Ausgabe 8, Special Employer Branding - 2016
Glänzende Fassaden

Fresenius eilt wirtschaftlich von Rekord zu Rekord, heimst im Personalmarketing fleißig Preise ein und hat den bestverdienenden Personalvorstand im Dax. Doch als wir nachfragen wollen, wie all das funktioniert, duckt sich HR weg. Und Star-CEO Ulf Schneider dankt ab. Schlaglicht auf einen Konzern in Bewegung.
Vom langen Weg zur Spitze können Hochleistungssportler ein Lied singen: Allein wer sich erbitterter Widersacher erfolgreich erwehrt und den einmal erkämpften Titel hartnäckig verteidigt, wird als Meister seiner Disziplin in Erinnerung bleiben. Ein solcher Champion ist offenkundig auch der Bad Homburger Gesundheitskonzern Fresenius SE & Co. KG aA. Seine wirtschaftliche Bilanz strotzt vor Kraft: CEO Ulf Schneider, 2012 vom „Handelsblatt“ und ein Jahr später auch vom „Manager Magazin“ zum „Manager des Jahres“ gekürt, präsentierte mit dem Geschäftsjahr 2015 das zwölfte Rekordjahr in Folge. Auch seine Anleger überzeugt Fresenius Jahr für Jahr aufs Neue. Mit einem Total Shareholder Return (TSR) aus Kursentwicklung und Dividende von jährlich 20 Prozent hält Fresenius andere Dax-Unternehmen oder die im Morgan Stanley Global Healthcare Index gelistete internationale Branchenkonkurrenz deutlich auf Abstand. „Wir schlagen sie um den Faktor zwei oder drei“, gibt sich Harvard-Absolvent Schneider siegessicher wie ein Ausnahmeathlet.
Schneider hielt das Unternehmen seit 2003 stetig auf Erfolgskurs, in der Zeit hat sich der Gewinn verzwölffacht. Doch jetzt wurde es ihm im beschaulichen Homburg zu eng: Ende Juni verkündete er seinen Wechsel zum Nestlé-Konzern, binnen einer Woche übernahm sein Nachfolger, bereits im September tritt Schneider in der Schweiz an. Klar ist: Seine Umsatzzahlen werden weiter wachsen. Bei Fresenius war er verantwortlich für rund 200 000 Beschäftigte und 25 Milliarden Euro Umsatz, bei Nestlé werden es etwa 335 000 Beschäftigte und 82 Milliarden Euro Umsatz sein.
Herausragende Online-Kommunikation im Recruiting
Zurück zum Konzern: Parallel zu seiner herausragenden ökonomischen Performance, die selbst in turbulenten Zeiten wie der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 und 2009 beharrlich Kurs hielt, entwickelte sich Fresenius in jüngster Zeit auf einem weiteren Terrain zum Klassenprimus. Wie Studien über die Online-Kommunikation zwischen Unternehmen und Bewerbern zeigen, weist Fresenius auch im Personalmarketing seine Herausforderer eindrucksvoll in die Schranken. Allein in diesem Jahr stand das Unternehmen in zwei relevanten Branchenrankings vorn: in der alljährlichen „Online Talent Communication“-Untersuchung von Potentialpark (Otac) sowie in der von der Hochschule Rhein-Main seit 2000 jährlich vorgelegten Studie „Human Resources im Internet“, die Karriere-Websites von Unternehmen aus Studentensicht bewertet.
Da lohnt es sich genauer hinzusehen. Bei Otac bewerten Studenten Karriere-Websites von Unternehmen, nehmen deren Social-Media-Auftritt sowie Online-Bewerbungsverfahren unter die Lupe und gehen kritisch der mobilen Interaktion auf den Grund. Bewertet wurden 165 deutsche Unternehmen nach mehr als 350 verschiedenen Kriterien. Fresenius, zum fünften Mal in Folge Gesamtsieger, ließ die Konkurrenz beim Online-Bewerbungsverfahren erneut hinter sich und kletterte von Rang zwei auf eins bei der mobilen Interaktion. Mit seiner Karriere-Website behauptete Fresenius Rang zwei und musste sich lediglich in puncto Social Media nach einem ersten Platz im Vorjahr nunmehr mit Rang drei begnügen.
Das Geheimnis dieses Erfolgs ist für Sven Schulz, der bei Potentialpark den deutschsprachigen Raum verantwortet, gut zu erklären. Demnach ruhe sich Fresenius nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern verbessere kontinuierlich das Instrumentarium, um sich den Bedürfnissen der Zielgruppe anzupassen. „Während viele Unternehmen ihren Kandidaten noch E-Mails aufzwängen, hat Fresenius zum Beispiel Whatsapp als Kommunikationskanal integriert.“ Weiter als viele andere Unternehmen sei Fresenius laut Schulz auch deshalb, weil man Kandidaten wichtige Informationen bedarfsgerecht liefere statt „umständlich danach suchen zu lassen“. Dank aufmerksamer Beobachtung, wie sich das Verhalten der Zielgruppe in der digitalen Kommunikation verändere, könne Fresenius Kandidaten auch „auf jedem Kanal einen Mehrwert bieten“, beurteilt Schulz die Strategie des erneuten Otac-Siegers. Immerhin 45 Prozent der deutschen Kandidaten gaben in der Potentialpark-Studie an, sie hätten sich wegen veralteter Informationen auf der Karriere-Website oder unzureichender Kontaktangebote gegen ein Unternehmen als Arbeitgeber entschieden.
Ähnlich beeindruckt zeigt sich Professor Wolfgang Jäger von der Hochschule Rhein-Main. Zum 16. Mal ließ er in der Studie „Human Resources im Internet“ Karriere-Websites von Studenten anhand einer definierten Feature-Liste beurteilen. Mit 40 Prozent wird die Interaktivität der Karriere-Website am stärksten gewichtet. Denn hier ist es wie beim Autokauf: Setzt sich der Interessent erst einmal ins Fahrzeug oder konfiguriert es schon mal online, steigt die Wahrscheinlichkeit für einen Kauf erheblich. Ebenso wichtig sei es Jäger zufolge für Unternehmen, Bewerber auf ihre Karriere-Website zu locken. „Wer hier gute Arbeit leistet, gewinnt auch bessere Bewerber.“ Suchten Bewerber dort gezielt nach Informationen, sei „viel erreicht“ in der Personalwerbung. „Fresenius hat sich erkennbar verbessert“, zieht Jäger Bilanz. Die Personalwerbung zeichne sich nicht nur durch ein sehr breites Angebot von Social-Media-Kanälen aus, über die Bewerber und Unternehmen kommunizieren könnten. Auch in Sachen mobile Bewerbung sei Fresenius neben der Allianz „Vorreiter“.
Absolventen haben andere Ziele
Laut Christoph Beck, HR-Professor an der Hochschule Koblenz, ist die Relevanz der in den Studien ermittelten Bestnoten für die Online-Kommunikation für die Beliebtheit der Arbeitgebermarke weit geringer als gemeinhin angenommen. Zwar würden viele Unternehmen in die Professionalisierung von Instrumenten investieren, mit denen sie das Personalmarketing und Recruiting gestalten. Umgekehrt nützten ihnen die beste Karriere-Website oder das schnellste Bewerbungsverfahren nichts, solange sie nicht „ihre Bekanntheit erhöhen und den Zugang zu ihren Zielgruppen scharfschalten“.
Mit diesem Problem ist Fresenius offenbar weit stärker konfrontiert als die hervorragenden Beurteilungen suggerieren. Den Bestnoten in der Online-Kommunikation stehen dürftige Beliebtheitswerte unter Studierenden entgegen. Hinweise darauf gibt das „Graduate Barometer“ des Trendence Instituts. Seit 1999 werden rund 40 000 abschlussnahe Studierende in Deutschland nach ihren Wunscharbeitgebern befragt. Angeführt wird die Rangliste von Autokonzernen, Unternehmen aus der Gesundheitsbranche hingegen landen im Mittelfeld oder weit hinten. Fragt man künftige Ingenieure, landet Fresenius auf Rang 75. Für Wirtschaftsstudenten scheint Fresenius (Rang 95) überhaupt kein nennenswerter Arbeitgeber zu sein. Schlimmer noch: Das Ergebnis hat sich in den letzten Jahren kaum verbessert.
Weit vorteilhafter bringt sich Fresenius dem Vernehmen nach bei Studenten der Naturwissenschaften ins Gespräch. Das
zeigt ein Ranking, das Trendence auf Nachfrage der Personalwirtschaft auf Basis von 709 befragten Studenten ermittelte. In dieser Teilzielgruppe rückt Fresenius vor auf Platz 16, schneidet also deutlich besser ab. Doch bei genauerem Hinsehen wird es auch hier dünn: Gut 60 Prozent der Naturwissenschaftler wollen zur Helmholtz-, Max-Planck- oder Fraunhofer-Gesellschaft, noch gut jeder Zehnte (11,4 Prozent) zu Bayer. Zu Fresenius zieht es nur 3,6 Prozent der Naturwissenschaftler. Davor liegen unter anderem McKinsey, Audi oder die Deutsche Bahn.
Den Rückstand in der Wahrnehmung als potenzieller Arbeitgeber begründet Annekatrin Buhl, Marketingleiterin von Trendence, damit, dass Fresenius nicht nur beim Wirtschafts- und Ingenieurnachwuchs Opfer mangelnder Reichweite und eines nicht hinreichend geschärften Profils sei, sondern auch bei der engeren Zielgruppe. Als problematisch bezeichnet das Trendence Institut auch die Umwandlungsrate von Attraktivität in Bewerbungsabsicht. Sie liege unterhalb des Durchschnitts, Fresenius fiel auch im Branchenvergleich zurück. Immerhin: Zumindest bei jenen, die das Unternehmen kennen, komme das Unternehmen mit seinen Botschaften an. „Rund zwei Drittel derjenigen, die sich bewerben wollen, kennen die Personalmarketingmaßnahmen von Fresenius – und knapp 40 Prozent haben sie weitergeholfen“, macht Buhl den Verantwortlichen Mut. Innerhalb der Branche sei das Unternehmen damit wiederum an der Spitze.
Konzern blockt Interview ab
Gern hätten wir an dieser Stelle von Fresenius mehr zum Thema Employer Branding und Personalmarketing erfahren: Wie ist man in Sachen Online-Kommunikation über die Jahre führend geworden? Was tut man, um als Arbeitgeber insgesamt attraktiver zu werden? Und wie schafft man es, jene Absolventen, die das Unternehmen prinzipiell attraktiv finden, auch zu einer Bewerbung zu motivieren? Doch leider wollten weder der Personalleiter noch der Verantwortliche für das Personalmarketing Stellung nehmen. Delikaterweise erklärte ein Sprecher dazu, es sei auch nicht üblich, sich zu personalwirtschaftlichen Themen zu äußern. Ziemlich zeitgleich war immerhin zu lesen, dass Fresenius den am besten verdienenden Personalvorstand aller Dax-Konzerne hat: Dr. Jürgen Götz hat zuletzt ein Jahressalär von 7,5 Millionen Euro verbucht. Er leitet das Ressort Recht, Compliance, Personal.
Fragen wollten wir auch, ob womöglich strittige, in der Öffentlichkeit breit diskutierte Themen für die unvorteilhafte Wahrnehmung als Arbeitgeber verantwortlich sind. Etwa das Imageproblem hinsichtlich der Frauenquote: Obwohl sich der Konzern gern mit einem Anteil von rund 30 Prozent weiblicher Führungskräfte schmückt, saß bis zur vom Gesetzgeber erzwungenen Quotierung weder im Aufsichtsrat der Fresenius SE noch in der ebenfalls im Dax notierten Sparte Fresenius Medical Care (FMC) eine einzige Frau. Mit seiner von der FAZ gegeißelten „Männerwirtschaft“ bildet Fresenius das unrühmliche Schlusslicht aller Dax-Firmen.
Als imagepolitisch kontraproduktiv gilt auch die bei der Konzerntochter Helios exekutierte Strategie, akquirierte Kliniken kurzfristig unter hohen Renditevorgaben zu sanieren – auf Kosten des Personals: Ärzte und Pflegekräfte, die über die hohe Arbeitsverdichtung klagen oder in Scharen kündigen. „Der Konzern setzt Mitarbeiter extrem straff ein und arbeitet mit weniger Personal als der Branchendurchschnitt. Das ist die Quelle vieler Probleme“, betont Niko Stumpfögger, der als Sekretär der Gewerkschaft Ver.di den europäischen Betriebsrat von Fresenius betreut. Tritt erst Günther Wallraff auf den Plan, wie in einer Anfang Januar auf RTL ausgestrahlten Dokumentation, schlagen die Wellen nicht nur in einschlägigen Internetforen hoch. Wenn Unternehmen sich lieber wegducken und kritischen Fragen ausweichen, geraten sie unter Verdacht. Transparenz und Vertrauen waren noch nie so wichtig wie heute, nicht zuletzt auf dem Arbeitsmarkt. „Das ist eine Entwicklung, die sich nicht mehr aufhalten lässt“, sagt Johannes Prüfer, Sprecher der Xing-Tochter Kununu in Wien. Dabei gibt es auch hier für das Unternehmen keinen gesteigerten Grund zur Sorge: Auf der Arbeitgeberbewertungsplattform werden sowohl Fresenius als auch der Dialysespezialist FMC, die auf Infusionstherapien spezialisierte Fresenius Kabi, die Kliniksparte Fresenius Helios und der Dienstleister Fresenius Vamed keineswegs über Gebühr kritisiert. Prinzipiell, so Prüfer, seien etwa 60 Prozent aller Kommentare auf der Plattform positiver Natur.
Dennoch gibt es unzufriedene Zeitgenossen. Mehrfach bemängeln sie bürokratische, zeitraubende Bewerbungsverfahren. Das widerspricht dem Bild, wie sich Fresenius an der Schnittstelle zum Arbeitsmarkt selbst positioniert. Ein weiteres Manko sind offenkundig Führungskräfte, wie ein exklusiv für das „Manager Magazin“ erstelltes Kununu-Ranking dokumentiert. In der Rangliste, wie gut Angestellte in den 30 Dax-Konzernen ihre Vorgesetzten beurteilen, belegt Fresenius im hinteren Drittel Rang 24.
Profil muss geschärft werden
Eine Arbeitgebermarke aufzubauen, sagt HR-Forscher Christoph Beck, sei ein Marathon und kein Kurzstreckensprint. Sie entfalte sich von innen nach außen. „Nur was intern authentisch ist, kann auch außen nachhaltig sein und für Glaubwürdigkeit bürgen.“ Erst wenn Mitarbeiter neue Mitarbeiter werben, schließe sich der Kreis. Trendence zufolge gelingt es Fresenius aber noch nicht, seine Leistungen als Arbeitgeber so zu transportieren, dass sie bei den Bewerbern auch ankommen. „Vor allem bei den Möglichkeiten zur persönlichen Entwicklung, den Karriereperspektiven und der Wertschätzung der Mitarbeiter muss das Unternehmen mehr bieten oder mehr darüber erzählen“, betont Marketingleiterin Annekatrin Buhl. Nur so seien junge Talente davon zu überzeugen, dass sie bei Fresenius auch an der richtigen Adresse sind: „Das Unternehmen muss sein Profil als Arbeitgeber weiter schärfen.“ Offene Kommunikation dürfte dabei hilfreich sein.
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München