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Stolz und Vorurteil

In den Romanen von Jane Austen müssen die Protagonisten oft Irrungen und Wirrungen durchleben, bevor sie Standesdünkel, Stolz und Vorurteile ablegen und zueinander finden. Ähnliches würde man manchen Firmen der sogenannten New Economy beim Thema betriebliche Mitbestimmung wünschen: Dass sie ihre Ressentiments abzulegen lernen. Betriebsräte, so der Argwohn dort, seien Relikte einer Offline-Ära, die nicht nur Geld kosten, sondern auch unternehmerisches Handeln ausbremsen und Innovationen verhindern.

Empirisch lässt sich diese Erzählung nicht halten: Trotz möglicher Konflikte kann eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Arbeitnehmervertretern die Mitarbeiterbindung und Geschäftsentwicklung fördern. So zeigt eine Studie des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle auf Basis von Langfrist-Panels des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, dass ein Betriebsrat die Produktivität und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens langfristig steigert – und zwar im zweistelligen Prozentbereich.

Auch die angeblich fehlende Innovationsbereitschaft der Gremienvertreter ist meist reines Klischee: Es finde sich, konstatiert das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft, „keine empirische Evidenz dafür, dass Unternehmen mit einem Betriebsrat einen geringeren Digitalisierungsgrad aufweisen als mitbestimmungsfreie Betriebe“. Im Gegenteil: Geschäftsführungen in mitbestimmten Unternehmen seien „besonders für die Wichtigkeit der Aus- und Weiterbildung sensibilisiert, um den digitalen Wandel erfolgreich zu gestalten“.

Dass Betriebsräte in jungen Firmen und bestimmten Branchen selten sind, hat seine Ursachen. So spielt gerade in IT-nahen Start-ups das agile Selbstverständnis eine Rolle. Man rühmt sich flacher Hierarchien und direkter Kommunikationskanäle. Das Betriebsverfassungsgesetz erscheint manchem Entrepreneur dabei als störend und anachronistisch.

Kritisch wird es jedoch oft, wenn eine Geschäftsidee zündet. Denn dann sind neben Personalaufbau auch Organisationsveränderungen (zum Beispiel Ausdifferenzierung von Funktionen) nötig: Aus Kollegen werden Vorgesetzte, die Arbeit wird formaler und nicht mehr alle haben den gleichen Zugang zu Informationen und Entscheidungsprozessen wie in der Gründungphase. Spätestens nun tritt das Thema Betriebsrat häufig doch auf die Agenda.

Nur heißt das in vielen Fällen nicht, dass einer gegründet wird. Experten sehen vor allem drei Gründe, aus denen sich insbesondere Start-ups, inhabergeführte Unternehmen sowie Firmen im Dienstleistungssektor gegen Betriebsräte wehren: Unkenntnis, Angst vor Kontrollverlust und Wunsch nach Profitmaximierung.

Oft fahren Arbeitgeber allerlei Energie, Geld und juristische Manpower auf, damit sich kein Gremium gründet. Das reicht von Versuchen, Mitbestimmung in der Belegschaft als unnötig hinzustellen, über unternehmensseitig initiierte alternative Mitarbeiterbeteiligungsmodelle und Umstrukturierungen bis hin zu systematischem Union Busting – mitunter sogar unter Einbeziehung von Methoden am Rande der Legalität.

Ökonomisch gesehen ist das töricht: Wer – zum Teil über mehrere Instanzen – gegen die Bestellung oder Einsetzung eines Wahlvorstands vorgeht, riskiert Unruhe im Betrieb und schwächt Mitarbeiterbindung und Performance. Hinzu kommen Anwaltshonorare und Gerichtskosten. Negativpresse gibt es dafür gratis, wie etwa die Fälle Flaschenpost, Alnatura oder Vapiano zeigen.

Vor allem aber verspielen so agierende Geschäftsführungen Vertrauen in der Belegschaft und die Chance, ihr Unternehmen aus der 360-Grad-Perspektive kennenzulernen. Denn Input von Arbeitnehmervertretern, die auch ungeschminkte Wahrheiten ansprechen, ist oft mehr wert als „billable hours“ externer Berater. Auch Change-Prozesse lassen sich nachweislich besser umsetzen, wenn ein Betriebsrat diese mitträgt. Das hat unter anderem die Finanzkrise 2008/2009 gezeigt.

Die Beziehung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgeber ist vorrangig zweckrational, ebenso wie Hochzeiten zu Zeiten Jane Austens nur in seltenen Ausnahmen Liebesheiraten waren. Also: Selbst wenn der Betriebsrat kein Mr. Darcy ist – vielleicht lässt’s sich mit ihm ja doch gut leben …

›› Dieser Beitrag ist zuerst in unserer ›April-Ausgabe erschienen. Ein Abonnement können Sie ›hier abschließen.

Frank Strankmann ist Redakteur und schreibt off- und online. Seine Schwerpunkte sind die Themen Arbeitsrecht, Mitbestimmung sowie Regulatorik. Er betreut zudem BetriebsratsPraxis24.de, unser Portal für Mitbestimmung.