Wäre die Digitalisierung ein Menü, so hätten wir bislang nur das Amuse-Gueule genossen, meint Karl-Heinz Land. Wer den Hauptgang mitbekommen will, sollte Haltung annehmen. Und sich der Zukunft öffnen.
Wäre die Digitalisierung ein Menü, so hätten wir bislang nur das Amuse-Gueule genossen. Wer den Hauptgang mitbekommen will, sollte Haltung annehmen. Und sich der Zukunft öffnen.
Wir leben in der fünften Stufe der indus- triellen Revolution. Nach der Dampfmaschine (1), der Elektrizität (2), der Elektronik und Informationstechnologie (3) und dem Inter- net (4) ist nun die Ära des Internet der Dinge (IoT) und der cyberphysischen Systeme angebrochen. Die Geschwindigkeit der Veränderung wird dabei nach dem Mooreschen Gesetzparallel zur der exponentiellen Geschwindigkeit des technologischen Wandels – in den nächsten Jahren noch deutlich zunehmen. Die Wirtschaft steht vor der durchschlagendsten Transformation seit dem Beginn der industriellen Revolution und der Erfindung der Dampfmaschine.
Die Digitalisierung ist nur in zweiter Linie eine technologische Herausforderung. Tatsächlich geht es darum, die Kultur einer Unternehmung zu verändern, die Menschen zu begeistern, ihnen neue Räume für Kreativität, Erfindungsreichtum, Zusammenarbeit zu eröffnen. Sie für den Gedanken zu begeistern, dass Tempo vor Perfektion geht. Das ist die ureigene Aufgabe von Personalern und Führungskräften!
Denn wer nur versucht, hier und da neue Technologien einzuführen, um modern und aufgeschlossen zu wirken, erleidet Schiffbruch.
Digitalisierung trägt Früchte, wenn sie in den Kern des unternehmerischen Handelns gerückt wird. Wenn die Strategie auch auf Personal, Führung, Kultur, Produkte und Services ausgerichtet wird.
Intern müssen Unternehmen tradierte Strukturen, Hierarchien und Silos überwinden. Die Zukunft gehört Netzwerkorganisationen, flexiblen Teams und eigenverantwortlichen Mitarbeitern. An die Stelle der Planung tritt das Experiment, das Sanktionswesen wird von einer fehlertoleranten Unternehmenskultur abgelöst. Gleichzeitig verändert sich der Zweck von Unternehmen. Shareholder Value und Profitdenken müssen künftig mit der Sinnhaftigkeit, mit dem Wertbeitrag des Unternehmens für Mitarbeiter, Umwelt und Gesellschaft aus- balanciert werden. Unternehmen müssen sich der globalen Verantwortung stellen, die sich aus ihrem Handeln, ihren Produkten, der Art und Weise ihrer Produktion und Vermarktung ergibt. Die Erfassung, Messung und Beschreibung des „Total Social Impact“ (TSI) der Organisation wird unsere heutige Idee von Corporate Social Responsibility und Shareholder Value ablösen. Zudem müssen Unternehmen die Mechaniken der digitalen Ökonomie begreifen: Die Plattform-, Sharing-, Zirkulär- und Service Ökonomie wird zum Teil der Unternehmensführung. Offene, transparente, durchlässige Systeme werden die Geschlossenheit der alten Welt ersetzen. Lokales und Regionales wird unweigerlich global werden.
Die Digitalisierung bietet uns eine Menge Chancen, für Unternehmen und unsere Umwelt. Wie kann man diese Chancen nutzen? Erstens müssen Unternehmen endlich erkennen, dass sich die Zukunft nicht delegieren lässt. Jeder Einzelne kann etwas tun. In der schnelllebigen digitalisierten Welt mit all ihren Ablenkungen und immer neuen Möglichkeiten geht es mehr denn je darum, sich Zeit für das Wesentliche zu nehmen. Die Frage nach dem Sinn des Unternehmens – für Mitarbeiter, Umwelt und Gesellschaft – wird sich schon in wenigen Jahren stellen. Wer könnte an den Antworten besser arbeiten als eine starke, umfassend agierende HR-Abteilung?
Lassen wir uns nicht von der Digitalisierung, dem technologischen
Fortschritt und all den technischen Gimmicks treiben
und ablenken. Wir sollten jetzt aufmerksam darauf achten,
nicht im endlosen Strom der sozialen Netze, in belanglosen
Nachrichten und Fake News zu ertrinken. Was für uns privat
gilt, wird auch für Unternehmen immer wichtiger: genau hinsehen,
konzentrieren, Sinn stiften und daraus Kraft schöpfen.
Hin zu neuer Kreativität, Inspiration und Innovation!
Bislang hatten wir nur das Amuse-Gueule vom Menü der Digitalisierung. Von der Vorspeise haben wir noch keine Ahnung – geschweige denn vom Hauptgang. Wer weiter am Tisch sitzen will, sollte Haltung annehmen. Und zügig die Tischmanieren der neuen Welt erlernen.
Karl-Heinz Land ist Gründer der Strategie- und Transformationsberatung Neuland und Autor verschiedener Wirtschaftsbücher. Er ist seit dreißig Jahren in der Digitalwirtschaft tätig, 2006 erhielt er den Technology Pioneer Award auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos.