Ausgabe 9, Special Betriebliches Gesundheitsmanagement - 2015
Schritt für Schritt

Seit Ende 2013 ist die Psychische Gefährdungsbeurteilung für Arbeitgeber eine verpflichtende Ergänzung zur bestehenden Gefährdungsbeurteilung. Doch nun stehen viele Unternehmen, BGM-Verantwortliche und Personalentwickler vor der Frage, wie sie diese regelkonform umsetzen können.
Wie läuft die Psychische Gefährdungsbeurteilung (PGB) grundsätzlich ab und was sind geeignete Verfahren? Diese Problemstellung treibt viele Verantwortliche um. Wichtig ist festzustellen: Es gibt keinen allgemein gültigen „Königsweg“ für die Durchführung der PGB, denn Umfang und Methodik orientieren sich immer an den individuellen betrieblichen Gegebenheiten. Grundsätzlich sollte die PGB allerdings strukturiert ablaufen und sich am Prozessablauf der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz orientieren.
In den meisten Fällen empfiehlt sich ein schrittweises Vorgehen: Als Auftakt wird eine Kick-off-Veranstaltung initiiert. Ziel der Veranstaltung ist es, die Belegschaft über das Thema PGB zu informieren, mögliche Ängste oder Abneigungen abzubauen und eine positive Grundeinstellung zu schaffen.
Im zweiten Schritt empfehlen wir Betrieben eine systematische Bestandsaufnahme durch die Analyse eventuell vorhandener Daten der Beschäftigten (zum Beispiel aus Personalsoftware, Weiterbildungen, Arbeitssicherheit et cetera) und bereits durchgeführter Gefährdungsbeurteilungen, um den Ist-Zustand zu bestimmen. Dies spart Kosten, vermeidet Überschneidungen und stellt eine gute Basis für ein individuelles Konzept dar. Es empfiehlt sich die Kombination der Datenanalyse mit einer Kurzbefragung ausgewählter Beschäftigter (Einzelbefragung in Interview- oder Schriftform) oder einer Betriebsbegehung (orientierendes Verfahren), um zunächst einen groben Überblick über aktuelle psychische Belastungen und Beanspruchungsfolgen zu erhalten. Dies ist auch von Vorteil, wenn bisher nur wenig strukturierte Daten vorliegen.
Daraufhin werden schließlich diejenigen Unternehmensbereiche/Abteilungen ausgewählt, die laut Kurzbefragung/Begehung potenziell gefährdet sind und in denen ein ausführliches Screening erfolgen soll. Die umfassende Analyse sollte zwar grundsätzlich in allen Bereichen des Betriebes und für alle Tätigkeiten erfolgen, doch gleichartige Tätigkeiten, Arbeits- oder Organisationsbereiche können mit nachvollziehbarer Begründung zusammengefasst werden. Es muss demnach nicht jeder Arbeitsplatz einzeln beurteilt werden.
Begehung oder Befragung
Die ausführliche Analyse kann nun – je nach individuellen Bedürfnissen des Betriebs -in Form einer Begehung (objektive Ebene), einer umfassenden Mitarbeiterbefragung und/oder eines Analyse-Workshops (subjektive Ebene) erfolgen. Ziel ist es, einen detaillierten Überblick über psychische Belastungen und Beanspruchungsfolgen im Unternehmen zu gewinnen. Die Ergebnisse der Analysen sind nach der Datenauswertung und – bewertung jeweils in einem Bericht festzuhalten. Im nächsten Schritt werden konkrete Ziele festgelegt und Maßnahmen gegen als relevant erkannte, psychische Belastungen entwickelt. Dies kann beispielsweise durch Workshops mit Mitarbeitern und Führungskräften in besonders neuralgischen Abteilungen realisiert werden, die von einem neutralen Moderator moderiert werden. Auf Grundlage der Befragungsergebnisse lassen sich gesundheitlich beeinträchtigende Arbeitsbelastungen diskutieren und priorisieren sowie verhaltens- und verhältnispräventive Maßnahmen mit den Teilnehmern ableiten wie Bewegungsprogramme, Anti-Stress-Seminare oder Kommunikation- und Kompetenztrainings. Mögliche Beispiele einer gesundheitsgerechten Gestaltung der Arbeitsumwelt sind beispielweise Team Building-Aktionen oder die Einführung eines flexiblen Zeitsystems, durch das die Mitarbeiter ihr Berufs- und Privatleben besser miteinander in Einklang bringen können.
Abbildung
Ablauf der psychischen Gefährdungsbeurteilung

Der idealtypische Ablauf beginnt bei der Analyse und endet bei der Erfolgskontrolle.
Strafen und Haftungsrisiken
Mit interner oder externer Unterstützung können Betriebe die entwickelten Maßnahmen schließlich umsetzen. Wichtig ist es auch, die Maßnahmen im Rahmen einer Erfolgskontrolle auf ihre Wirksamkeit und die tatsächlich erreichten Ergebnisse zu überprüfen. Idealerweise geschieht dies durch eine wiederholte PGB in regelmäßigen Abständen, beispielsweise nach ein bis zwei Jahren.
Die staatlichen Arbeitsschutzbehörden prüfen die Umsetzung und Qualität der Durchführung der PGB sowohl angemeldet als auch unangemeldet durch eine stichprobenartige Überprüfung der Arbeitsplätze. Wer keine PGB durchgeführt hat, riskiert neben einem Bußgeldbescheid in Höhe von bis zu 5000 Euro vor allem Regressansprüche der Sozialversicherungsträger bei vorliegenden arbeitsbedingten psychischen Erkrankungen von Beschäftigten. Dem Betrieb können außerdem Auflagen zur Umsetzung der PGB gemacht werden. Bei Zuwiderhandlung einer derartiger Anordnungen fallen bis zu 25 000 Euro Bußgeld an. In 2014 fanden bereits erste Überprüfungen durch die Berufsgenossenschaften beziehungsweise Gewerbeaufsicht statt.
Qualitätskriterien der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen
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Strukturierter Prozess mit Dokumentation: Eine klare, systematische Vorgehensweise und gute Dokumentation sind für eine erfolgreiche PGB unabdingbar. Alle Schritte sollten dokumentiert werden, damit kein Haftungsrisiko besteht.
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Theoriebasiert, wissenschaftlich fundiert und objektiv: Zur Erhebung psychischer Belastungen sind wissenschaftlich evaluierte Instrumente und Erhebungsverfahren auszuwählen. Um volle Objektivität und Neutralität bei der Einschätzung psychischer Belastungen im Betrieb zu gewährleisten, sollten die Daten möglichst von einem externen Unternehmen ausgewertet werden.
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Gestuftes Analyseverfahren: Zu empfehlen ist ein gestuftes Analyseverfahren, bei dem bereits vorhandene Kennzahlen im Unternehmen als „Filter“ angewendet werden. So gewinnt man im Vorfeld eine gute Orientierung über potenziell gefährdete Unternehmensbereiche und kann bei Bedarf in diesen gezielt ein umfassendes Screening-Verfahren einsetzen.
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Partizipation: Mitarbeiter und Führungskräfte sollten in den Prozess der PGB direkt einbezogen werden, um aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten und die Akzeptanz umzusetzender Maßnahmen zu erhöhen.
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Integration und Ressourcenorientierung: Empfehlenswert ist es, die PGB in vorhandene Strukturen (zum Beispiel den Arbeitsschutzausschuss) einzubinden und alle relevanten oder mitspracheberechtigten Experten (Betriebsrat, Fachkraft für Arbeitssicherheit etc.) in die Planung und Durchführung einzubeziehen.
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Individuelles Konzept: Die PGB sollte auf die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens (wie Branche, Betriebsgröße, Tätigkeitsbereiche) zugeschnitten sein. So sind in kleinen Unternehmen moderierte Verfahren und Beobachtungen beispielsweise sinnvoller als schriftliche Mitarbeiterbefragungen.
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Steuerung und Kontrolle der Maßnahmenumsetzung: Es ist sicherzustellen, dass erarbeitete Maßnahmen auch umgesetzt und in ihrer Wirksamkeit überprüft werden. Grundsätzlich können verhältnis- und verhaltenspräventive Maßnahmen entwickelt werden.
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Gute Kommunikation: Ein gut durchdachtes Kommunikationskonzept ist unabdingbar, um den aktuellen Stand der PGB erfolgreich im Unternehmen zu kommunizieren und einen strukturierten Ablauf zu fördern. Möglichen Bedenken der Mitarbeiter kann so entgegengewirkt und für eine hohe Akzeptanz bei der Belegschaft gesorgt werden.
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Aktualisierung der Psychischen Gefährdungsbeurteilung: Die PGB muss sich auf die aktuellen Gegebenheiten beziehen. Die Aktualität ist daher in regelmäßigen Abständen zu prüfen.
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Expertenwissen zur Sicherung der Qualität: Sofern der Arbeitgeber nicht selbst über entsprechende Kenntnisse verfügt, sind fachkundige Berater wie Betriebsarzt, Fachkraft für Arbeitssicherheit oder externe Berater einzubeziehen, die mit ihrem Erfahrungs- und Fachwissen bei der Durchführung sowie der anschließenden Umsetzung und Evaluation von Maßnahmen professionell unterstützen und die Qualität sicherstellen.
Quelle: meisterleistung GmbH, 2015
Autorin
Melanie Reinhard, Beraterin für Betriebliches Gesundheitsmanagement, meisterleistung GmbH,
reinhard@meister-leistung.com
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