Ausgabe 8, Special Employer Branding - 2014
Ade, heile Welt!
Recruiting-Videos suggerieren häufig eine heile Welt, die es bei keinem Arbeitgeber gibt. Dabei bleibt ein wesentlicher Erfolgsfaktor gelingenden Employer Brandings auf der Strecke: die Glaubwürdigkeit. Eine Studie hat die Videos der DAX 30 untersucht.
Heute hat fast jeder DAX-Konzern ein Recruiting-Video, und auch im Mittelstand kommt dieses Tool mehr und mehr zum Einsatz – und das zu Recht. Denn Bewegtbilder sind ein wichtiger Baustein jeder Karriereseite. Wer sich mit Recruiting-Videos beschäftigt, kennt aber auch die großen Fehler, die man hier machen kann, man denke nur an rappende Azubis. Was unter dem Strich alle schlechten Recruiting-Videos gemeinsam haben? Es fehlt an Glaubwürdigkeit. Ein Paradebeispiel hat die Oberfinanzdirektion Koblenz geliefert: zwei Finanzbeamte, die plötzlich anfangen, sich wild zu Rockmusik zu bewegen. Hier wird potenziellen Bewerbern ein Bild vorgespielt, das fernab jeglicher Realität ist – und das einfach nur lächerlich wirkt.
Weg mit den Skripten
Nun stellt sich die Gretchenfrage: Wie produziere ich ein authentisches Video, das Außenstehenden einen realistischen und ernst zu nehmenden Eindruck des Unternehmens vermittelt? Bis vor Kurzem lautete die pauschal passende Antwort auf diese Frage: Wir brauchen Testimonials – also persönliche Empfehlungen – von echten Mitarbeitern. Zweifelsohne ein Schritt in die richtige Richtung, nur reicht das allein nicht aus. Entscheidend ist, wie diese Testimonials zustande kommen. In der Regel produzieren klassische Werbeagenturen die Filme. Sie sind es gewohnt, die Texte für das Video vorzuschreiben. Das kann nicht funktionieren, wenn man glaubwürdig sein will. Keine Frage: Solche Videos sind hervorragend gedreht und beinhalten Statements echter Mitarbeiter. Und doch bieten sie kein authentisches Filmmaterial. Deshalb: Werfen Sie die vorgeschriebenen Texte weg! Führen Sie stattdessen, ganz wie ein Fernsehjournalist, echte Gespräche mit Ihren Kollegen – nur so erhalten Sie für die Arbeitgeberwerbung entscheidende, glaubwürdige Aussagen.
„Werbung darf lügen, PR nicht“
Wichtig ist also ein journalistischer Zugang zum Thema. Wenn Sie also planen, mit einer Agentur zusammenzuarbeiten, sollte deren Schwerpunkt im Bereich PR liegen, weniger in der klassischen Werbung. Denn ein authentisches Video darf gerade keine geschönten Werbebotschaften enthalten. Vielmehr muss möglichst unverfälscht die Wahrheit abgebildet werden. Ein Marketingexperte sagte neulich treffend: „Werbung darf lügen, PR nicht.“ Mit der ungeschönten Wahrheit tun sich die DAX-30-Konzerne in ihren Videos allerdings noch sehr schwer. Unser Research-Team hat im Rahmen einer Studie 47 ihrer Recruiting-Videos untersucht: 46 davon (98 Prozent) zeigen ausschließlich die positiven Seiten der Unternehmen! Sie wollen in ihren Videos keine Schwachpunkte preisgeben, setzen stattdessen auf Schönfärberei. Doch wer glaubt ernsthaft, dass es ein Unternehmen gibt, das im täglichen Geschäft die rosarote Kulisse aufrechterhalten kann? Dazu passend folgendes Zitat von einem Studenten, den die Deutsche Bank bei ihrem Recruiting-Event „Spring to Banking“ interviewt hat: „Ich hatte die ganze Zeit im Hinterkopf, dass mir die Bank genau das zeigt, was sie mir zeigen möchte. Ich habe also nicht die Schattenseiten des Berufs gesehen. Es war alles sehr strahlend, schillernd und toll. Ab und zu habe ich mich gefragt: Wo ist der Haken?“ Diese Frage stellt sich jeder potenzielle Bewerber.
Wenn Arbeitgeber freiwillig ihre Schwachpunkte offenlegen, zahlen sie aber nicht nur auf ihr Glaubwürdigkeitskonto ein. Gleichzeitig werden ungeeignete Bewerber abgeschreckt, die ohnehin nicht zum Unternehmen passen würden. Besser ist das Video von Bayer: Der Konzern sagt Kandidaten offen, dass auch Überstunden anfallen können. Zwar ist dies letztlich ein Punkt, mit dem ohnehin jeder Bewerber rechnet. Aber es wird immerhin angesprochen. Mehr Ehrlichkeit zahlt sich sogar doppelt aus: Denn Employer Branding entsteht von innen nach außen. Die eigenen Mitarbeiter kennen das Unternehmen schließlich am besten und bei ihnen steigt die Akzeptanz für das Video, wenn auch die negativen Seiten dargestellt werden.
Mehr Profil nötig
Glaubwürdigkeit ist sicherlich ein wichtiger Baustein für ein gelungenes Recruiting-Video. Wichtig ist allerdings auch, dass das Video die Arbeitgebermarke stärkt. Starke Marken haben immer ein starkes Profil – und das ist eins mit Ecken und Kanten. Wir haben daher analysiert, mit welchen Eigenschaften und Werten die DAX-Konzerne in ihren Videos für sich werben.
Das traurige Ergebnis: Alle Unternehmen betonen in ihren Videos gegenüber Bewerbern Vorteile, mit denen sie sich von anderen Arbeitgebern wenig abheben: „interessanter Job“, „ideale Karrieremöglichkeiten“, „hervorragende Arbeitsbedingungen“ – immer wieder dieselben Vorteile, die Bewerber speziell bei einem weltweit operierenden Konzern ohnehin voraussetzen. Wie überflüssig es ist, diese Punkte ins Feld zu führen, lässt sich leicht daran erkennen, dass niemand das Gegenteil sagen würde: „Der Job ist eher eintönig, weitere Karriereschritte sind kaum möglich, das Essen in unserer Kantine schmeckt nicht und Teamgeist gibt es bei uns auch nicht.“
Mit Werten abheben
Deutlich besser zur Differenzierung geeignet ist die jeweils spezifische Unternehmenskultur, die durch verschiedene Werte definiert wird, mit denen sich potenzielle Bewerber identifizieren können. Nur acht der 29 DAX-Unternehmen mit Recruiting-Video stellen identitätsstiftende Aspekte bei ihren Filmen in den Vordergrund. 86 Prozent der genannten Gründe, bei der jeweiligen Firma zu arbeiten, sind Hygienefaktoren: Sie sind zweifelsohne wichtig – wie die tägliche Hygiene – und es wäre ein Minuspunkt, wenn sie fehlten. Gleichzeitig sind sie aber so „normal“, dass sie kein Alleinstellungsmerkmal darstellen.
Man stelle sich einen Ingenieur vor, der bei einem deutschen Automobilkonzern einsteigen möchte. Internationales Arbeiten in interkulturellen Teams, abwechslungsreiche Aufgaben, gute Fortbildungsmöglichkeiten und interessante Karriereperspektiven bieten Arbeitgeber wie BMW, Daimler oder Audi alle. Abgrenzen können sie sich nur durch ihre jeweiligen Firmenwerte, mit denen sich der eine mehr und der andere weniger identifiziert. Diese Wertegerüste sind bei jedem Unternehmen einzigartig – sozusagen die Genetik einer Firma. Identitätsstiftende Werte sind für die Arbeitgeber-Positionierung hervorragend geeignet. Sie verleihen der Arbeitgebermarke Profil.
Lauter Selbstverständlichkeiten
Abbildung
Diese Aspekte werden beworben

Unternehmenskulturelle Werte stehen nicht im Vordergrund bei Recruiting-Videos. Stattdessen herrscht Gleichförmigkeit: Internationalität, Abwechslungsreichtum oder gute Aus- und Weiterbildung stehen im Fokus – obwohl sie bei DAX-Konzernen ohnehin vom Bewerber vorausgesetzt werden.
Die Abbildung zeigt, dass unter allen einzeln genannten Vorteilen erst an fünfter Stelle die sehr viel besser geeigneten unternehmenskulturellen Aspekte wie Wertschätzung, Fairness und Vertrauen folgen. Statt identitätsstiftende Firmenwerte zu kommunizieren und dadurch Bewerber anzuziehen, die in die Firmenkultur passen, werden in allen Videos aber in erster Linie Selbstverständlichkeiten beworben. 40 Prozent der genannten Vorteile betonen die Internationalität des Konzerns. Aber auch auf die vielfältigen, abwechslungsreichen Aufgaben und Themen wird gerne hingewiesen (38 Prozent). Gute Aus- und Weiterbildung (38 Prozent) sowie Teamgeist und Kollegialität (34 Prozent) gehören ebenfalls zum langweiligen Standardrepertoire der Videos. Unternehmenskulturelle Werte werden nur vereinzelt erwähnt, sie stehen nicht im Vordergrund. Ein positives Beispiel ist das Video der Lufthansa: An verschiedenen Stellen wird betont, dass selbstloses Handeln zur Firmenkultur gehört und dass die Ergebnisse des Teams an erster Stelle stehen.
Verpasste Chance
Um die Arbeitgebermarke weiter zu schärfen und die richtigen Leute anzuziehen, müssen Bewerber wissen, welche Persönlichkeiten beim jeweiligen Arbeitgeber gefragt sind. Ist zum Beispiel eher ein konservativer Krawattenträger oder ein ausgeflippter Querdenker passend? Bewegtbilder sind das beste Medium, um den Cultural Fit zu transportieren. Die meisten DAX-Konzerne verpassen diese Chance in ihren Videos.
Es ist grotesk: Während es zum Standard einer Stellenanzeige gehört, dass die Anforderungen an den Bewerber dargestellt werden, ist dies bei Recruiting-Videos die Ausnahme. Nur in 14 der insgesamt 47 untersuchten Videos wird konkret gesagt, was Bewerber mitbringen sollten. Und nur sieben Videos nennen mehr als zwei gewünschte Eigenschaften von Bewerbern. Potenziellen Kandidaten ist so kaum möglich abzugleichen, ob die eigene Persönlichkeit in die Unternehmenskultur passt. Ein glaubwürdiges Recruiting-Video zu erstellen, das die besonderen Vorteile des Arbeitgebers hervorhebt, aber gleichzeitig zum Ausdruck bringt, wer zum Unternehmen passt und vor allem wer nicht – das ist die hohe Kunst. Den wenigsten gelingt es, auch unter den großen DAX-30-Unternehmen. Der erste Schritt besteht darin, die Makellosigkeit der Werbebotschaften zu verlassen und die Unternehmen so darzustellen, wie sie sind – mit all ihren Ecken und Kanten. Ade, heile Welt!
Vier Regeln für bessere Recruiting-Videos
Regel 1: Keine Skripte
Schreiben Sie Ihren Mitarbeitern niemals vor, was sie zu sagen haben, sondern führen Sie entspannte Interviews ohne Manuskript.
Regel 2: Schwächen zugeben
Ermutigen Sie die Kollegen, auch die Schattenseiten ihres Arbeitgebers zu beschreiben. So machen Sie das Video noch glaubhafter.
Regel 3: Werte sind wichtig
Lassen Sie die Mitarbeiter die Unternehmenskultur beschreiben. Menschen identifizieren sich nicht mit Firmen, sondern mit deren Wertegerüst.
Regel 4: Erwartungen klar formulieren
Kommunizieren Sie, welche Anforderungen Sie an potenzielle neue Kollegen stellen. Das heißt auch: Scheuen Sie sich nicht, deutlich zu machen, wer bei Ihnen nicht gut aufgehoben ist.
Studie zu Recruiting-Videos
Immer mehr Unternehmen setzen mittlerweile Recruiting-Videos ein, um attraktiv für Bewerber zu werden. 29 von 30 DAX-Konzernen nutzen solche Videos. Die Positionierungsberatung Dr. ZitelmannPB. GmbH hat vom 2. bis 24. Januar 2014 die Recruiting-Videos aller Unternehmen im DAX 30 untersucht. Außer der Deutschen Börse hatte jeder Konzern mindestens ein Video auf dem Karriereportal oder auf YouTube. Insgesamt wurden 47 Filme untersucht. Weitere Infos: http://zitelmann-kommunikation.com/studien/studie-zu-recruiting-videos/
Autor
Dr. Alexander Knuppertz, Leiter Research und zertifizierter Employer Brand Manager, Dr. ZitelmannPB. GmbH, Berlin,
knuppertz@zitelmann.com