Ausgabe 7 - 2015
Ein Ohr für Social Media haben

In den sozialen Medien findet Meinungsprägung statt – ob wir wollen oder nicht. Berufswahl und Arbeitgeber sind beliebte Themen der Community. Hier sollten Unternehmen in Form eines Social Engagements mitmischen, so der Tenor dieses Beitrags. Dies geht aber nur, wenn sich auch Recruiting-Stukturen ändern.
Eigentlich ist das Thema banal. Quasi jede Recruiting-Zielgruppe tauscht sich irgendwo im Netz über Berufswahl und Arbeitgeber aus. Sicherlich stehen für Ingenieure andere Fragen im Vordergrund als für Mediziner oder Marketingexperten, aber durchweg gilt, dass das Internet zu einem wichtigen Raum der Informationssammlung und Meinungsprägung geworden ist. Arbeitgeber können sich grundsätzlich in diese Diskussionen einbringen und dadurch mehr Aufmerksamkeit für sich generieren. Auf unaufdringliche Art kann die Nähe zu den Zielgruppen dort massiv ausgebaut werden – auch ohne großartige Kampagnen. Hört sich einfach an, ist es aber leider nicht. Denn dieser Kanal scheint anders zu sein: Neuland mit Eskalationspotenzial und – das ist wohl der springende Punkt – mit einer Dialogausrichtung, die auch interne Anpassungen erfordert. So ist es derzeit noch legitim, im digitalen Schwarm diesen Weg noch nicht zu gehen. Es ist jedoch das Wesen der digitalen Transformation im Recruiting, dass Dialogfähigkeit zur notwendigen Grundlage der neuen Wertschöpfungskette wird.
Angreifer und Bewahrer
Wie diskutieren Personalmarketing und Recruiting diese digitale Transformation im Recruiting? Plakativ ausgedrückt kann man sagen: Angreifer suchen Chancen, Bewahrer fürchten Risiken. Ist es schon so weit, dass die Planung von Aktivitäten unter der unbedingten Zielsetzung erfolgt, die besten Talente in einem kompetitiven Umfeld zu gewinnen? Zuerst steht das Ziel, dann wird der erforderliche Weg gesucht. Oder sollen die althergebrachten Abläufe mit leicht aufgefrischtem Anstrich auch dieses Jahr wieder umgesetzt werden? Der Weg ist das Ziel.
Natürlich gibt es hier kein Schwarz-Weiß. Man kann jedoch die These wagen, dass etliche Einflussparameter des Recruiting-Handwerks eine Verschiebung in Richtung Angriff angeraten erscheinen lassen, denn die Talente werden in weiten Bereichen knapper. Erst bei einem Umschalten auf Angriff werden die Potenziale des digitalen Talentdialoges tatsächlich aufgenommen und nicht als zusätzliche Belastung gesehen, als Bedrohung des eigenen Status quo. Im Bewahrermodus überwiegt die stillschweigende Hoffnung, dass diese neuen Dinge doch vorbeigehen werden. Was nicht passieren wird.
Zuhören als robuster Einstieg
Die aktuell ins Berufsleben strebenden Generationen sind mit digitalen sozialen Netzwerken aufgewachsen und tauschen sich in diesen Räumen aus. Mittlerweile sind auch in den Unternehmen genug Professionals, die ebenso in diesen Foren und Netzwerken zu Hause sind. Damit werden immer mehr Fragen im sozialen Web gestellt und treffen auf hinreichend viele Antworten und Erfahrungsschilderungen, aber natürlich auch auf Vermutungen und Mythen. Arbeitgeber haben die Deutungsmacht über ihre Arbeitgebereigenschaften verloren. Die Arbeitgebermarke wird zu einem wachsenden und überaus nachhaltigen Anteil durch das Lesen von digitalen Beiträgen geprägt.
Die einen sehen darin ein Risiko, die anderen eine Chance. Denn natürlich können Arbeitgeber grundsätzlich an diesen Diskussionen teilnehmen. Sicher nicht durch Hochglanzstatements, aber auf jeden Fall durch gezeigte Wertschätzung und Authentizität. Es ist also sinnvoll, dass Arbeitgeber anfangen, ihren Zielgruppen im digitalen Raum zuzuhören. Diese Aufgabe sollte aber nicht mit den inzwischen üblichen „Social Media Monitoring Dashboards“ verwechselt werden: Dort werden Beiträge durchgezählt, in denen ein Arbeitgeber im Karrierekontext genannt wird.
Wenn wir Dialogchancen nutzen wollen, dann gilt es, relevante Diskussionsinhalte und Fragen zu identifizieren. Idealerweise in Echtzeit, denn im Angriffsmodus zählt Geschwindigkeit. Allerdings ist die Früherkennung von Risiken auch ein Wert für die Bewahrer. Zuhören kann also als ein sehr robuster erster Schritt für alle Fraktionen gewertet werden.
Schrittweises Vorgehen

Wenn wir hier einen Angriffsmodus skizzieren, dann bedeutet dies gerade nicht, vorbehaltlos auf neue digitale Möglichkeiten zu springen, sondern zielgerichtet vorzugehen. So lässt sich eine Stufenfolge von vier Social Engagement Leveln definieren, die unabhängig von einzelnen Kanälen und Features eine Bedeutung haben (siehe Abbildung).
In der Chancensicht kann ein Entwicklungspfad beschrieben werden, in dem Arbeitgeber schrittweise zu mehr Engagement auf den digitalen Tummelplätzen kommen. „Schrittweise“ ist hier der zentrale Punkt, denn es geht nicht um einen mutigen Sprung in das kalte Wasser neuer Kanäle, sondern um die Aufnahme von Neuland. Was nicht zu unterschätzen ist. Mit dem Aufbau der Klaviatur digitalen Engagements wird eine neue Wertschöpfungskette für das Recruiting beschritten.
Status quo und Strategieentwicklung
Die Vorgehensweise des Social Engagement Levels eignet sich, um eigene Aktivitäten zu selektieren, zu sortieren und auszurichten. In einem ersten Schritt sollten Sie die relevanten Tummelplätze ihrer Zielgruppen identifizieren (lassen). Wichtige Foren für Auszubildende beispielsweise finden Sie oben. Trotz Facebook und Twitter finden viele Diskussionen – und häufig die wesentlicheren – auf Foren statt. Öffentliche Diskussionen mit Hunderten von Beiträgen nehmen zu und beeinflussen. Authentischen Unbekannten wird – egal, ob Sie es mögen oder nicht – eine hohe Glaubwürdigkeit zugesprochen.
Untersuchen Sie, auf welcher Stufe Sie sich derzeit bewegen – aktiv und passiv. Ein zentraler Vorschlag ist, dass Sie in einigen Netzwerken aktiv teilnehmen sollten, bei Weitem aber nicht in allen. Auf welchem Tummelplatz wollen Sie welchen Level erreichen? Entwickeln Sie ein schrittweises Vorgehen, um Ihr Engagement dort auszubauen, etwa:
- 1.
Zunächst ein halbes Jahr durch Zuhören Eindrücke sammeln und intern überzeugen.
- 2.
Dann erste Reaktionen trocken durchspielen und zu ausgewählten Aspekten einbringen.
- 3.
Im Zeitverlauf erste eigene Fragen stellen, um immer stärker eigene Plattformen einzubinden.
- 4.
Arbeitgeberbotschafter und Story Telling können darauf aufsetzen.
Social Engagement ins Recruiting integrieren
Auch wenn es mitunter so scheint, findet die eigentliche Revolution nicht online statt. Die eigentliche Revolution wird sich intern in den Unternehmen vollziehen müssen. Die Evolution des Internets wird zur Transformation wesentlicher Prozesse, auch in Personalmarketing und Recruiting, führen: Arbeitgeber müssen Social Engagement als neue Wertschöpfungskette im Recruiting gestalten und steuern.
Natürlich muss aber nicht jedes Unternehmen diese Transformation innovativ anführen. Allerdings kann vermutet werden, dass eine späte Folgeposition sich weder sonderlich attraktivitätssteigernd auf anspruchsvolle Talente noch auf engagierte Personalkollegen auswirkt. So dürfte es schwer werden, anfangs verlorenen Boden wieder gutzumachen.
Autor
Prof. Dr. Martin Grothe, Gründer und Geschäftsführer, complexium GmbH, Berlin,
presse@complexium.de
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