Ausgabe 9, Special Arbeitsrecht - 2014
Betriebswirtschaft und Arbeitsrecht im Gleichgewicht
Die erfolgreiche Beendigung von Arbeitsverhältnissen ist eine Herausforderung. Personalverantwortliche haben dabei eher die betriebswirtschaftliche Seite im Blick. Das Arbeitsrecht ist mindestens genauso wichtig – zumal es sich ständig fortentwickelt.
Bei einer Kündigung kommen Rechtsanwender allein mit dem Gesetz nicht weiter. Kündigungsrecht ist Richterrecht. Dieses Recht kann in einigen Fällen über Jahre stabil sein. In anderen Fällen unterliegt es stetem Wandel. Da ist es angesagt, sich von Zeit zu Zeit ein Update aufzuladen. Maßgebend ist das Bundesarbeitsgericht (BAG).
Ganz aktuell ist das Urteil zum Kündigungsschutz eines Wahlvorstand-Bewerbers vom 31. Juli 2014. Der Kandidat hatte sich in einem YouTube- und Facebook-Video nachteilig über seinen Arbeitgeber geäußert – und deswegen eine fristlose Kündigung bekommen. Sachliche Kritik ist erlaubt, meint das BAG, „wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen“ nicht.
Verhältnismäßigkeit beachten
Auch wenn der Sonderkündigungsschutz, der für Wahlbewerber als Mandatsträger gilt, bei einem Wahlvorstand-Bewerber nicht greift: Der Arbeitgeber muss für seine außerordentliche Kündigung trotzdem einen wichtigen Grund haben. Und den hat das Gericht hier verneint, weil die Videobotschaft erkennbar darauf zielte, die Notwendigkeit einer Betriebsratswahl zu untermauern (Urteil vom 31. Juli 2014 – 2 AZR 505/13).
In Betrieben, in denen das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) anwendbar ist, muss die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers sozial gerechtfertigt sein. Das ist sie, wenn sie auf betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Gründen fußt. Aber nicht jeder Sachverhalt, den Arbeitgeber für kündigungsrelevant halten, rechtfertigt gleich eine Kündigung. Selbst wenn der Anlass an sich als Kündigungsgrund in Frage kommt: Eine Kündigung kann immer noch daran scheitern, dass sie im Einzelfall unverhältnismäßig ist oder ein milderes, für den Arbeitnehmer weniger einschneidendes Mittel zur Verfügung steht.
So ist bei der Kündigung alkoholkranker Mitarbeiter Vorsicht geboten. Alkoholsucht kommt als Grund für eine personenbedingte Kündigung nur unter ganz engen Voraussetzungen in Betracht. Ist dem Arbeitgeber die Beschäftigung eines alkoholkranken Mitarbeiters jedoch nicht mehr zumutbar, weil dieser zu einer ernsten Gefahr für sich, andere und erhebliche Sachwerte geworden ist und es keine Möglichkeit gibt, diesen Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen, reicht das für eine personenbedingte Kündigung (Urteil vom 20.3.2014 – 2 AZR 565/12).
Sonderfall Insolvenz
Dass Elternzeitnehmende neben dem allgemeinen einen besonderen Kündigungsschutz haben, ist bekannt. Dass Insolvenzverwalterkündigungen auch bei längeren vertraglichen Kündigungsfristen mit einer Dreimonatsfrist erfolgen können, wahrscheinlich auch. Die zeitliche Ausübung dieses Kündigungsrechts unterliegt allerdings keiner Billigkeitskontrolle. Eine Arbeitnehmerin in Elternzeit kann daher nicht verlangen, dass der Insolvenzverwalter die dreimonatige Frist bei einer Betriebsschließung so legt, dass sie sich in der gesetzlichen Krankenversicherung noch beitragsfrei versichern kann (Urteil vom 27. Februar 2014 – 6 AZR 301/12).
Und überhaupt: Soll ein Arbeitsverhältnis wegen dringender betrieblicher Erfordernisse gekündigt werden, kommt dafür nur eine ordentliche – fristgemäße – Kündigung in Betracht. Das gilt selbst dann, wenn es gar keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit mehr gibt oder der Arbeitgeber insolvent ist. Eine außerordentliche betriebsbedingte Kündigung kann aber – unter Einhaltung einer der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden sozialen Auslauffrist – zulässig sein, wenn die ordentliche Kündigung des Arbeitnehmers rechtlich ausgeschlossen ist und der Arbeitgeber ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis ohne Beschäftigungsmöglichkeit über Jahre hinweg mit Entgeltzahlung fortsetzen müsste (Urteil vom 23. Januar 2014 – 2 AZR 372/13).
Verstöße gegen das AGG
Auch wenn der allgemeine Kündigungsschutz des KSchG erst nach mehr als sechsmonatiger Unternehmens- bzw. Betriebszugehörigkeit greift, bedeutet das nicht, dass Kündigungen innerhalb der gesetzlichen Wartezeit problemlos durchgehen. So kann zum Beispiel eine Probezeitkündigung rechtswidrig sein, wenn der Arbeitgeber mit ihr gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verstößt.
Das AGG verbietet etwa die Benachteiligung von Personen wegen einer Behinderung. „Behinderung“ im AGG-Sinn heißt nicht Schwerbehinderung. Es reicht schon aus, wenn der Arbeitnehmer an einer Krankheit leidet, die den Charakter einer Behinderung hat: beispielsweise eine symptomlose HIV-Infektion. Kündigt ein Arbeitgeber deswegen, verstößt er gegen das AGG – und seine Kündigung ist unwirksam (Urteil vom 19.12.2013 – 6 AZR 190/12).
Auch das AGG-Merkmal „Alter“ darf kein Kriterium für eine Benachteiligung sein. Nun ist es durchaus angezeigt, bei der Sanierung von Betrieben eine ausgewogene Personalstruktur zu schaffen. Das geschieht meist über die Bildung von Altersgruppen und betriebsbedingte Kündigungen mit entsprechender Sozialauswahl. Die Gruppenbildung darf nur nicht willkürlich sein. Die Sanierung muss die Schaffung einer ausgewogenen Personalstruktur erfordern – wofür der Kündigende die Darlegungs- und Beweislast trägt (Urteil vom 19. Dezember 2013 – 6 AZR 790/12).
Diskriminierte Arbeitnehmer haben übrigens nach dem AGG Anspruch auf Ersatz ihrer materiellen und immateriellen Schäden. Und obwohl für Kündigungen nach dem AGG „ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz“ gelten: AGG-Entschädigungsansprüche sind bei diskriminierenden Kündigungen nicht ausgeschlossen. Tritt bei einer Kündigung eine merkmalsbezogene Belastung ein, die über das normale Maß der mit einer Kündigung verbundenen Belastungen hinausgeht, hat das finanzielle Folgen. Zum Beispiel in Fällen, in denen die Kündigung eine Reaktion des Arbeitgebers auf ein schwangerschaftsbedingtes Beschäftigungsverbot ist (Urteil vom 12. Dezember 2013 – 8 AZR 838/12).
Anwendungsbereich des KSchG
Die Globalisierung bringt es mit sich, dass Unternehmen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch im Ausland Betriebe haben. Das führt bei unterschiedlichen Konjunkturen dazu, dass am Standort Deutschland Arbeitsplätze abgebaut werden und im ausländischen Betrieb freie Stellen entstehen. Auch wenn aus Arbeitnehmersicht anderes wünschenswert wäre: Das deutsche Kündigungsschutzgesetz gilt nur für Deutschland. Ein freier Arbeitsplatz im Ausland bleibt bei einer betriebsbedingten Kündigung unberücksichtigt (Urteil vom 29. August 2013 – 2 AZR 809/12).
Und was tut ein Arbeitgeber, der die maßgebliche Kündigungsfrist nicht genau nennen und trotzdem auf Nummer sicher gehen will? Er kündigt „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“. Nun ist es so, dass Kündigungen deutlich und bestimmt sein müssen. Der Gekündigte muss erkennen können, wann sein Arbeitsverhältnis endet. Da könnte die Kündigung „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ problematisch werden.
Optimal bestimmt und unmissverständlich sind Kündigungen zu einem ganz konkreten Zeitpunkt. Weist der Arbeitgeber jedoch in seinem Kündigungsschreiben auf die maßgeblichen Kündigungsfristen hin und kann der Arbeitnehmer daraus unschwer ermitteln, wann sein Arbeitsverhältnis enden soll, genügt auch eine Kündigung „zum nächstmöglichen Zeitpunkt“ (Urteil vom 20. Juni 2013 – 6 AZR 805/11).
Schließlich gibt es Betriebe, die sich durch Einsatz von Leiharbeitnehmern so kleinrechnen möchten, dass sie aus dem KSchG-Anwendungsbereich fallen. Allgemeinen Kündigungsschutz gibt es nämlich nur in Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern. Wobei: Zehn Mitarbeiter heißt nicht zehn Köpfe. Arbeitnehmer, die bis zu 20 Stunden arbeiten, zählen 0,5. Wer mehr als 20, aber nicht mehr als 30 Stunden leistet, zählt 0,75, alles darüber 1,0. Es kommt auf die in der Regel Beschäftigten an. Und dazu zählen auch regelmäßig beschäftigte Leiharbeitnehmer (Urteil vom 24. Januar 2013 – 2 AZR 140/12). Kündigungsrecht ist eben auch Arbeitnehmerschutzrecht.
Info
Dr. Hans J. Meyerhoff betreut als Autor das Arbeitsrechtslexikon unter
www.personalpraxis24.de.
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Autor
Dr. Heinz J. Meyerhoff, Dr. Meyerhoff & Partner, Greven,
heinzj.meyerhoff@t-online.de