„Ein Algorithmus hat kein Bauchgefühl"
Martin Frick, Leiter Personalmarketing, ZF Friedrichshafen AG
Technologie kann die Bewerber-Vorauswahl und das Matching unterstützen und Routinearbeiten erledigen. Auch das faktenbasierte Prüfen von Bewerberprofilen kann durch Algorithmen schon heute erledigt werden und erhöht die Passgenauigkeit für beide Seiten. Wir sind überzeugt, dass die Technologie dem Recruiter hilft, sich als hoch qualifizierter Talentscout und Berater für die Fachbereiche zu etablieren. Aus- gestattet mit bereits im Einsatz befindlichen Vorauswahltools bis hin zu Videobewerbungen und analytischen Online-Tests, kombiniert mit den oben genannten Matching-Systemen, wird der Recruiter operativ entlastet. Er kann sich so um die Analyse von Trends oder den Aufbau von Talentpools kümmern. Damit ist er für die Fachbereiche Partner und Gestalter in einer dynamischen und vernetzten Arbeitswelt.
„Menschen vertrauen Menschen"
Dominik A. Hahn, Global Head of Talent Acquisition and Employer Branding, Allianz SE
Anzeichen dafür gibt es bereits heute. Bislang beantwortete bei uns eine Arbeitskraft alle Kandidatenanfragen, die auf den unterschiedlichsten Kanälen den Weg zu uns fanden, sei es per Mail, Whatsapp oder Facebook. Dabei handelte es sich bei den meisten Anfragen um stets ein und dieselbe Grundfrage: Welche offenen Stellen hat die Allianz zu bieten? Seit Juli übernimmt die Beantwortung – zumindest aller Facebook-Anfragen – Allie, der Job-Chatbot der Allianz. Die oben erwähnte Arbeits- kraft ist dabei nicht arbeitslos geworden. Im Gegenteil: Sie kümmert sich seitdem um die Weiterentwicklung des Chatbots, damit Allie in Zukunft auch auf anderen Kommunikationskanälen einsatzbereit ist.
„Anschreiben ist keine Pflicht"
Katrin Kieven, Leiterin Employer Branding und Recruitment, Henkel AG & Co. KGaA

Bereits früh im Bewerbungsprozess können Kandidaten Kontakt mit uns aufnehmen, erste Antworten auf individuelle Fragen erhalten und bewerten, ob unser Unternehmen und die spezifische Stelle zu ihnen passen. Um einen persönlichen Austausch zu ermöglichen, können Kandidaten in Livechats Manager von Henkel kennenlernen und ihnen Fragen stellen. Um den richtigen Match geht es auch im „Refer a Talent“- Programm, mit dem unsere Mitarbeiter über eine digitale Plattform einfach und schnell Freunde und Bekannte für offene Stellen empfehlen können. Mit wenigen Klicks können offene Stellen im eigenen Netz- werk auf Facebook, Linkedin und Co. geteilt werden. Bis Mitte 2018 wird das Tool für Kollegen in über 50 Ländern verfügbar sein. Generell gilt: Neue digitale Tools und künstliche Intelligenz vereinfachen und beschleunigen Recruiting-Prozesse – sowohl für Bewerber als auch für den Arbeitgeber. Dafür müssen diese Technologien erprobt und sicher sein sowie einen echten Mehrwert bieten. Den persönlichen Kontakt, der so wichtig ist für die Einschätzung und Entscheidung bei- der Seiten, werden sie allerdings nicht ersetzen können.
„Zu viel Technologie ist kontraproduktiv"
Katharina Hain, Senior Department Manager Recruitment Management, Hays AG
„Nur eine Seite der Medaille"
Florian Bruhns, Corporate Employer Branding & Talent Sourcing Manager, KWS SAAT SE
Wir wissen, dass die kommenden Generationen nicht nur nachhaltig die Corporate Culture verändern werden, sondern ebenso den Prozess der Suche und des Gefundenwerdens bis hin zum Onboarding. Das Buzzword „Digitalisierung“ ist natürlich auch bei uns im Recruiting präsent. Trotzdem wollen wir die mit der Digitalisierung verbundenen Prozesse nicht um jeden Preis all- umfänglich nutzen. Wir automatisieren die Standardprozesse der Suche. Dafür setzen wir die Systeme und Algorithmen ein. Zusätzlich zu den in der persönlichen Laufbahn erarbeiteten Kompetenzen versuchen wir aber immer die Potenziale der einzelnen Person zu sehen. Was wir brauchen und suchen, sind Menschen mit einer fundierten Basis und gleichzeitigem Entwicklungs- vermögen, die zudem unsere Werte und Ziele teilen. Dementsprechend ist der Personaler bei der KWS ganz und gar nicht überflüssig, sondern zukünftig umso wichtiger, da das Data Driven Recruiting nur die eine Seite der Medaille ist.
Unabdingbar sind in unserem Recruiting-Prozess die Komponenten, die in vielen anderen Lebenssituationen alltäglicher Standard sind. Das heißt, unsere Aktivitäten finden intern wie extern kommunikativ und funktional in allen Netzwerken und auf allen Plattformen sowie allen technischen Endgeräten statt. Ein Recruiting muss so angepasst sein, dass es die Welt potenzieller Kandidaten trifft. Lange Word-Dokumente und umständliche Online-Bewerbungsprozesse, das macht zukünftig keiner mehr mit. Alle eingesetzten Tools, Systeme und Prozesse müssen zudem immer äußerst dynamisch und schnell an die Erwartungen der Zielgruppe anzupassen sein. Zukünftige Anforderungen können wir aber tatsächlich nur erahnen, da Entwicklungen immer mehr disruptiv und dementsprechend mit einer großen Gewalt eintreten. Als innovatives Unternehmen pflegen wir jedoch weltweit enge Kontakte mit den verschiedensten Hochschulen, Forschungseinrichtungen und jungen Entrepreneurs. Dadurch sind wir beispielsweise im stetigen Austausch mit der kommenden Generation und versuchen so, bestmöglich vorbereitet zu sein.
„Technologieverständnis ist gefragt"
Ute Neher, HR-Marketing Lead Germany, Deutsche Telekom AG
2009 begann für uns der digitale Einstieg mit dem Thema App und mobiler Bewerbung, indem wir als erstes Unternehmen unsere Jobangebote über unsere „Jobs & More“- App zugänglich gemacht haben, sodass sich Kandidaten von überall, jederzeit und ohne großen Aufwand im Konzern bewerben können. Mit zeitversetzten Videointerviews ergänzten wir die traditionellen Vorauswahlverfahren, um damit effektiver verstecktes Talentpotenzial zu erschließen. Und die iPad-App „App Select“, die das komplette Auswahlverfahren im Assessment-Center abbildet, spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern macht allen Beteiligten mehr Spaß. Dafür erhielten wir 2014 den „HR-Excellence-Award“ in der Kategorie „Personaldiagnostik“. Neben einer ständigen Analyse unserer bestehenden Kanäle und der gezielten Weiterentwicklung wollen wir zum Bei- spiel zukünftig auch Chatbots als zusätzlichen Kommunikationsweg für Bewerber einsetzen. Der Chatbot soll das strategische Recruiting unterstützen und unsere Recruiter bei der Beantwortung von Fragen entlasten. Er steht unse- ren Bewerbern im Dialog rund um die Uhr sieben Tage in der Woche zur Verfügung. Im Personalmarketing setzen wir auf die Plattform Agorize, die uns hilft, weltweit mit Studenten zu kommunizieren und kollaborativ über Länder- grenzen hinweg zusammenzuarbeiten.
Grundsätzlich haben sich die Anforderungen an uns verändert. Technologieverständnis ist gefragt, um zu entscheiden, welche Tools uns unterstützen können und wie ich die Technologien richtig einsetze. Auch das Thema Datenanalyse rückt stärker in den Mittelpunkt. Kennzahlen zu erheben und auszuwerten sind die Treiber von neuen Rollen im Bereich. Data-driven and technology-based heißt auch: Wir brauchen nicht mehr eine Masse von Bewerbern, sondern wir haben die richtigen Bewerberprofile im Fokus und Zeit, diese zu begleiten. Dennoch ist es mir wichtig zu betonen: Es braucht den Menschen, der letztendlich die Entscheidung trifft und die Handlungsempfehlungen ableitet.
„Wir legen Wert auf persönliches Kennenlernen"
Johanna Scheffer, Head of Employer Branding, Sixt Deutschland

Ein weiterer Schritt in Richtung Digitalisierung ist der Sixt Jobbot. Er unterstützt Interessenten via Facebook-Messen- ger auf ihrer Suche nach passenden Stellenangeboten bei Sixt. Auf Wunsch können diese dort anhand eines persönlichen Profils auch eine regelmäßige Suchfunktion einstellen. Wir setzen Chatbots in frühen Stadien des Kontakts ein, in denen Interessenten durch einen Fragebogen geführt werden und sich einen Überblick über unser Angebot verschaffen können. Allerdings legen wir mehr Wert darauf, einen Bewerber persönlich kennenzulernen und uns ein Bild von ihm und seinen Fähigkeiten zu machen.
Auch unsere Offline-Maßnahmen sind mittlerweile ans E-Recruiting angeknüpft. Beispielsweise haben wir unser Hochschulmarketingkonzept digitalisiert: An Messeständen können Bewerber an einem unserer iPad-Tower ein Jobmatching durchlaufen. Bewirbt sich der Kandidat bei uns, greifen wir auf die Ergebnisse aus dem Matching zurück und ziehen so weitere Schlüsse auf den Fit zur Position. Hat der Interessent unabhängig vom Jobmatching eine passende Stelle gefunden, kann er sich diese vom Messestand direkt in sei- ne private Inbox senden und sich bequem von zu Hause aus bewerben. Der nächste Schritt wird sein, Messebesuchern eine digitale Kurzbewerbung vor Ort zu ermöglichen.
Dieser Beitrag ist im Sonderheft E-Recruiting 11/17 erschienen.