in einer Reihe von Unternehmen. Zu erkennen sind sie an einigen typischen Merkmalen.
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Sie haben starke Mitarbeiter an ihrer Seite, die gewohnt sind, zu hinterfragen und gegebenenfalls im Gesamtinteresse des Unternehmens zu widersprechen.
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Sie suchen abweichende Meinungen ihrer Mitarbeiter, um selbst zu bestmöglichen Entscheidungen zu kommen.
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Sie pflegen eine aufrichtige und direkte Kommunikation und erwarten das auch von ihrem Umfeld.
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Sie bekommen offenes, auch unbequemes Feedback von Mitarbeitern zu ihrem Führungsstil.
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Sie legen Wert darauf, dass die beste Idee zählt, nicht ihre eigene.
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Sie unterbinden Schuldzuweisungen, Absicherungsschleifen, Rechtfertigung und Nach-dem-Mund-reden.
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Sie stellen Fragen und hören gut zu.
„Wenn die Katze aus dem Haus ist, dann tanzen die Mäuse.“ Oder: „Mitarbeiter müssen sich mein Vertrauen erst verdienen!“ Noch heute scheint diese Haltung für so manchen Chef als Führungsmaxime zu gelten. Wer darauf setzt, nimmt zwei negative Folgen in Kauf. Führung, die vor allem auf Kontrolle und Wiedervorlage setzt, verbraucht ungeheuer viel Kapazität und forciert gerade bei Mitgestaltern eher den Drang, sich auszudenken, wie diese Kontrollen im Zweifelsfall zu umgehen sind. Funktionierende Teams und Mitgestalter entwickeln ohnehin eigene hohe Qualitätsstandards, die sie permanent überprüfen und zu verbessern versuchen. Dazu brauchen sie Vertrauen. Nur so können sie wachsen.
Vertrauen als Nährboden für Innovation
Jedoch ist Vertrauen nichts, was einfach mal so entsteht oder sofort gegeben ist. Es muss gezielt erarbeitet und gepflegt werden, von beiden Seiten, von der Führungskraft und den Mitarbeitern. Verantwortlich für diesen Prozess, der je nach Team- und Mitarbeiterreife bis zu einem Jahr dauern kann, sind die Führungskräfte. Am eindrücklichsten gelingt der Vertrauensaufbau in schwierigen Situationen. Etwa wenn Fehler passieren oder Kunden sich beschweren. Dann zeigt sich, ob der Chef hinter einem steht, gemeinsam aus den Fehlern gelernt und der jeweils eigene Anteil am Geschehen gesehen wird. Belehrungen, gegenseitige Vorwürfe und Schuldzuweisungen hingegen unterwandern Vertrauen. Vertrauen ist der beste Nährboden für innovative Ideen und Problemlösungen und reduziert Kontrollschleifen. Ohne Vertrauen ist eine Führung auf Distanz und Führung ohne Weisungsbefugnis undenkbar. Poröses Vertrauen führt zu brüchigem Commitment und auf Dauer zur Überlastung der Führungskräfte und zu schlechterer Produktivität.
Vertrauen, Vernetzung und Begeisterung
Statt mit Appellen und Weisungsbefugnis führen zukunftsweisende Chefs im Dialog mit Feedback und Konfliktmanagement und hoher Verbindlichkeit für gemeinsame Ziele. Dabei zeigen sie sich selbst aber ebenfalls angreifbar, auch durchaus einmal zweifelnd und gestehen eigene Schwächen ein. Eine Führungskraft sollte ein echtes Gegenüber darstellen, durchaus als Mensch mit Bedürfnissen und Gefühlen erkennbar sein. Nur durch persönliche Authentizität können Bindung und Vertrauen entstehen.
Starke Führungskräfte ziehen Mitunternehmer regelrecht an. Vorgesetzte hingegen, die sich auf ihre Positionsmacht berufen, haben Mitläufer im Team und verschrecken die Mitgestalter. Laut einer Faustregel hat jede Führungskraft nach einem Jahr exakt jene Mitarbeiter, die sie verdient. Und damit jedes Unternehmen die Führungskräfte, die es verdient. Durch zeitgemäße Führung haben mittelständische Unternehmen einen echten Wettbewerbsvorteil, indem sie Topmitarbeiter langfristig mit Vertrauen, Vernetzung und Begeisterung an ihr Unternehmen binden. Exzellent geführte mittelständische Unternehmen erzielen höhere Renditen durch größere Mitarbeiter- und Kundenzufriedenheit. Der Schlüssel dafür ist zeitgemäße Führung. Sie macht den Unterschied.
Autor
Hubert Hölzl, Geschäftsführer, Hölzl & Partner, Lindau,
hoelzl@fuehrungstrainer.net
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