Ausgabe 8, Special Employer Branding - 2014
Happy Birthday, Employer Branding!
Das Employer Branding wird in wenigen Wochen 18 Jahre alt: volljährig, den Kinderschuhen entstiegen, auf eigenen Beinen stehend. Gratulation! Doch das Erwachsenendasein bringt auch Verantwortung mit sich. Ein Kommentar zum Coming-of-Age eines Teen-Superstars.
Wie bei achtzehnten Geburtstagen üblich, werfen wir zum Einstieg einen kurzen Blick zurück. Im Jahr 1996 boomt in den USA unter Präsident Clinton der Arbeitsmarkt, die Arbeitslosenzahl liegt bei 5,5 Prozent. In Deutschland plagt sich Bundeskanzler Helmut Kohl derweil mit einer „Massenarbeitslosigkeit“: 4,2 Millionen Menschen sind ohne Beschäftigung, 10,8 Prozent, ein Nachkriegsrekord. Heinz Dürr war Bahnchef, obwohl ihn niemand so nannte, im Kino lief gerade „Independence Day“ für Leute meines Alters und „Ein Schweinchen namens Babe“ für die Generation Y. Es war eine andere Zeit.
Der Zeit voraus
Tim Ambler und Simon Barrow waren ihrer Zeit voraus, als sie genau in jenem Jahr eine Studie zur Personalpolitik in 27 britischen Unternehmen durchführten und mit dem Topmanagement die Bedeutung von Arbeitgebermarkenführung diskutierten. Der daraus resultierende Fachartikel im Journal of Brand Management mit dem heute schlicht klingenden Titel „The employer brand“ (siehe Seite 33) wurde zur Geburtsurkunde des Employer Brandings. A star was born.
Bereits seit einiger Zeit hatten sich fortschrittliche Unternehmen mit der Frage beschäftigt, wie sie ihren wachsenden Kompetenzbedarf angesichts des technologischen Fortschritts decken sollten. Das Modell von Ambler und Barrow lieferte nun auch im personalwirtschaftlichen Bereich einen Ansatz, dem Wettbewerb eine Nasenlänge voraus zu sein. Und so begannen Unternehmen, ihre Arbeitgebermarke zu definieren und zu kommunizieren.
Als zum Jahrtausendwechsel die Internetbranche boomte, gab es kein Halten mehr. Statt Employer Branding wurde in der Boombranche „Employer Nurturing“ betrieben, eine Art „Kinderbelustigung“. Kicker, Spielekonsole und Cola-Automat gehörten an den Medienstandorten Hamburg, Köln und Frankfurt zur Grundausstattung in Start-ups, ebenso wie Relax-Massagen oder After-work-Partys, und die Personaler spielten Super-Nanny. Verwunderung, Unverständnis und Neid kamen bei allen anderen auf: Wer nicht in der Internet- oder Agenturbranche tätig war, hatte das Gefühl, etwas falsch zu machen. Es war die erste Welle des Employer Brandings, eine unbeschwerte Kindheit.
Die zweite Welle
Nach dem Platzen der Dotcom-Blase war erst mal Schluss mit lustig. Allerdings nur für kurze Zeit. Denn die grundlegenden Rahmendaten hatten sich nicht verändert: Die Demografie verknappt die verfügbaren Kräfte, während die Technologie immer neue Qualifizierungsanforderungen stellt. Und mit der konjunkturellen Erholung in Deutschland standen Unternehmen erneut vor der Herausforderung, Menschen für sich zu gewinnen. Nicht unwesentlich trug die Deutsche Employer Branding Akademie ab 2006 hierzulande zur Verbreitung des Konzepts „Employer Branding“ bei. Praktisch griffen damals viele auf die von Wolf Reiner Kriegler und seinem Team entwickelten Definitionen und Handlungsansätze zurück, denn deutschsprachige Fachliteratur existierte kaum.
Es begann die zweite Welle des Employer Brandings in Deutschland, eine stürmische Jugend. Der Rekrutierungsbedarf prägte dabei die Herangehensweise, Employer Branding wurde als Personalwerbung interpretiert. Es war die Zeit, als große Kampagnen und bunte Bilder Einzug hielten im Personalbereich. Und als Personaler zum ersten Mal wirklich Geld für Kommunikation in die Hand bekamen. Freilich ohne zu wissen, was man genau denn damit anstellt. Die eigene Kommunikations- oder Marketingabteilung wurde meist nicht gefragt. Man war ja selbst bislang auch als Gesprächspartner nicht gefragt. Also hielt man es mit Loriot, man hatte „was Eigenes“. Agenturen konnten so ziemlich alles verkaufen, selbst Broschüren, CD-ROMs und Bücher über attraktive Arbeitgeber. Es wurde jedes Spielzeug ausprobiert, und manches ging dabei zu Bruch.
Die Finanzkrise beendete in vielen Unternehmen diese Phase jäh. Statt Rekrutierung rückte plötzlich Mitarbeiterbindung in den Fokus, und ein internes Employer Branding auf Sparflamme diente dazu, die Leute bei Laune zu halten. Die Arbeitgebermarke wurde konserviert und fachgerecht eingelagert, um sie bei Bedarf wieder auszupacken. Doch die Finanzkrise war keine umfassende Wirtschaftskrise. Viele Unternehmen konnten eine stabile Geschäftslage verzeichnen oder sogar expandieren, zahlreiche Märkte boten auch weiterhin enorme Wachstumspotenziale.
Extreme Zeiten
Und so ließ die dritte Welle des Employer Brandings nicht lange auf sich warten. Die Arbeitgebermarke wurde wie ein altes Kleid aus dem Schrank geholt. Dabei stellte sich heraus, dass der modische Trend das gute Stück hinter sich gelassen hatte. Neues Einkleiden war gefragt, Arbeitgebermarken wurden entstaubt und neu definiert. Mittlerweile hatte sich das Employer Branding etabliert, war zum festen Bestandteil in Unternehmen geworden und hatte Einzug in die ersten Hochschullehrpläne gehalten. Plötzlich schossen die Experten wie Pilze aus dem Boden, und von Passau bis Pusemuckel entdeckten Werbeagenturen ihre natürliche Begabung für Employer Branding. Es war die Phase der Pubertät, und der Überschwang der Gefühle führte zu kommunikativen Mutproben. Was noch nicht ausprobiert war, wurde jetzt versucht. Employer Branding wurde lauter, bunter – und schoss häufig übers Ziel hinaus. Selbst einigen Werbern wurde es schließlich zu bunt: Sie riefen mit der „Goldenen Runkelrübe“ einen Negativpreis aus, der die schlechtesten Leistungen im Employer Branding „würdigt“. Verunglückte Rekrutierungsvideos oder fehlgeleitete Imageanzeigen schaffen sogar den Weg in die großen Medien.
Wenn plötzlich viel und laut kommuniziert wird, schwindet die Übersicht. Auch dies ist eine gute Gelegenheit, sich als Dienstleister nützlich zu machen. Und so überschwemmen mittlerweile Anbieter von „Gütesiegeln“, Zertifikaten oder Programmen den Markt. Ein „Great Place to Work“ oder „Top Arbeitgeber“ zu sein, reicht vor allem den großen Unternehmen längst nicht mehr, es müssen auch noch Embleme von Xing, vom TÜV oder vom Bundesfamilienministerium an der eigenen Brust prangen. Man schmückt sich im Stile eines sowjetischen Generals. Das Geschäft mit dem Employer Branding boomt wieder, und der Begriff wird zunehmend strapaziert. Von der regionalen Jobbörse bis zum Catering-Unternehmen mit seinen Essensgutscheinen will plötzlich jeder daran beteiligt sein, das Unternehmen zum attraktiven Arbeitgeber zu machen.
Ganz zu schweigen von einer lebhaften Szene an Experten, die sich vor allem über Internet-Blogs tagtäglich zu den gewaltigen Vorkommnissen austauscht. Es steht eigentlich nur noch die Gründung des Bundesverbandes der Employer- Brand-Manager aus.
Standortbestimmung
Wo also steht Employer Branding im Jahr 2014? Heute gibt es alles. Lehrbücher, Studieninhalte, Ausbildungsgänge. Es gibt die einen Unternehmen, die noch gar nicht angefangen haben, und die anderen, die nicht mehr wissen, was sie noch tun sollen. Und es gibt eine mediale Übersättigung mit dem Thema Employer Branding, bei dem sich nichts mehr zu bewegen scheint. Ich selbst habe vor nicht allzu langer Zeit einmal die Aussage gewagt: „Employer Branding ist tot.“ Kollegen haben mich dafür verflucht. „Du redest den Markt kaputt“, bekam ich zu hören. Einen Markt kann man aber nicht kaputtreden, solange es reale Bedürfnisse gibt. Und die gibt es bei den Unternehmen in der Tat. Denn die Rahmendaten stehen nach wie vor: Demografie, Fachkräftemangel, Qualifikationsschere, Veränderungsdruck. Aber die Aufgabe ist schwieriger geworden, weil der Wettbewerb intensiver geworden ist. Wenn alle sich das neue hübsche Kleid anziehen, sehen auch alle wieder gleich aus. Und das Schleifchen im Haar macht noch nicht den Unterschied.
Employer Branding wird in diesem Jahr 18 Jahre alt – Zeit, erwachsen zu werden! Dazu gehört, dass es nicht der Selbstbeweihräucherung dient, sondern tatsächliche – messbare – Erfolge erzielen muss. Eine weitere wichtige Erkenntnis: Employer Branding muss sich sinnvoll in die gesamte Unternehmenskommunikation integrieren und darf kein Inselleben führen. Zudem müssen Unternehmen die Kommunikation mit dem Arbeitsmarkt, mit Bewerbern und vor allem Mitarbeitern als Daueraufgabe erkennen – und nicht nur auf gelegentliche Empfindungsschübe reagieren.
Employer Branding muss sich also im Rahmen einer integrierten Arbeitgeberkommunikation wiederfinden. Dann wird ihm auch ein langes, ertragreiches und glückliches Leben beschert sein.
Die „Geburtsurkunde“ des Employer Brandings, der Artikel von Ambler und Barrow aus dem Jahr 1996, ist übrigens nach wie vor ein inspirierender Text und heute noch lesenswert. Auch wenn manches daran überdacht oder neu gedacht werden muss, der Grundgedanke ist richtig: Werden Sie guter Arbeitgeber, setzen Sie auf Menschen. In diesem Sinne: Happy Birthday!
Autor
Andreas Scheuermann Senior Berater Arbeitgeberkommunikation, Fink & Fuchs Public Relations AG, Wiesbaden,
andreas.scheuermann@ffpr.de
Kaum volljährig, schon ein Klassiker
Vor 18 Jahren haben Tim Ambler und Simon Barrow mit ihrem Artikel „The employer brand“ das Konzept und die Bedeutung der Arbeitgebermarke definiert – und damit ein ganzes Beratungsfeld geschaffen. Ein Blick zurück auf einen vorausschauenden Text.
Die Wahrscheinlichkeit, dass die Erkenntnisse eines wissenschaftlichen Fachartikels aus den Höhen des Elfenbeinturms in den Niederungen des Tagesgeschäfts ankommen, ist für sich genommen schon einmal gering. Dass einer solchen Abhandlung 18 Jahre später in einer Fachzeitschrift für Praktiker zur Volljährigkeit gratuliert wird, ist noch um einiges unwahrscheinlicher.
Nun ist Tim Amblers und Simon Barrows Fachtext „The employer brand“ mit kaum 18 Jahren ein HR-Weltstar, und wer 18-jährige Weltstars kennt, weiß: Seit Pelé ist das selten gut ausgegangen. Miley Cyrus, Justin Bieber, Britney Spears – irgendwie haben die alle einen Knall. „The employer brand“ aber hat es geschafft, den schmalen Pfad zwischen Hype und Hybris souverän entlangzuschreiten und schon vor Erreichen der Volljährigkeit zum Klassiker zu avancieren.
Sperrig, aber treffend
Die Arbeitgebermarke definieren Ambler und Barrow als „ein Bündel an funktionalen, wirtschaftlichen und psychologischen Vorteilen, die eine Beschäftigung mit sich bringt und die mit dem Arbeitgeber verbunden werden“. Das mag aus heutiger Sicht etwas sperrig klingen, fasst die Gemengelage aber nach wie vor treffend zusammen.
Wichtiger noch ist ein anderer Punkt. Zwar stützen sich Ambler und Barrow bei der Entwicklung und Definition des Begriffs vornehmlich auf Marketingliteratur und entwickeln auf dieser Basis ihre These, HR solle sich bei seinen Bemühungen, die Arbeitgebermarke zu schärfen, vom Marketing inspirieren lassen. Doch tatsächlich gehen sie im Folgenden kaum detailliert auf externe Marketingmaßnahmen ein. Vielmehr fokussieren sie insbesondere die Aspekte Unternehmenskultur und interne Kommunikation, und sie weisen auch auf deren Beitrag zum Image des Unternehmens in der Öffentlichkeit hin. Das ist insofern bemerkenswert, als Employer Branding in der Folge vielfach auf seine sichtbaren Anteile reduziert wurde und bis heute wird – also auf Flyer und Websites und Videos und anderen teuren Spaß. Marketing eben. Dabei geht es im Kern um Kultur: um Haltung, um ein Selbstverständnis als Arbeitgeber und um Aufrichtigkeit – auch der eigenen Organisation gegenüber. Kultur macht ein System lebendig. Wo Kultur ist, sind Ecken und Kanten. Ohne Kultur ist Marketing bloße Oberflächenversiegelung.
Die Autoren waren Marketeers mit Leib und Seele, ein Duo aus Wissenschaft und Praxis: Ambler Forscher an der London Business School, Barrow Gründer des britischen Beratungshauses „People in Business“ – er hatte also auch abseits des rein Fachlichen gute Gründe, HR eine Annäherung ans Marketing vorzuschlagen. Das Unternehmen jedenfalls dürfte seinem damaligen Chairman auf Knien danken, dass man sich bis heute als „Erfinder der Employer Brand“ gerieren darf. Denn wer den heutigen Geschäftsführer David Richardson auf Kongressen sprechen hört, bekommt eine Erkenntnis serviert, die auch 1996 schon Essenz des Fachtexts war. Es sei Zeit, proklamiert Richardson dann, dass sich HR eine Scheibe beim Marketing abschneide: „Unsere neuen besten Freunde sitzen in der Marketingabteilung“, verkündet er, fröhlich jenseits des Erkenntnisgewinns. Von Kultur ist in diesen Vorträgen leider seltener die Rede.
Immer wieder neu
Daran erkennt man wohl einen Klassiker: dass man ihn immer wieder neu auflegen, covern, sampeln und kopieren kann, ohne dass er aus der Mode kommt. Ebenso typisch: dass alle den Refrain mitsingen, aber bei den Strophen schwächeln. Ambler und Barrow haben da ganze Arbeit geleistet. Schade nur, dass man diesen Klassiker – wie viele andere Klassiker unterschiedlicher Genres auch – nun gerne auf seinen finanziell relevantesten Aspekt beschränkt: in diesem Fall die Kreuzung von Marketing und HR.
von Cliff Lehnen