Ausgabe 7 - 2015
Zeit für Helden

Change Management ist ein rationaler Prozess. Doch nicht alles kann in Zahlen ausgedrückt werden – auch für die zwischenmenschliche Ebene des Wandels brauchen Unternehmen einen Orientierungsrahmen. Die Berner Stiftung Diaconis hat sich auf ein neues Format eingelassen und eine ganzheitliche Erneuerungskultur geschaffen.
Was tun, wenn die Werte unseres Traditionsunternehmens keine zeitgemäße Form mehr haben? Diese Frage stellten sich Therese Roth-Hotz, Leiterin Human Resources und Mitglied der Geschäftsleitung, und Peter Friedli, Direktor der Stiftung Diaconis in Bern. Die vor rund 170 Jahren von Kirchenschwestern gegründete Stiftung ist seit jeher ein Ort, an dem Menschen im Alter, bei Krankheit, Erwerbslosigkeit oder in anderen Krisensituationen Unterstützung erfahren.
Orientierung im Unbekannten
„Zwei der wichtigsten Säulen unserer Stiftung sind der christliche Glaube und die Nächstenliebe. Gleichzeitig müssen wir als Unternehmen funktionieren und haben Verantwortung für 450 Mitarbeiter. Das sind zwei Welten, die aufeinanderprallen“, sagt Roth-Hotz.
Roth-Hotz und Friedli wollen die zwei Welten zusammenbringen. Um in diesem nicht einfachen Veränderungsprozess zu bestehen, absolvierten sie die Weiterbildung „Heldenprinzip – Kompass für Innovation und Wandel“ am Berlin Career College der Universität der Künste. Das Prinzip – ein Protagonist oder eine Protagonistin begibt sich als „Held“ oder „Heldin“ auf die Reise, besteht Prüfungen und Abenteuer und kehrt weiser und stärker wieder zurück – ist eine Analogie zum Grundmuster des Wandels. Sie lässt sich auf jegliche Veränderungsprozesse, auch in Unternehmen, übertragen. Der „Kompass für den Wandel“ wächst über das rational geprägte Change Management hinaus und bildet die Grundlage für eine ganzheitliche Erneuerungskultur. In der zertifizierten Weiterbildung wird diese charakteristische Schrittfolge als Referenzrahmen für Veränderungen erarbeitet. So erhält der Lernende Orientierung und Struktur – besonders wenn man sich auf neues Terrain wagt. Die Struktur gibt Antworten auf die folgenden Fragen:
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Welche transrationalen Kompetenzen brauchen Menschen und Organisationen, um Veränderungsprozesse nachhaltig zu gestalten?
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Welchen Nutzen und Sinn stiftet hierbei das kollektive Wissen zu Veränderung, das implizit in Kunst und Kultur überliefert ist?
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Wie können kunst- und kulturbasierte Methoden die Kompetenzen von Unternehmen und Mitarbeitern unterstützen?
Grundsätzlich teilt sich das Heldenprinzip in zwei Sphären (siehe Abbildung):
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Die bekannte Welt: Vertrautes Terrain, dessen Muster und Gewohnheiten geläufig sind.
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Die unbekannte Welt: Gefilde, die fremd und nicht überschaubar sind.
Die Akteure (Heldinnen und Helden) durchlaufen drei grundlegend verschiedene Phasen, die drei großen Akte des Wandels: Aufbruch, Abenteuer und Rückkehr. In einem dramatischen Spannungsbogen von elf archetypischen Bewährungsszenen wird der herausfordernde Weg beschrieben.
Abbildung
Das Heldenprinzip: Den Wandel meistern

Ein Held, zwei Sphären, drei Phasen: Das Heldenprinzip führt die Teilnehmer zu neuen Herausforderungen.
Wer erlebt, versteht
„Nach jedem Modul der Weiterbildung berichteten wir im Kreis unserer über 40 Führungskräfte. So haben wir jeweils theoretische Grundlagen des Heldenprinzips reflektiert und praktische Übungen durchgeführt, um diese Erkenntnisse in der Erfahrung zu verankern“, erklärt Therese Roth-Hotz und beschreibt eine gemeinsame Koordinationsübung: „Wir alle stehen im Kreis, jeder mit einem hüfthohen Bambusstab vor sich. Dann gehen wir in vorgegebener Weise um den Stab herum und geben alle im selben Moment unseren Stab in eine Richtung an unseren Nachbarn weiter. Gleichzeitig müssen wir natürlich den Stab unseres anderen Nachbarn entgegennehmen und so weiter. Wenn nur einer im Kreis nicht aufpasst, gerät der ganze Rhythmus ins Stocken. Anfangs gab es Augenrollen und Unverständnis, doch bald war die Analogie klar: Wenn nur eine Abteilung im Unternehmen nicht funktioniert, kommt das große Ganze aus dem Tritt.“ Verstehen durch Erleben und Ausprobieren: Die künstlerisch-ästhetischen Übungen und Aufgabenstellungen fördern ein Loslassen von Festgefahrenem, schaffen neue Perspektiven statt einseitiger Betrachtung und belohnen die Mutigen mit Kreativität, Freude und Gemeinschaftssinn.
Eine neue Sprache lernen
Wer an Veränderung in Unternehmen denkt, dem fallen Worte ein wie „Effizienz“, „Optimierung“ und „Controlling“. Prozesse werden in Zahlenwerke übersetzt, bewertet und verglichen. Natürlich ist dieses Vorgehen in vielen Fällen erfolgreich und sogar angebracht. Dass aber diese rationalen Herangehensweisen allein nicht zielführend sind, bekommen Führungskräfte und Personalverantwortliche dann zu spüren, wenn Veränderungsprozesse auf dem Papier zwar stimmig sind, die Umsetzung jedoch ins Stocken gerät – man denke nur an Widerstände oder innere und äußere Kündigungen. Nicht alles, was in Unternehmen passiert, lässt sich in die Sprache der Zahlen und harten Fakten übersetzen. Therese Roth-Hotz berichtet: „Mit den positiven Lerneffekten der praktischen Übungen stärkte sich unser Gemeinschaftsgefühl und mit der Zeit wandelte sich auch das Verständnis für innere Prozesse sowie die Sprache in unserem Führungskreis. Mal erzählte jemand von einem Ruf zu einer neuen Idee oder dem Gefühl, Schwierigkeiten zu haben, gewonnene Erkenntnisse in bisherige Aufgaben zu implementieren. Durch unseren gemeinsamen Erfahrungsrahmen und unsere gemeinsame Sprache – wir treffen uns regelmäßig in unserer ‚Heldenrunde‘ – fällt es uns heute leichter zu sehen, wo unsere Mitarbeiter stehen und welche Unterstützung sie brauchen.“
Wandel beginnt an der Spitze
Inzwischen liegen viele Monate „Heldenarbeit“ hinter der Geschäftsleitung von Diaconis und ihrem Führungskräftestab. Die Veränderungen nehmen ihren Weg durch das Unternehmen, jede Führungskraft gibt ihr Wissen schrittweise weiter an ihre Mitarbeiter. Zeit und Geduld sind hier gefragt. „Veränderungen und neue Prozesse lassen sich nicht von jetzt auf gleich implementieren“, sagt Therese Roth-Hotz. „Der Kompass des Heldenprinzips ist ein wirkungsvolles Werkzeug, mit dem wir gerne und erfolgreich arbeiten, doch es braucht Engagement und Übung, bis sich dieser neue Umgang an jeder Stelle bei Diaconis durchgesetzt hat. Wichtig ist, dass wir, die Geschäftsleitung und die Führungskräfte, mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn Peter Friedli die elf Stufen der Heldenreise vorliest und ich diese parallel mit fließenden Körperbewegungen ausdrücke, dann können wir die Mitarbeiter ermutigen und dafür gewinnen, etwas Neues auszuprobieren. Wenn der Wandel oben beginnt, dann trägt ihn bald das ganze Unternehmen.“
Bei Diaconis harmonieren zwei Welten zunehmend besser miteinander. Christliche Werte und Spiritualität stehen in keinem Widerspruch mehr zu einer auch ökonomisch tragfähigen Unternehmenskultur.
Das Heldenprinzip – Wandel in drei Akten
1. Akt: Der Aufbruch. Der Held erfährt seinen „Ruf“ (Aufgabe/Auftrag) und wagt sich in die Fremde. In Bezug auf das Unternehmen wird gefragt: Was kann nicht bleiben wie es ist? Was muss verändert werden? Welche Visionen sollen verwirklicht werden? Gemeinsam wird erarbeitet: Wie gelingt die Wahrnehmung und die Vitalisierung bislang unbekannter Ressourcen? Wo und wie sind personale und strukturelle Mentoren zu entwickeln?
2. Akt: Im unbekannten Land der Abenteuer. Dort bewältigt der Held mit Beistand und gegen auftretende Widerstände den Weg der Prüfungen und wird für seine Leistungen belohnt. Parallel dazu bewältigt das Unternehmen bekannte und unbekannte Herausforderungen und Risiken. Es findet die Quellen seiner Innovationen und erreicht das Ziel, indem es durch Höhen und Tiefen geht.
3. Akt: Die Rückkehr. Gereift und belohnt, schafft der Held den schwierigen Rückweg. Nun meistert er seine Realität in neuer Qualität, verändert sich selbst und seine Umwelt. Das Unternehmen sucht nach Formen des Transfers und der Partizipation. Ergebnisse und Erfahrungen der Innovation (Prozesse, Produkte, Strategien) müssen nun tatsächlich in den Arbeitsalltag integriert werden, damit eine neue Qualität überhaupt Bestand haben kann.
Für angehende Helden
Im September beginnt die nächste Weiterbildung, alle Informationen dazu per E-Mail: ziw@udk-berlin.de.
Autorinnen
Nina Trobisch, Leiterin der Weiterbildung „Heldenprinzip“, Berlin Career College der Universität der Künste, Berlin,
kontakt@heldenprinzip.de
Anja Hofer, Leiterin Führungsunterstützung und Kommunikation, Stiftung Diaconis, Bern,
anja.hofer@diaconis.ch
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