Ausgabe 8 - 2011
Sinnstiftung kommt an
Non-Profit-Organisationen, die gemeinnützige Zwecke verfolgen, gewinnen bei der jüngeren Generation an Attraktivität. Grund genug, auch für andere Unternehmen die Personalmarketingaktivitäten dieser Organisationen näher zu betrachten. Das Beispiel Fairtrade liefert lehrreiche Einblicke.
Im Zuge des drohenden Fachkräftemangels überdenken viele Unternehmen ihre Attraktivität auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitgebermarke soll so ausgerichtet werden, dass sie für potenzielle Talente attraktiv ist. Junge Arbeitnehmer der so genannten Generation Y erwarten heute mehr von ihrem Arbeitgeber als Geld und Karrierechancen. „Purpose“, das heißt die Vermittlung der inhaltlichen Sinnhaftigkeit einer Tätigkeit rückt dabei ins Zentrum des Personalmarketings.
Neben herausfordernden Tätigkeitsinhalten und einer ausgewogenen Work Life Balance wollen gerade gut ausgebildete Arbeitskräfte zunehmend einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen. Unternehmen reagieren mit dem Aufbau von Arbeitgebermarken auf diesen Trend. Seitdem „wimmelt (es) von ‚führenden‘ Unternehmen, die ‚einzigartige Chancen‘ und ‚Entwicklungsmöglichkeiten‘ bieten, wenn der Bewerber ‚Leidenschaft‘ und ‚Teamgeist‘ mitbringt.“ (Quelle: Jochen Pett und Wolf Reiner Kriegler zitiert nach Geißler (2007)). Ein Blick auf die Karrierewebsites bestätigt, dass die Botschaften weitgehend austauschbar sind.
Eine Unique Employer Preposition, die einen systematischen Bezug zur Unternehmensstrategie nicht nur behauptet, sondern tatsächlich aufweist, ist nur in Ausnahmefällen erkennbar. Zu häufig kommt es zur mehr oder weniger blinden Anwendung von Best Practice-Empfehlungen wie der Nutzung sozialer Netzwerke oder dem Mitarbeiterbindungsmanagement zur Bekämpfung des Fachkräftemangels. Am konkreten Beispiel von Fairtrade International soll gezeigt werden, wie mit Hilfe einfacher strategischer Analysen eine unternehmensspezifische Positionierung aufgebaut werden kann.
Fairtrade ist eine Multi-Stakeholder, NonProfit-Organisation (NPO), die aus zahlreichen nationalen Labelling-Initiativen sowie regionalen Produzentennetzwerken besteht. Ziel der Organisation ist die Förderung der Produzenten landwirtschaftlicher Produkte, die durch den traditionellen Welthandel benachteiligt sind. Wesentliches Instrument ist das Fairtrade-Siegel, das auf die Einhaltung von Mindestbedingungen im internationalen Warenaustausch zum Wohle der Produzenten hinweist und in Europa eine hohe Bekanntheit aufweist. Fairtrade International ist die internationale Dachorganisation mit Sitz in Bonn, beschäftigt circa 75 Mitarbeiter und ist als eingetragener gemeinnütziger Verein organisiert.
Strategische Analyse
Nach der Verabschiedung der neuen Unternehmensstrategie „Making the Difference“ steht der Personalbereich vor der Herausforderung, die Personalstrategie insgesamt, insbesondere aber das Personalmarketing neu zu überdenken. Statt sich auf verbreitete Best Practice-Vorschläge und Handlungsempfehlungen zu verlassen, wurde zunächst eine systematische Standortbestimmung vorgenommen, die sowohl auf Daten (zum Beispiel Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung) als auch auf grundlegenden Überlegungen zum Geschäftsmodell beruht. Dabei war die Frage leitend, was potenziellen Beschäftigten objektiv geboten werden kann. Dazu wurden aus den wesentlichen Kategorien Umwelt, Mitarbeiter und Unternehmensstrategie strategische Implikationen für die Ausgestaltung der Personalarbeit abgeleitet.
Ausgangspunkt der Überlegungen war das Strategiestatement „Making the Difference“. Die Unternehmensstrategie ist –im Vergleich zu anderen Unternehmen –sehr konkret formuliert (das Strategiestatement ist im Internet verfügbar unter www.fairtrade.net). Dennoch bleiben die ableitbaren Implikationen für die Personalarbeit sehr generisch. Aussagekräftiger für die Personalarbeit ist die Analyse des Geschäftsmodells. Eine zusammenfassende Darstellung der wesentlichen Implikationen liefert Abbildung 1.
Abbildung 1
Personalstrategische Implikationen von Unternehmensstrategie und Geschäftsmodell

Das Geschäftsmodell von Fairtrade führt dazu, dass die Personalarbeit in den zentralen Feldern besondere Merkmale aufweist.
Zahlreiche Faktoren sind auch für das Personalmarketing unmittelbar relevant: Aktuell zieht Fairtrade International, wie viele gemeinnützige Organisationen, vor allem Bewerber an, für die der Zweck der Organisation im Vordergrund steht und nicht die weitere Professionalisierung oder Karriereentwicklung in ihrem erlernten Fachgebiet. Im Gegensatz zu anderen Organisationen fällt es dem Dachverband Fairtrade International jedoch schwerer, diese intrinsische Motivation auch zu befriedigen. Zufriedenheitsgefühle oder „Flow-Erlebnisse“ werden theoretisch und empirisch unter anderem durch unmittelbares Feedback gefördert. An dem Bonner Standort des Dachverbandes ist jedoch ein unmittelbarer Kontakt zu den profitierenden Produzenten nicht immer in hinreichendem Umfang herzustellen. Die Analyse von Austrittsinterviews bestärkt die Vermutung: Mitarbeiter, die Fairtrade International verlassen, tun dies nicht wegen besser bezahlter Angebote in der Industrie, sondern um in anderen gemeinnützigen Organisationen mit intensiverem lokalen Bezug tätig zu werden.
Der weitere Erfolg von Fairtrade International im Rahmen des neuen Geschäftsmodells beruht wesentlich auf den Fertigkeiten hochspezialisierter Experten. Beispielsweise ist es nunmehr erforderlich, mit Global Playern wie beispielsweise Starbucks weltweite Kooperationsverträge zu verhandeln und abzuschließen. Dazu sind Erfahrungen und professionelle Expertise aus dem For-Profit-Sektor wichtiger als detaillierte Kenntnisse der Fairtrade-Organisation: Allgemeines Humankapital ist erfolgskritischer als unternehmensspezifisches. Klassische Karrierepfade innerhalb einer NPO (Frantz (2005), die beispielsweise für kirchliche Organisationen typisch sind, sind für Fairtrade International somit nicht ausschließlich zielführend, da für zahlreiche erfolgskritische Positionen das notwendige Humankapital auf diesem Weg nicht erworben werden kann.
Auf Basis der Klassifizierung von Simsa (2001) lassen sich für NPOs vier generische Strategieoptionen unterscheiden, die einerseits vom Ausmaß der Vernetzung mit dem For-Profit-Sektor und anderseits von der Divergenz der Interpretationslogiken abhängen. Fairtrade ist demnach eine auf Kooperation angelegte NPO, da sie eng mit Unternehmen zusammen arbeitet und gleichzeitig kein vollständig verändertes Wirtschaftssystem anstrebt. Dies ermöglicht die Ausgestaltung unternehmensübergreifender Karrierepfade, die beispielsweise für eine eher auf Konfrontation ausgelegte NPO wie ATTAC nicht möglich sind.
Schlussfolgerungen für die Personalmarketingstrategie
Die Ergebnisse der personalstrategischen Analyse erlauben nun die Ableitung der wesentlichen Attraktivitätsmerkmale des Arbeitgebers Fairtrade International. Um eine objektive Sicht zu erlangen, wurde die eigene Position bezüglich der aus Bewerbersicht relevanten Arbeitsplatzattribute relativ zu alternativen Arbeitsplatzangeboten ermittelt.
Abbildung 2
Attraktivitätsfaktoren im Wettbewerbsvergleich

Eine relativ schlechte Bezahlung und doch ein überaus attraktiver Arbeitsplatz: Fairtrade punktet mit herausfordernden Aufgaben und Lernmöglichkeiten.
Die wesentlichen Schlussfolgerungen lassen sich unmittelbar aus den spezifischen Wettbewerbsvor- und -nachteilen ermitteln:
- 1.
Fairtrade International kann eine auskömmliche Vergütung anbieten, Arbeitnehmer müssen jedoch einen NPO-typischen Lohnabschlag akzeptieren.
- 2.
Dieser Vergütungsnachteil kann durch die spezifische Sinnvermittlung der Tätigkeit aufgewogen werden, was zu einer hohen Attraktivität bei der Zielgruppe „Generation Y“ führt. Fairtrade International hat als „Zentrale im fernen Deutschland“ jedoch einen Wettbewerbsnachteil gegenüber Freiwilligenorganisationen, bei denen das Ergebnis der Tätigkeit unmittelbar erfahrbar ist. Um Enttäuschungen zu vermeiden sollte dies einerseits im Sinne eines Realistic Job Preview im Rahmen des Personalmarketings offen kommuniziert werden. Anderseits kann der Wettbewerbsnachteil auch reduziert werden, beispielsweise durch den Aufbau von Patenschaften für einzelne Produzentenkooperationen, bei denen Mitarbeiter die Fortschritte der Fairtrade Organisation exemplarisch miterleben können.
- 3.
Überraschenderweise zeigt sich, dass Fairtrade International auch in traditionellen Kategorien wie herausfordernde Tätigkeit oder Entwicklungsmöglichkeiten eine hohe Attraktivität aufweist. Das bereits erwähnte Beispiel Starbucks macht dies deutlich: Auch für einen ausgewiesenen Marketingexperten ist die Ausgestaltung und Verhandlung eines Kooperationsvertrags eine herausfordernde und spannende Aufgabe. Dies ermöglicht die Ansprache neuer Zielgruppen wie MBA-Absolventen, die zunehmend ihr professionelles Wissen in NPOs einsetzen möchten, oder Mid-Career Professionals der Generation X, die zusätzliche Kompetenzen jenseits ihrer aktuellen Tätigkeit aufbauen möchten.
- 4.
Die daraus resultierenden langfristigen Karriereoptionen werden sich häufig nicht innerhalb der Fairtrade-Organisation realisieren lassen. Die Beschäftigungsverhältnisse sollten somit von Anfang an als zeitlich begrenzt angesehen werden und den Spezialisten sollte auch während ihrer Tätigkeit der Kontakt zu anderen Unternehmen offenstehen. Durch Fairtrade International wird dies gefördert, beispielsweise indem den Spezialisten eine hohe Wahrnehmbarkeit innerhalb ihrer Profession (Kongresse, Fachbeiträge et cetera) ermöglicht wird. Die Anwendung von Best Practice-Empfehlungen zur Mitarbeiterbindung wäre für Fairtrade dagegen vollkommen kontraproduktiv.
Lessons Learned
Sicherlich ist Fairtrade International eine sehr spezifische Organisation. Dennoch lassen sich auch für andere Unternehmen einige Aussagen verallgemeinern: Nur eine unternehmensspezifische Analyse der Rahmenbedingungen ermöglicht die Ausgestaltung eines unverwechselbaren Markenkerns im Personalmarketing.
Während die Analyse der Unternehmensstrategie häufig nur generische Aussagen liefert, lassen sich aus der Betrachtung des Geschäftsmodells häufig klarere personalstrategische Trade-off-Entscheidungen ableiten. Vor dem blinden Übertragen von Best Practice-Ansätzen kann nur gewarnt werden. Für Fairtrade International wäre die häufig als zwingend propagierte Nutzung von Social Media weitgehend nutzlos. Die undifferenzierte Umsetzung von Maßnahmen zur Mitarbeiterbindung wäre kontraproduktiv.
Im Sinne der Employability können For Profit-Unternehmen mit Non-Profit-Unternehmen zusammenarbeiten und unternehmensübergreifende Karrierepfade gestalten. Dies funktioniert allerdings nur mit NPOs, die kooperativ mit For-Profit-Organisationen zusammenarbeiten und die Experten mit allgemeinen, nicht-NPO-spezifischen Fähigkeiten beschäftigen.
Frantz, Christiane: Karriere in NGOs. Politik als Beruf jenseits der Parteien, Wiesbaden 2005.
Geißler, Cornelia: Was ist … eine Arbeitgebermarke? Harvard Business Manager 10/2007, S. 136.
Simsa, Ruth: Einflussstrategien von Nonprofit Organisationen: Ausprägungen und Konsequenzen für das Personalmanagement, Zeitschrift für Personalforschung 3/2001, S. 284-305.
Autoren
Renate Siemon, Director of Human Resources & Development Fairtrade International,
r.siemon@fairtrade.net
Prof. Dr. Heiko Weckmüller, FOM Hochschule für Oekonomie und Management Bonn,
heiko.weckmueller@bcw-gruppe.de
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