Der virtuelle Chef
Eine aktuelle Studie hat ergeben, dass inzwischen ein Drittel der Unternehmen im deutschsprachigen Raum aus der Ferne geführt wird. Noch mehr als mit dem Team vor der Nase, ist in der Führung auf Distanz Kommunikationsfähigkeit und der Aufbau von Beziehungen gefordert.
Morgens um sechs im Meeting mit Moskau und Bangalore, abends um neun mit Atlanta. Für ein Drittel aller Führungskräfte ist globale Zusammenarbeit bereits Alltag. Nach der Comteam-Studie „FührungsRaum – Im Spannungsfeld von Regulierung, Virtualisierung und dem Kampf um Talente“ aus dem Frühjahr 2012, zu der 446 Fach- und Führungskräfte befragt wurden, führen 37 Prozent der Befragten bereits virtuell, 32 Prozent werden selbst aus der Ferne geführt. Großraumbüro und Besprechungsraum werden Zug um Zug durch das Internet ersetzt.
Aktuell findet diese virtuelle Zusammenarbeit hauptsächlich im globalen Rahmen statt. Das bedeutet Führung und Projektsteuerung über verschiedene Kontinente und Zeitzonen hinweg. Nach Einschätzung der befragten Fach- und Führungskräfte wird sich dies in fünf Jahren stärker auf Europa beziehungsweise das eigene Land verschieben. Gleichzeitig sei die Führungsrolle in den vergangenen fünf Jahren weniger attraktiv geworden, antworten fast 60 Prozent der Manager. Gibt es einen Zusammenhang mit der Zunahme der virtuellen Führung?
Fern-Führen ein Qualitätskiller?
Immerhin gefällt knapp 80 Prozent der Führungskräfte, die virtuell führen, dies nicht besonders und nur ein Drittel erlebt sich als (sehr) effektiv im Fern-Führen. Die Mitarbeiter können dem nur zu 22 Prozent folgen (Abbildung). Generell beurteilen die Mitarbeitenden virtuelle Führung aber positiver als ihre Vorgesetzten: Fast 30 Prozent der Geführten gefällt sie gut bis sehr gut. Die große Mehrheit zeigt sich jedoch kritisch.
Abbildung
Virtuelle Führung

Die Meinungen zum Thema „virtuelles Führen“ sind gemischt.
Die Vorbehalte werden deutlich, wenn man Vor- und Nachteile des virtuellen Führens für das jeweilige Unternehmen bewerten lässt. Als Nachteil sehen die Studienteilnehmer neben der hohen Abhängigkeit vom Funktionieren der Technik vor allem die erschwerte persönliche Kommunikation: Zusammenarbeit über Räume hinweg führt zu mehr Missverständnissen, Konflikten und weniger Loyalität. Letztlich bringt Fern-Führen für über 40 Prozent weniger durchdachte Ergebnisse und Qualität. Nur halb so viele der Befragten (19 Prozent) meinen, dass die Qualität steige. Als größte Vorteile werden die Möglichkeit zu Kosteneinsparungen, kürzere Reaktionszeiten und attraktive Arbeitsformen genannt. Die Einschätzung zeigt, wie wenig das Potenzial tatsächlich ausgeschöpft wird, das virtuelle Zusammenarbeit mit sich bringen könnte.
Obwohl das Thema nicht neu ist, gibt es große Vorbehalte gegen virtuelle Führung. Diese Form der Führung bedeutet für die „Tele-Führungskräfte“ zunächst: Sie müssen virtuell führen wollen und sie müssen es können. Zum Wollen gehört, das Führen aus der Ferne nicht als schlechtere Variante oder Übergangslösung zum persönlichen Kontakt abzutun. Das Können andererseits beruht beim Fernführen auf besonderen Skills. Vertrauen, Macht und Hierarchien verändern sich im virtuellen Raum.
Virtuell eine Beziehungsebene aufbauen
Dass daraus Unsicherheit oder auch Ablehnung entstehen können, liegt nahe und erklärt die Vorbehalte. Statussymbole und Charisma im physischen Sinne können nicht mehr wirken. Führung aus der Ferne heißt, mehr Selbstständigkeit zu gewähren und einzufordern. Das „Wie“ bleibt stärker den Mitarbeitern überlassen, Hauptsache der Beitrag zum Gesamtergebnis stimmt. Der Chef wird somit eher zum Moderator denn zum Dompteur, zum Primus inter Pares, der den Arbeitsprozess voranbringt und – ja, das muss auch sein – das Vorankommen kontrolliert.
Zu oft wird auch der Fehler gemacht, die Beziehungsebene virtuell außen vor zu lassen. Den Defiziten in der Führungsqualität kann man von Seiten der Personalentwicklung durch teambildende Maßnahmen, die Vertrauen und Vertrautheit schaffen, entgegenwirken. Virtuellen Teams tut es gut, wenn sie sich – mindestens einmal im Jahr – real treffen. Um die Mitarbeiter virtueller Teams zu motivieren, ihre Loyalität zu gewinnen und Identität zu stiften, ist es wichtig zu klären, warum virtuelle Teams gegründet werden. Geht es nur um Kostenersparnis, ist dies für die Motivation kaum förderlich. Soll virtuelles Arbeiten und Führen jedoch den Erwartungen junger Talente der „Generation Y“ entgegenkommen, zum Beispiel hinsichtlich einer besseren Work-Life-Balance, flexibleren Arbeitsformen oder verbesserter Nachhaltigkeit, fördert dies die Mitarbeitermotivation. Und nur wenn sich Führungskräfte ganz auf diese Form von Leadership einlassen, sind auch die Mitarbeiter bereit, sich virtuell führen zu lassen.
Neue Führung, neue Technik
Zu den Voraussetzungen für Führen und Zusammenarbeiten im virtuellen Raum gehört auch die Nutzung verschiedener Kommunikationsmedien und neuer Arbeitsformen. Es überrascht, wie selten moderne Kommunikationsinstrumente immer noch verwendet werden und wie wenig die Möglichkeiten ausgeschöpft werden, auch wenn die technischen Voraussetzungen vorhanden sind. Nur 16 Prozent der Studienteilnehmer nutzen regelmäßig Videotelefonie, kaum jemand Wikis und Blogs zur internen Kommunikation. Natürlich muss man sich bei jedem neuen Instrument fragen, ob es echte Vorteile gegenüber bestehenden bringt. Die Zukunft gehört jedoch der Nutzung von Smartphones, Videokonferenzen und Tabletcomputern, wenn man der Einschätzung der Studienteilnehmer folgt. Und: Künftig erwarten 80 Prozent der Befragten steigende Belastungen durch ständige Erreichbarkeit und Informationsüberflutung.
Wenig überraschend ist auch, wo die Studienteilnehmer die Medien- und Technikkompetenz sehen, die das Arbeiten in virtuellen Teams erst ermöglicht: Über 80 Prozent nennen hier die jungen Führungskräfte, nur gut 25 Prozent trauen dem Top-Management in dieser Angelegenheit etwas zu. Die elektronische Kommunikation und Social Media werden für Unternehmen und damit auch in der Personalarbeit künftig weiter an Bedeutung gewinnen. Schon heute geht es weniger um die Frage, ob die neuen technischen Möglichkeiten genutzt werden, sondern wie. Für Personaler besonders interessant: Gleichzeitig werden die Belegschaften der Unternehmen älter. Damit Anforderungen und Fähigkeiten zwischen jüngeren und älteren Fach- und Führungskräften nicht weiter auseinanderdriften, sollte in diese Skills deutlich mehr investiert werden. Nur so nutzt man das Potenzial der Medien, die mehr Flexibilität ermöglichen und Ergebnisse schneller erzielen lassen. So verbessert man auch das Wissensmanagement in den Organisationen und Unternehmen.
Neben der Medien- und Technikkompetenz gilt es jedoch vor allem die Kommunikationsfähigkeit auszubauen. Diese steht ganz oben auf der Liste der Kompetenzen, die Führungskräfte nach Einschätzung der Befragten verstärken oder neu entwickeln müssen, um künftigen Herausforderungen gewachsen zu sein. Es folgen Empathie und Zuhören. Neben der virtuellen Führung untersucht die Studie, was zunehmende Regulierung durch Prozesse, Lean Government und Compliance-Vorschriften sowie der Wettbewerb um Talente für eine zeitgemäße Unternehmensführung bedeuten.
Die Studie
Ein Studienbericht zu „FührungsRaum – Im Spannungsfeld von Regulierung, Virtualisierung und dem Kampf um Talente“ ist kostenlos über ComTeam zu beziehen: http://doku.comteam-ag/CT_Studie_2012c.pdf
Autor
Lorenz Forchhammer, Studienleiter und Vorstand ComTeam AG, Gmund am Tegernsee,
l.forchhammer@comteamgroup.com
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