Aus dem Dornröschenschlaf auf den Boden der Tatsachen
Der öffentliche Dienst ist nicht gerade für seine Innovationsbereitschaft bekannt. Um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen zu begegnen, ist es jedoch für die Behörden unerlässlich, die eigenen Mitarbeiter adäquat fortzubilden. Wie ist es in der Realität momentan um das Kompetenzmanagement im öffentlichen Dienst bestellt? Eine Umfrage gibt Aufschluss.
Kompetenzen nachhaltig zu entwickeln und zu erhalten ist von besonders großer Bedeutung für den öffentlichen Dienst. Denn wie schon in den letzten Jahren, ist die Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen auch gegenwärtig ein Thema in der öffentlichen Verwaltung. Diese sind beispielsweise die modernen Informations- und Kommunikationstechniken, die Entbürokratisierung, die Globalisierung und europäische Integration, aber auch die unter anderem durch die Finanzkrise notwendig gewordenen Sparzwänge, ebenso wie die demografische Entwicklung und die stetig wechselnden neuen Aufgaben. Diese Situation nahm die Wissenschaftliche Dokumentations- und Transferstelle für Verwaltungsmodernisierung (WiDuT) unter wissenschaftlicher Leitung von Univ.-Prof. Dr. Hermann Hill beim Deutschen Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer zum Anlass im ersten Quartal 2012 ihre zweite bundesweite, anonymisierte Online-Umfrage durchzuführen. Im Fokus der exklusiven Befragung zum Thema „Kompetenzentwicklung im öffentlichen Dienst“, an der insgesamt 270 Personen teilnahmen, standen Abteilungsleiter der Ministerien des Bundes und der Länder. Dieser Artikel gibt eine Übersicht über die wichtigsten Studienergebnisse.
Ziel der Umfrage ist es, Hinweise auf mögliche Handlungsfelder im Zusammenhang mit dem Kompetenzerhalt und -erwerb und der damit verbundenen zukünftigen Beschäftigungs- und Handlungsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung herauszuarbeiten. Die Befragung unterteilte sich in die Abschnitte „Allgemeiner Teil“, „Kompetenzmanagement“, „Kompetenzentwicklung/Fortbildung“ und „Systematische Erfolgskontrolle der Fortbildungsmaßnahmen“. Es wurden vorwiegend Multiple- und Single-Choice-Fragen gestellt, die in einigen Fällen auch ergänzend kommentiert werden konnten. Als Ausgangspunkt der Befragung dienten die Handlungsleitlinien des Positionspapiers „Herausforderungen an Fortbildung im öffentlichen Dienst“ der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 01.10.2008. In diesem Papier wird die Entwicklung von Kompetenzen in den Fokus der Fortbildung gestellt.
Kompetenz ist wichtiger als reiner Wissenserwerb
76 Prozent der Teilnehmenden bestätigten den Eindruck, dass ständig neue Herausforderungen und ungewisse Situationen auf die öffentliche Verwaltung zukommen. Um trotz dieser Turbulenzen zukünftig handlungsfähig zu bleiben, ist der Erhalt und der Aufbau von Kompetenzen wichtiger, als der reine Wissenserwerb. Dieser Aussage stimmten 85 Prozent überwiegend beziehungsweise voll zu. Obwohl die Mehrheit der Befragten angibt, dass Kompetenzen wichtiger seien als der reine Wissenserwerb, spielt die Kompetenzentwicklung bei immerhin noch 33 Prozent der Befragten aktuell keine Rolle in ihrer Behörde.
Die Relevanz von Selbstführungskompetenz, sozialkommunikativer Kompetenz, Methodenkompetenz sowie der Umsetzungs- und Verwirklichungskompetenz wird von den Befragten ähnlich bewertet, wobei die Methodenkompetenz gegenüber den anderen Kompetenzen als bedeutsamer eingeschätzt wird. Auf die Freitext-Frage, welche anderen, nicht genannten Kompetenzen für die Kompetenzentwicklung in der jeweiligen Behörde von Bedeutung sind, wurden folgende Antworten gegeben:
-
Belastbarkeit sowie Kompetenz zur Stressbewältigung und Frustrationstoleranz,
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Kreativität und Lernkompetenz,
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Strukturierungs- und Reflexionskompetenz,
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Internationale und interkulturelle Kompetenz,
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Teamkompetenz,
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Führungskompetenz,
-
Parteizugehörigkeits- und politische Kompetenz.
Im Frageteil „Kompetenzmanagement“ gaben 81 Prozent der Befragten an, dass bei ihnen kein ganzheitlicher Prozess zur Erhebung und Verbesserung von Kompetenzen beschrieben und implementiert wurde. Ein weniger eindeutiges Bild zeigte sich bei der Frage, ob in der Behörde auf Basis der Organisationsstrategie oder/und der Anforderungsprofile an Stelleninhaber Soll-Kompetenzprofile beschrieben werden. Hier antworteten 21 Prozent uneingeschränkt mit „ja“. 14 Prozent der Befragten gaben an, dass dies nur für Stellen des höheren Dienstes beziehungsweise für Stellen mit Führungsfunktion oder im Rahmen von Stellenneubesetzungen erfolgen würde. 34 Prozent erstellen keine Soll-Kompetenzprofile und 31 Prozent der Befragten konnten hierzu keine Antwort geben.
Bei Auswertung der Umfrage fiel auf, dass bei den folgenden Fragen ein sehr hoher Prozentsatz der Befragten keine Antwort geben konnte:
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Werden bei der Beschreibung der Soll-Kompetenzprofile auch zukünftig zu erwartende Entwicklungen und Rahmenbedingungen berücksichtigt? (66 Prozent)
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Werden die Kompetenzprofile strategisch auf zukünftige Schlüsselpositionen ausgerichtet? (65 Prozent)
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Wird in Ihrer Behörde ein systematisches Nachfolgemanagement durchgeführt? (93 Prozent)
Eine Erklärung könnte sein, dass sich jene Fragen auf die Zukunft beziehen und diese sich aus dem Blickwinkel der Befragten daher nur schwer oder auch gar nicht beantworten ließen. Interessant wäre in einem zweiten Schritt zu untersuchen, woran dies liegen könnte. Welche Ressourcen und Informationen fehlen den Abteilungsleitern in ihrer Rolle als Personalentwickler, um hierzu Aussagen treffen zu können?
Kompetenzen der Mitarbeiter ermitteln
82 Prozent der Abteilungsleiter gaben an, dass in ihrer Behörde kein Talent Management betrieben wird, anhand dessen die Erhebung von Kompetenzen durchgeführt wird. Mit 79 Prozent bestätigte die deutliche Mehrheit, dass keine Erhebung des Kompetenzbestandes und damit keine Erstellung von Ist-Kompetenzen durchgeführt wurde. Vier Prozent gaben an, dass die Erstellung zwar noch nicht durchgeführt wurde, jedoch noch für dieses Jahr geplant ist. Während fünf Prozent eine solche Erhebung für alle Mitarbeiter durchgeführt haben, erfolgte die Erhebung bei vier Prozent der Befragten nur für Mitarbeiter des Führungskollegs, der Untersuchungsämter, des höheren Dienstes sowie für den Führungskräftenachwuchs. Lediglich bei drei Prozent der Befragten wurden bei der Erhebung des Kompetenzbestandes auch außerberufliche Kompetenzerwerbsquellen wie ehrenamtliche Tätigkeit, Nebenberufe oder Kindererziehung berücksichtigt. Eine wichtige Kompetenzerwerbsquelle bleibt somit fast völlig unberücksichtigt.
Abbildung 1
Bedeutung von Kompetenzaufbau

Obwohl die Mehrheit der Befragten angibt, dass Kompetenzen wichtiger seien als der reine Wissenserwerb, spielt die Kompetenzentwicklung eine noch untergeordnete Rolle in den Behörden.
Wurde in der Behörde eine Erhebung des Kompetenzbestandes durchgeführt, erfolgte diese nach eigenen Angaben der Befragten wie folgt:
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das Personalreferat erhebt die Daten bei Einstellung/Abordnung, soweit bekannt, werden Änderungen eingepflegt,
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Abstimmung des Soll-Profils und Abgleich des Ist-Zustandes in persönlichen Gesprächen,
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Fragebogen zum Gesundheitsmanagement, 60 Prozent Beteiligung,
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über die Erkenntnisse der Vorgesetzten,
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die Erhebung wurde durchgeführt im Rahmen einer Aufgabenkritischen Beschreibung, Analyse und Bewertung von Arbeitsprozessen und Kompetenzprofilen,
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Erhebung über Personalgespräche und Personalakten,
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im Rahmen des Ausfüllens der Beurteilungsbögen bei der Regelbeurteilung,
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im Rahmen der dienstlichen Beurteilungen,
-
im Rahmen eines Beurteilungsverfahrens,
-
im Rahmen der Beurteilung.
Auch auf die Frage, ob in der jeweiligen Behörde eine Kompetenzlückenanalyse in Form eines Abgleichs der Soll- und Ist-Kompetenzprofile erfolgte, konnten 94 Prozent der Befragten keine Antwort geben. Nur vier Prozent führen diese Analyse durch.
Kompetenzen der Mitarbeiter fördern
Wird nach den Mitteln zum Kompetenzerwerb und -ausbau gefragt, liegen vor allem Trainings und Seminare sowie Mitarbeitergespräche vorn. Mit einigem Abstand folgen Maßnahmen wie Zielvereinbarungen, Coaching, Mentoring und Selbstlernprogramme. Die Einrichtung und Nutzung einer Anlauf- beziehungsweise Beratungsstelle zur Kompetenzentwicklung, sowie der Einsatz von Projekten zum Transfer von Trainings- und Seminarerfahrungen spielen aktuell nur eine sehr untergeordnete Rolle. Jedoch unterliegen die genannten Maßnahmen nicht standardmäßig einem Erfolgsmonitoring. Lediglich 14 Prozent der Abteilungsleiter konnten für ihre Behörde eine solche Erfolgskontrolle eindeutig bejahen. Die Mehrheit der Abteilungsleiter sieht dennoch die Kompetenzentwicklung aller Mitarbeiter als ein wichtiges Thema im Rahmen der Mitarbeiterführung und Personalentwicklung in der jeweiligen Behörde an. Gleichwohl konnten 34 Prozent diese Aussage nicht (voll) bestätigen.
Abbildung 2
Erfolgsmonitoring

Der überwiegende Teil der Abteilungsleiter in Behörden führt keine Erfolgsmessung nach durchgeführten Trainings und Seminaren durch.
Die Forderung zum Lebenslangen Lernen wird in den meisten Behörden offen kommuniziert und ist dort allen Mitarbeitern bekannt. Dies bestätigten 64 Prozent der Befragten. Anders sieht es aus bei der Wahrnehmung von Veränderungsprozessen in den jeweiligen Behörden. Diese werden von der überwiegenden Zahl der Befragten (62 Prozent) nicht als gestaltbare Selbstlernprozesse verstanden. Das Lernen von anderen Verwaltungen beispielsweise mittels Benchmarking, Best Practice-Beispielen oder Innovationstagen spielt in vielen Behörden (66 Prozent der Befragten) keine beziehungsweise eine untergeordnete Rolle.
76 Prozent der Umfrageteilnehmer stimmten der Aussage „Jeder Mitarbeiter ist verpflichtet, aktiv an der eigenen Fortbildung mitzuwirken“ voll beziehungsweise überwiegend zu. Etwas mehr als die Hälfte der Befragten gibt an, dass eine Fortbildungspflicht bereits in den Leitbildern oder Zielvereinbarungen der Behörde integriert ist. Jedoch, so die deutliche Mehrheit (73 Prozent), sind die Fortbildungsmaßnahmen nicht eng mit der Organisationsentwicklung verzahnt. Eine volle Verzahnung ist nach Einschätzung der Abteilungsleiter lediglich bei vier Prozent der Befragten erfolgt. 35 Prozent der Befragten sehen die Befähigung der Mitarbeiter, Veränderungen in ihrem Aufgabengebiet mitzugestalten, nicht als Ziel der Fortbildungsmaßnahmen an. Für 75 Prozent der Umfrageteilnehmer ist die Kompetenzentwicklung der ihnen unterstellten Mitarbeiter ein fester und regelmäßiger Bestandteil ihrer Führungsarbeit. Dennoch wurde in vorherigen Fragen unter anderem mehrheitlich bestätigt, dass in nur wenigen Fällen ein ganzheitlicher Kompetenzmanagement-Prozess beschrieben oder eine Kompetenzlückenanalyse durchgeführt wurde. Auffällig ist, dass noch ein Viertel der Befragten Kompetenzentwicklung nicht als Bestandteil der eigenen Führungsarbeit ansieht.
Es gibt noch viel zu tun
Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird oft als Argument bezüglich der Arbeitgeberattraktivität des öffentlichen Dienstes aufgeführt. Jedoch finden Aspekte des Diversity-Managements bei der Auswahl der Fortbildungsangebote, beispielsweise durch angebotene Diversity-Trainings, Sprachkurse oder Angebote speziell für Minderheitsgruppen bei 52 Prozent der Befragten keine Berücksichtigung. 24 Prozent der Befragten wissen es nicht und nur 24 Prozent gaben an, dies zu beachten. Arbeitshilfen aus verschiedenen Medien (Bücher, CD's, Internetangebote) sowie E-Learning sind aktuell die am meisten genutzten technologieunterstützten Lernmethoden in der jeweiligen Behörde, gefolgt von Foren, Wikis und Blended Learning. Schlusslicht bilden hier die sozialen Netwzerke.
Desweiteren wurde danach gefragt, wofür die Informationen aus dem Kompetenzmanagement genutzt werden. Dabei ergab sich folgende Rangfolge der Antworten:
- 1.
Stellenbesetzung,
- 2.
es gibt kein Kompetenzmanagement,
- 3.
Planung der Fortbildungsmaßnahme,
- 4.
strategische und zukunftsorientierte Personalstandsentwicklung,
- 5.
Aufbau von Expertenverzeichnissen („gelbe Seiten“),
- 6.
weiß nicht,
- 7.
Informationen werden erhoben, jedoch nicht weiter genutzt.
Der vierte Abschnitt der Umfrage enthielt Fragen zur systematischen Erfolgskontrolle der Fortbildungsmaßnahmen. Lediglich acht Prozent der befragten Abteilungsleiter gaben an, dass eine systematische Erfolgskontrolle durchgeführt wird. 78 Prozent verneinten dies. In den Fällen, in denen Daten erhoben werden, lassen sich die erhaltenen Freitext-Antworten mehrheitlich in drei Gruppen zusammenfassen:
-
Evaluation der Fortbildungsveranstaltungen durch Befragung der Teilnehmer,
-
Auswertung von Seminardokumentationen,
-
Rückmeldungen an die Führungskräfte durch die Seminarteilnehmer.
Durch die Festlegung der Handlungsleitlinien des Positionspapiers der IMK wurde der Stein ins Rollen gebracht. Wie die Ergebnisse der Umfrage zeigen, bleibt in der praktischen Umsetzung jedoch noch viel zu tun.
Autoren
Alexandra Lessau, Wissenschaftliche Dokumentations- und Transferstelle für Verwaltungsmodernisierung in den Ländern (WiDuT), Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer,
lessau@foev-speyer.de
Dr. iur. Christian Jock, Wissenschaftliche Dokumentations- und Transferstelle für Verwaltungsmodernisierung in den Ländern (WiDuT), Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer,
jock@foev-speyer.de
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