Gelegentlich bedienen sich Wirtschaftsführer eines heiklen Kniffs: Ist ein Debakel nicht mehr zu leugnen, betonen sie reumütig im Lichte der Öffentlichkeit, man müsse ehrlicher, offener, wahrhaftiger – in einem Wort, anständiger werden. Offen einzuräumen, dass sie nachweislich Kunden betrügen, trauen sie sich jedoch nicht. Statt zur Wahrheit zu stehen, flüchten sie sich auf nebulöses ethisches Terrain. Kommt es hart auf hart, werden einen die Anwälte schon rausboxen.
Das geschickte Jonglieren mit der Wahrheit findet man nicht nur in Verlautbarungen einer Führungselite, die sich immer mehr von der Lebenswelt der meisten Menschen entfernt. Geflunkert wird auch im Zuge von Neubesetzungen und beim Abschied von Mitarbeitern. Um das blütenweiße Selbstverständnis gegen jeglichen Zweifel zu wappnen, treiben Fake News als stilbildendes Element auch in Personalmeldungen und Zeugnissen ihr Unwesen.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen: Überschwänglich wird der neue Produktionsleiter begrüßt, der angeblich in allen noch so vertrackten Lagen seiner beruflichen Laufbahn standfest dafür Sorge trug, dass ein Rädchen geschmeidig und ohne Substanzverlust ins andere griff. Hätte man freilich drei, vier Ex-Kollegen darauf angesprochen, käme womöglich eine anderslautende Version ans Licht: Rigoros verrichtete der Ingenieur sein Tagwerk, hieß es so herum. Wer ihm nicht folgte, kam nie mehr auf einen grünen Zweig.
Hier weitere Fälle von erdrückenden Beweisen, die geschickt übertüncht werden: Ziehen Unternehmen Führungskräfte aus dem Verkehr, muss man schon gut vernetzt sein, um den wahren Ursachen auf den Grund zu kommen. Dass der entmachtete Leistungsträger das Unternehmen „auf eigenen Wunsch“ verlässt, ist schlicht an den Haaren herbeigezogen. Und sowieso kündigt ein Manager nie, lieber trennt man sich „im gegenseitigen Einvernehmen“.
Derlei Haarspalterei ist nicht nur den höheren Managementkreisen zu eigen. Nur knapp an der Realsatire vorbei schrammt man, wenn es um die Beurteilung von ehemaligen Beschäftigten geht. In Arbeitszeugnissen hat sich ein Sprachcode etabliert, den Laien gänzlich missverstehen müssen. Der jedoch gewieften Advokaten und Beratern ein einträgliches Geschäft beschert. Vor Gericht werden Jahr für Jahr Tausende vor verschwiemelten Phrasen strotzende Zeugnisse auf ihre Substanz durchleuchtet. Und Personaler halten einem irrwitzigen Verfahren die Treue, obschon sie selbst die Ausstellung von Arbeitszeugnissen am liebsten loswerden wollen.
Doch woran liegt es, dass (wirklich) gute Beurteilungen so schwer von schlechten, wahre von gefakten zu unterscheiden sind? Wenn aus der auf den ersten Blick passablen Wertung „Er hat sich stets bemüht“ doch in Wahrheit hervorgeht, dass der ausscheidende Mitarbeiter ein Taugenichts war. Wenn die Formel „zu unserer Zufriedenheit“ in der Leistungsbewertung dem Underperformer gilt? Oder der „im Kollegenkreis beliebte“ Beschäftigte offenbar lieber Zoten riss oder zu tief ins Glas schaute statt pflichtschuldigst ihm aufgetragene Arbeit zu verrichten? Was verspricht man sich von einer derart kryptischen Beurteilung, außer vorhersehbar den Unmut aller Beteiligten auf sich zu ziehen?
Als pure Heuchelei geißeln Insider, dass Personaler von der Zeugniserstellung am liebsten die Finger lassen, bei der Beurteilung eingehender Bewerbungen indes sofort Alarm schlagen, sollte das Dokument nicht enthalten sein. Dass Referenzen wie im angelsächsischen Raum helfen, dieser Zwangslage zu entrinnen, ist infolge rechtlicher Vorbehalte ebenso wenig zu erwarten wie der konsequente Umstieg auf Zeugnisse, die dank klar bezifferter Benotung wie in der Schule zu der gewünschten Transparenz beitragen würden. Freilich müsste dazu in der Arbeitskultur auch gewährleistet sein, dass schlechte Leistung und unbefriedigendes Verhalten auch so bezeichnet werden. Doch wer traut sich schon, das Kind beim Namen zu nennen?
Diese Stilkritik ist in Ausgabe 03/2019 erschienen. Das gesamte Heft finden Sie in unserem › Shop
Warum New Work mehr bedeuten sollte, als nur die Büroarchitektur zu verändern, › lesen Sie in unserer Stilkritik aus der Ausgabe 02/19.