Zeit für mehr Flexibilität
Auf Basis eines flexiblen Arbeitszeitsystems bietet der Sensorhersteller Sick AG seinen Mitarbeitern ein vorbildliches Zeitwertkonten-Modell an.
Ausbildung – Arbeit – Ruhestand: So lautete jahrzehntelang der klassische Dreiklang der Lebens- und Berufsplanung. Mit der Verlängerung der Lebensarbeitszeit, der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und dem „Tsunami“ der demografischen Herausforderung ist dieses Muster schon lange nicht mehr haltbar. Eine betriebliche Antwort auf diese Herausforderung ist die „lebenszyklusorientierte Personalpolitik“. Schon in den 80er-Jahren wurde bei Sick die Gleitzeit eingeführt und in den Folgejahren immer weiter systematisiert und flexibilisiert. Das Gleitzeit-Rahmenmodell wurde im Grundsatz 2004 eingeführt und im Jahre 2009 nochmals modifiziert (Abbildung 1).
Abbildung 1
Das Gleitzeit-Rahmenmodell der Sick AG

Mithilfe des Gleitzeitkontos lassen sich Überstunden – umgewandelt in Geld – beispielsweise in ein Zeitwertkonto übertragen.
Das Gleitzeitmodell
Ausgangspunkt ist der „grüne Bereich“, der Arbeitszeitsaldo, der in eigener Verantwortung dem Mitarbeiter obliegt. Folglich kann er entscheiden, ob er in einem Monat bis zu zwei freie Tage nehmen will. Dies ist im Grundsatz durch die Vorgesetzten immer zu genehmigen. Nur wenn betriebliche Gründe aktuell dagegen sprechen, wird die Genehmigung verweigert. Im Übrigen regeln die Arbeitskollegen dies meist untereinander, denn dem Vorgesetzten ist am wichtigsten, dass die Arbeitsziele erreicht werden. Er muss nicht wissen, wer wann da ist, dies ist aus der Arbeitszeiterfassung ja ersichtlich. Der „gelbe Bereich“ von +80 Stunden bis -120 Stunden bildet die sogenannte Kapazitätsreserve.
Nach einer grundsätzlich durch die Führungskraft vorzunehmenden Beurteilung ist zu entscheiden, ob entsprechend der Kundennachfrage und der Auftragslage die Arbeitskapazitäten nach oben korrigiert werden müssen. Führungskräfte und Mitarbeiter sprechen dann miteinander ab, ob länger gearbeitet wird und somit die Gleitzeitsalden erhöht werden. Mit dieser Absprache wird auch verhindert, dass die Mitarbeiter Gleitzeitkonten nach oben bewegen, obwohl dies durch die Auftragslage nicht gerechtfertigt ist. Dem natürlichen „Spartrieb“ (Zeit = Geld) der Beschäftigten in Deutschland wird damit ein Korrektiv vorgeschaltet.
In außergewöhnlichen Fällen kann der Mitarbeiter sich mit der Arbeitszeit auch in den „roten Bereich“ bewegen, also jenseits von +80 beziehungsweise -120 Stunden. Dies kann aber nur sehr kurzfristig – innerhalb eines Monats – geschehen, denn die Arbeitszeitsysteme sind so gestaltet, dass Arbeitszeit geplant und nicht nur am Ende des Monats im Verbrauch gemessen wird.
Möchte die Führungskraft die Arbeitszeit länger als einen Monat über die +80 Stunden verlängern, fällt der tarifliche Mehrarbeitszuschlag an. Ferner ist die Führungskraft verpflichtet, dem Betriebsrat auf Anforderung mitzuteilen, wie die Kapazitätsplanung für die nächsten Wochen und Monate aussieht und die Arbeitszeitsalden wieder verringert werden können. Dies kann beispielsweise auch durch Neueinstellungen erreicht werden. In der Praxis der Sick AG wird die Reduzierung des Gleitzeitsaldos jedoch in der Regel durch Umwandlung von Zeit in Geld in das seit 2004 gültige Zeitwertkonto praktiziert.
Funktionsweise des Zeitwertkontos
Zeitwertkonten ermöglichen die Flexibilisierung der Lebensarbeitszeit der Mitarbeiter dadurch, dass das Entgelt für einen Teil der geleisteten Arbeit nicht unmittelbar zur Auszahlung gelangt, sondern angespart wird. Die angesparten Guthaben werden dann zu einem späteren Zeitpunkt in Form von bezahlter Freistellung abgebaut, wobei diese nach den Regelungen des Sozialgesetzbuches eine sogenannte „vorruhestandsnahe Freistellung“ oder eine zwischenzeitliche Auszeit – in Form eines Sabbaticals für zum Beispiel Erziehungsurlaub, Weiterbildung, Pflege von Angehörigen sein kann.
Der Arbeitgeber muss hierbei eine Werterhaltungsgarantie geben, dass zum Zeitpunkt der planmäßigen Inanspruchnahme mindestens die Summe aus übertragenem Arbeitsentgelt (Arbeitszeit) und dem Arbeitgeberanteil zur Sozialversicherung zur Verfügung steht. In der Praxis übernehmen Versicherungsunternehmen diese Werterhaltungsgarantie, allerdings gibt es auch viele Beispiele von Großunternehmen, die diese Garantie aussprechen.
Hier wird eins deutlich: Es geht in diesen Modellen nicht um höchste Renditen. Die hohe Flexibilität, die Arbeitgeber und Beschäftigte sich wünschen, erfordert hohen Organisations- und Verwaltungsaufwand in der Gestaltung, damit dies überhaupt möglich ist. Dies muss finanziert werden, und die Sicherheit der Anlage steht im Vordergrund. Schließlich hat der Mitarbeiter sie aus seinen eigenen Zeitanteilen finanziert.
Ist dies nur ein Modell für die gut verdienende Mittelschicht im Unternehmen? Ist doch bei Beschäftigten in den unteren Verdienstgruppen der Monat oft länger, als das Geld reicht. Gerade diese Beschäftigten haben durch die Umwandlung von Gleitzeit- oder Mehrarbeitskonten die Chance, an diesen Modellen teilzuhaben. Wenn die übrigen Entgeltbestandteile für die Alltagsausgaben verplant sind, bietet sich den Niedrigverdienern durch solche Modelle die Möglichkeit, ebenfalls Auszeiten zu nehmen oder vor Übergang in die Rente eine (Teil-)Auszeit zu nehmen.
Zwei Beispiele: Ein Mitarbeiter aus der IT arbeitet nach der Geburt seines Sohnes für vier Monate in Teilzeit auf Basis von 22,5 Stunden pro Woche und erhält während dieser Zeit sein Bruttomonatsentgelt auf Basis von 37,5 Stunden pro Woche. Die Auszahlung erfolgt aus dem Zeitwertkonto. Während der Teilzeittätigkeit erfolgt keine Einzahlung in das Zeitwertkonto.
Oder: Eine Mitarbeiterin aus dem Bereich Finance erhält ab November Rente. Von Januar bis Juni des Jahres reduziert sie ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 17,5 Stunden. Während dieser Zeit erhält sie ein Bruttomonatsentgelt auf Basis von 35 Stunden pro Woche ausbezahlt, wobei 50 Prozent über das Zeitwertkonto abgedeckt sind. Ab Juli 2008 ist die Mitarbeiterin freigestellt, erhält jedoch bis zur Rente ihr Bruttomonatsentgelt auf Basis von 35 Stunden pro Woche – Auszahlung aus dem Zeitwertkonto. Mit diesen praktischen Beispielen wird der Nutzen solcher Zeitwertkontenregelungen deutlich.
Abbildung 2
Funktionsweise von Zeitwertkonten

Zeitwertkonten ermöglichen sowohl Sabbaticals als auch eine ruhestandsnahe Freistellung.
Nur wenn der Arbeitgeber aufgrund eines vorhandenen flexiblen Arbeitszeitsystems in Kombination mit Zeitwertkonten dies anbietet, können Beschäftigte solche Auszeiten organisieren und auch finanzieren. Nach dem gesetzlichen Auslaufen der geförderten Altersteilzeit müssen weitere Optionen, wie zum Beispiel die bessere Ausgestaltung von Teilrente mit Teilzeitarbeit, geprüft werden. Während des gesamten Arbeitslebens ist – nicht nur für ältere Beschäftigte – die Zeitgestaltung besser auf das individuelle Leistungsvermögen und die Leistungsbereitschaft abzustimmen. Dazu zählen flexiblere Pausenregelungen ebenso wie intelligente Schichtsysteme, die Nachtschicht insbesondere für ältere Beschäftigte reduziert, wenn nicht ausschließt. Erfolgreich werden in Zukunft die Unternehmen sein, die die Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter während der gesamten Erwerbsbiografie im Blick haben. Die lebensphasenorientierte Arbeitszeitgestaltung wird dazu einen positiven Beitrag leisten.
Der Beitrag ist entnommen aus dem Buch „Betriebliche Vorsorgeinstrumente im demographischen Wandel“, hrsg. vom ddn (Das Demographie Netzwerk), Dortmund 2012.
Autor
Rudolf Kast, ehemaliger Leiter Human Resources der SICK AG,
kast@diepersonalmanufaktur.de