Mitarbeiter nehmen Innovationen nur an, wenn die Kultur des Unternehmens ihnen die nötige Zeit dafür einräumt und ihnen zur Seite steht. Dies ist nicht zuletzt die Aufgabe von HR, meint Harry Gatterer.
Innovation ist zur Norm geworden. Kein Unternehmen kann oder mag auf sie verzichten. Sie bedeutet Druck, ein „Müssen müssen“. Frei nach Watzlawick könnte man sagen: „Man kann heute nicht mehr nicht innovativ sein.“ Das wirtschaftliche Umfeld, die sogenannte Digitalisierung, der Wahnsinn des Wachstums. Ständig braucht es Innovation, um voranzukommen, um vorne dabei zu sein – und als Statussymbol für Unternehmen und CEOs. Und obwohl überall Innovation zur Norm geworden ist, haben wir massive Probleme im Umgang mit dem Neuen.
Innovation stellt den Status quo in Frage, sie will mit Bestehendem aufräumen, sie setzt die Gegenwart unter Druck. Und damit die Menschen. Innovation fordert uns auf, gewohnte Gedanken zu verwerfen und unsere Wahrnehmung der Welt zu erweitern. Viele Menschen sind aber von der heutigen Welt überfordert. Die Eindrücke globaler Veränderungen, Impressionen der Highspeed-Kommunikation, unsichere Ausblicke, verlorene Orientierung im Dschungel des Überflusses – das alles löst Zukunftsängste und -sorgen aus.
Ein großer Teil der Menschen hat Angst vor dem, was kommen könnte. Kein Wunder also, dass Innovation bei Mitarbeitern als Pflicht gesehen wird. Das so in den meisten Fällen nichts wirklich Neues herauskommt, ist vorprogrammiert. Die meisten sogenannten Innovationsprozesse in Unternehmen dienen dem guten Gewissen des Managements. Produktiv im Sinne der Produktion von Neuem sind sie kaum. Nun stellt sich also die Frage: Ist der Innovationsdruck übertrieben? Überfordern wir nicht Mitarbeiter und Management mit der unnötigen Suche nach Neuem?
Für die Entwicklung von Organisationen ist das eine wesentliche Fragestellung. Aus zwei Gründen: Zum einen macht es in Unternehmen nicht zu jeder Zeit Sinn, innovativ zu sein und das Bestehende in Frage zu stellen. Research zu betreiben, Verbesserungen vorzunehmen, Augen und Ohren offen zu halten – das kann man jederzeit. Aber das ist nicht Innovation. Zum anderen ist Innovation vor allem eine Qualität der Wahrnehmung und der Offenheit. Sie ist weniger Prozess als Mindset. Die innovativsten Unternehmen sind nicht die mit den besten Prozessen. Die Voraussetzung ist eine Kultur des Vertrauens, der Neugierde und des Anpackens.
Wenn also HR in Fragen der Innovation helfen kann, dann darin, sie nicht inflationär als „Müssen müssen“-Mantra zu verbreiten. Vielmehr geht es um die Entwicklung einer Kultur der klugen Verbindungen, in denen Neues entstehen darf und Ungewohntes gut ist. Dies setzt voraus, dass Mitarbeiter positive Resonanzerfahrungen machen und sich selbst spüren, bei dem was sie tun. Dies bedingt, dass Unternehmen nicht wie Maschinen betrachtet werden, die man ölt, sondern wie ein Organismus, den man kultiviert. Mitarbeiter müssen sich auf Neues einschwingen (Entrainment-Effekt) können und dabei die nötige Zeit und den nötigen Raum erhalten. Denn wenn wir als Menschen innovativ sind, wir uns also auf den Weg zum Neuen oder Erneuern machen, verlassen wir unseren gewohnten Bezugsrahmen. Das im Alltag zu kompensieren, kostet viel Kraft. Das Neue ist also kein Ort, an dem wir Menschen ständig sein wollen – ja gar nicht sein können. Der kompensatorische Kraftakt wäre einfach zu hoch.
Deshalb ist es auch schlichtweg dumm zu glauben, Unternehmen müssten permanent innovativ sein.
Damit würde ein Unternehmen sich selbst ausbrennen. Es gibt Phasen, in denen Unternehmen einfach effektiv sein sollten oder reflexiv. Aber eben nicht immer innovativ. Das ist eine Frage des Managements. Für HR heißt das jedenfalls, ein wachsames Auge auf die Menschen zu haben: Kompensieren sie, wie lange schon, wie lange noch? Wie viel Gewohnheit ist dennoch möglich und erlaubt? Wie viel Umschalt-Kompetenz zwischen dem Neuen und dem Gewohnten gibt es? Kurzum: Welche Vorstellung vom Umgang mit dem Neuen kultivieren wir im Unternehmen.
Harry Gatterer ist Geschäftsführer des Zukunftsinstituts. Seine Kernkompetenz liegt in der Verknüpfung von gesellschaftlichen Trends und unternehmerischen Entscheidungen. Er hat die „Future-Room-Methode“ entwickelt.