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Homeoffice: Neue Fragen, alte Antworten

Alter Computer.
Die Verantwortung für eine angemessene
Arbeitsumgebung liegt bei allen Beteiligten. Foto: Alexei Sysoev / Adobe Stock

Wer die Geschichte der Telearbeit ein wenig kennt, der könnte sich über die aktuelle Debatte, die ein Recht auf diese Form der Arbeitsorganisation diskutiert, gegebenenfalls wundern. Dieses Modell mit all seinen Varianten stand bisher nie im Zentrum der Gestaltung unserer Arbeitswelt. Es wurde dosiert eingesetzt, kontrolliert, in Vereinbarungen gegossen, evaluiert, im Wachstum begrenzt, den eigenen Möglichkeiten und Arbeitsinhalten angepasst. Zuallererst ging dieser Bereitschaft, als Arbeitgeber andere Arbeitsorte als den üblichen zuzulassen, Vertrauen in spezifische Personen voraus.

Die aktuelle Diskussion ist die Reaktion auf eine besondere Krise, die im Homeoffice eine Notlösung sah. Denn es ist ja nicht die Rede von standardisierten Tätigkeiten, die sich leicht – gerade auf elektronischem Wege – kontrollieren ließen. Immer, wenn diese Art der Kontrolle ins Spiel kam, waren es eher negative Stimmen, die Assoziationen an reine Heimarbeit aufkommen ließen und den Vorteilen flexibler Arbeitsformen eher nicht dienlich waren. Nun wird daraus ein „lessons learned“ abgeleitet. Bemühen wir nun die Geschichte, ist zu bedenken, dass sich vor 20 Jahren noch eine andere Generation zu Wort meldete. Die heutige ist technikaffiner und mobiler, auch im Hinblick auf Richtungswechsel im Lebenslauf.

Homeoffice – eine Vertrauensfrage

Am Anfang soll zunächst einmal die Frage stehen, ab wann dieses Recht einer Arbeitnehmerin oder einem Arbeitnehmer eingeräumt wird. Würde es gleich zu Beginn eines Beschäftigungsverhältnisses angeboten, könnte darin in der Tat ein Beispiel des eher unbeliebten digitalen Kapitalismus gesehen werden, da ja gleich am Anfang nicht die Integration, sondern die Isolation von der Belegschaft im Vordergrund stünde. Das Recht auf Arbeit in Verbindung mit einer Ortspräferenz entspräche somit, überspitzt formuliert, einem Verzicht auf Kollegialität.

Vielleicht ist das aber heute ein Kriterium, das anders gewichtet wird. Von einem Arbeitsverhältnis, das länger als sechs Monate bestanden hat, ist in dem Gesetzesentwurf die Rede. Das Trierer Telearbeitsprojekt wurde Ende der 1990er Jahre durchgeführt. Das eindeutige Ergebnis: Zwei Drittel der befragten Telearbeiterinnen und Telearbeiter waren bereits acht Jahre und länger im Unternehmen, als ihnen das Angebot gemacht oder ihrem Antrag zugestimmt wurde. Es war kein Senioritätsprinzip, das hier zur Anwendung kam, sondern die Zustimmung beruhte auf einem langen Erfahrungszeitraum von Zusammenarbeit – „management by confidence“.

Heute haben Unternehmen nur vergleichsweise wenig Zeit, um zu entscheiden, ob mobiles Arbeiten oder Arbeiten in der eigenen Wohnung möglich sind.

Von einer Begründungspflicht ist die Rede, auch Mitbestimmungsfragen des Betriebsrats stehen im Raum. Hier wird ein Anspruch auf Work-Life-Balance artikuliert, der unter Umständen weit weniger den Sachverhalt einer spezifischen Unternehmens- oder Organisationszugehörigkeit gewichtet.

Der Blick zurück

Natürlich gab es immer auch euphorische Stimmen, wenn es um eine Individualisierung der Arbeitsorganisation ging: mehr Freiheit, mehr Gestaltung, mehr Selbststeuerung. Doch dort, wo sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus Vorzüge dieser Art des Arbeitens vorstellen konnten, kamen ebenso Beobachtungen auf, die in dieser Maßnahme mehr als eine Verantwortungsdelegation sahen, nämlich die Entstehung von Arbeitskraftunternehmertum. Man könnte auch von verordneter Selbstständigkeit sprechen. Nunmehr nimmt man einiges in Kauf, sieht die vielen Dinge, die zu vereinbaren sind, und denkt weniger an einen Wandel des Status, der damit einhergehen kann.

Das Homeoffice zu etwas Wählbarem zu machen, mag zunächst allen Projektzielen und Projektvorhaben der Vergangenheit widersprechen. Doch diese Vergangenheit ist vergleichsweise lang. Das Leben in einer „breiten Gegenwart“ (ein Begriff, den Hans Ulrich Gumbrecht geprägt hat) versperrt uns häufig den Blick auf die Geschichte von vermeintlich innovativen Ideen.

Pionierinnen der Telearbeit

Bis 1962 gehen erste Experimente mit der Telearbeit zurück, vorwiegend von weiblichen Arbeitskräften. In ein männliches Karrieremuster passten Ansinnen dieser Art nicht. Wer als Mann mitten im Berufsleben ein solches Anliegen äußerte, dem wurde gelegentlich ein Sich-zufrieden-Geben mit dem Erreichten unterstellt. Der Satz eines Digitalisierungs-Pioniers, Nicholas Negroponte, geäußert im Jahr 1997: „Die Welt, wie wir sie kennen, ist ein sehr analoger Ort“, beschreibt somit ein „männliches“ Territorium. Zumindest gilt für damals und wohl auch noch heute, dass es, so die Voraussetzungen einer Delegation des Arbeitsinhalts an einen anderen Ort gegeben sind, zugleich eine Priorisierung von Zielgruppen und Situationen existierte. Aber auch hier muss man sagen: Die Welt des Jahres 2020 hat Teile dieser Tradition abgebaut. Oasen der vorübergehenden Ruhe zum Zwecke des konzentrierten Arbeitens werden auch auf der Führungsebene als Gelegenheitsstrukturen eingestuft, eine Option, die in Anspruch genommen werden sollte.

Großbritannien rückte bereits 1962 die Vereinbarkeit von Beruf und Familie in den Vordergrund. Ebenso Japan, das eine solche ortsverteilte Arbeit als notwendige Konsequenz einer kommunikativer werdenden Gesellschaft ansah. Dies wiederum resultierte aus dem positiven Blick auf das, was bereits lange vor der Erfindung des Internets Informationsgesellschaft hieß. Dennoch entwickelte sich daraus kein quantitativer oder qualitativer Vorsprung. In Japan steht Teamarbeit vor Arbeiten im Homeoffice – trotz moderner Technologien. In den USA, wo der Begriff „Tele-Commuting“ geprägt wurde, war unter anderem die Ölkrise ein Treiber der Diskussion, während in Deutschland die Hoffnung auf nachhaltige Wachstumsimpulse für den Arbeitsmarkt zumindest in den Anfangsjahren eine vergleichsweise große Rolle spielte.

Arbeit definiert sich neu

Damals, als man im Hinblick auf das Internet auch noch Fragen wie „Was geht mich das eigentlich an?“ stellen durfte, hoffte man auf belebende Effekte und einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Heute wissen wir, dass sich der Schaltplan unseres Alltags durch die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien rasant verändert hat und völlig neue Berufsund Arbeitsfelder entstanden sind. Viele dieser Berufsfelder sind auch verantwortlich dafür, dass die Unterscheidung zwischen mobilem Arbeiten und Telearbeit, auch die Frage des Ortes, an dem gerade gearbeitet wird, nicht mehr im Zentrum stehen.

„Außerhalb einer Betriebsstätte“ kann also heute sehr viel bedeuten. Aber wenn es um den Anspruch auf Homeoffice geht, wird der Arbeit eben eine neue Heimat gegeben. Auf die Gestaltung dieses Zuhauses kommt es dann in besonderer Weise an. Das dürfte weniger mit neuen „Arbeits-Generationen“ zu tun haben. Hier spricht auch nicht eine digitale Bohème oder „creative class“, die mit den alten Strukturen nichts mehr gemein hat – diese würde schon eine 24-Tage-Begrenzung als Zumutung empfinden.

Die Verantwortung für eine angemessene Arbeitsumgebung und die Gewährleistung eines kontrollierten Zugangs zu gegebenenfalls sensiblen Datenbeständen liegt bei allen Beteiligten: So darf der Arbeitgeber den heimischen Arbeitsplatz nicht einfach begehen. Aber die Erfordernisse des Arbeitsschutzes gelten für den Arbeitnehmer auch in der Privatsphäre.

Man darf nicht blind darauf vertrauen, dass alle Vorkehrungen für eine der Arbeitsstättenverordnung gemäße Umgebung gewährleistet sind.

Die Praxis der lokalen Vereinbarungen kennt zahlreiche Lösungen, die im gegenseitigen Einvernehmen in der Regel konfliktlos verlaufen. Denn es gibt auch Fürsorgepflichten.

Heimarbeit als Lifestyle

Der Anstieg von Homeoffice-Aktivitäten aufgrund der Corona-Pandemie ist nicht unbedingt ein guter Indikator für den tatsächlichen Bedarf in diesem Bereich, steigert aber den Regelungsbedarf. Ebenso ist es durchaus ein gutes Beobachtungsfeld, aus dem ein sinnvoller Einsatz abgeleitet werden kann. Wie also gestaltet sich das Arbeiten unter sehr außergewöhnlichen Bedingungen? Lässt sich die Ausnahme auf Dauer stellen?

In der Trierer Telearbeitsstudie bezeichnete sich einer der Befragten als „nicht der geeignete Mensch für diese Arbeitsform“. Es wäre dazu offensichtlich mehr Selbstdisziplin erforderlich, als er aufbringen könne. Doch viele andere haben die Herausforderung angenommen und über die damit gewachsene Eigenverantwortung auch Anerkennung erfahren. In damals beliebten Praxisleitfäden stand, wie man sich beispielsweise gegenüber dem privaten Umfeld zu verhalten habe und in den eigenen vier Wänden das Gefühl, bei der Arbeit zu sein, bestärken kann. Das reicht von der Kleidung, der Abgrenzung des Arbeitsbereichs vom privaten Wohnumfeld bis zur Festlegung von Arbeitsbeginn und Arbeitsende. Unsere Ergebnisse zeigten damals sehr deutlich, dass auch die klassische Form der Arbeitsorganisation in diesen flexibleren Bereich hineinstrahlt.

Heute fließen die Grenzen von Arbeit und Freizeit oder Nicht-Arbeit häufiger ineinander. Wo einst die Herstellung einer Trennung ein Problem darstellte, wird heute eine gewisse Unordnung durchaus akzeptiert. Gelegentlich könnte man meinen: Sie ist Teil eines Lebensstils.

Ökonomie der Aufmerksamkeit

Es geht immer noch um die Fähigkeit, Prioritäten setzen zu können und Dinge zu vereinbaren, die nicht zusammengehören sollten und jetzt als zusammengehörig erlebt werden. Aus dieser Perspektive erfährt der Begriff „Arbeitsschutz“ eine etwas andere Interpretation. Natürlich geht es um Ergonomie, aber es geht auch um Aufmerksamkeitsökonomie. Diese kam auf, als wir erkannten, dass mit dem Arbeiten heute vermehrt auch die Organisation von Kommunikationsabläufen einhergeht. Der Fluch der Unterbrechung machte die Runde. „Always on“, „Homo simultans“ – die semantische Maschine lief auf Hochtouren. Aus den vielen Beobachtungen, die durchaus auch mit Amüsement zur Kenntnis genommen wurden, sei an diese erinnert: „Seit alle allen jederzeit etwas mitteilen können, tun sie es auch.“

Diese Jonglage mit Mehrfachaktivitäten führte die moderne Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen in besonderer Weise vor: Das Ausmaß der Ablenkung stieg mit der Zunahme der Berichterstattung über dieses Phänomen. Das mag eine Übertreibung sein, soll aber daran erinnern, dass – wo immer man letztlich arbeitet – die Herausforderung lautet, sich auf bestimmte Dinge konzentrieren zu können. Was in Japan als kommunikative Gesellschaft beschrieben wurde, nannte Daniel Bell in seinem Buch „Die nachindustrielle Gesellschaft“ ein „Spiel zwischen Personen“. Organisation, so muss die Schlussfolgerung lauten, wird offensichtlich vermehrt nicht als zentrale, sondern als individuelle Steuerung vielfältiger Kommunikationsbeziehungen verstanden.

Delikate Balance

Dieses Problem existiert an der Betriebsstätte, aber auch außerhalb und im Besonderen dort, wo sich die Welt des Privaten regelmäßig als Ort des Arbeitens gegenüber den Erwartungen Dritter behaupten muss. Diese müssen miteinander vereinbart werden. Die Metapher „Beruf und Familie“ spannt mittlerweile einen weiten Bogen und erzählt viel darüber, was heute alles parallel gehen muss. Daraus ein „Recht“ abzuleiten, ist nachvollziehbar. Aber der Anspruch sollte weiterhin zum Bedürfnis passen, und was für den Einzelnen gut sein mag, sollte auch für die Organisation als Ganzes gut sein. 24 Tage als Entscheidungszeitraum erscheint da wenig, aber es soll ja auch bei der Umsetzung gerecht zugehen. Viele Arbeitskräfte bleiben aufgrund ihrer konkreten Tätigkeit außen vor. Auch in diesem Bereich gibt es Grenzerfahrungen und Erschöpfungszustände. Das Recht des einen ist dennoch nicht notwendigerweise das Unglück des anderen.

›› Dieser Beitrag ist zuerst in unserer Februar-Ausgabe erschienen. Ein Abonnement können Sie hier abschließen.