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Der Spion, der aus HR kam

Cartoon: Kai Felmy
Cartoon: Kai Felmy

Psst …! Nicht weitersagen. Und nur im Flüsterton lesen, bitte. Denn heute berichten wir exklusiv und hochbrisant von einem Top-Secret-Projekt der weltweiten HR-Gemeinde. Natürlich sind wir sehr stolz darauf, unseren Lesern dieses unerhörte Material anbieten zu können. Und das noch vor dem umtriebigen Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung!

Die Rede ist von ausgefuchsten Spionagetätigkeiten. Oftmals unter den Codenamen „Job Shadowing“ oder „Work Shadowing“ schleust HR seine Spitzel weltweit in die oberen Etagen ein. Getarnt ist diese internationale Beschattungsaktion als Weiterbildungs- oder Coachingmaßnahme.

Hatte der einfache Bürger die Hoffnung bereits aufgegeben, dass unlautere Machenschaften in Unternehmen jemals aufgedeckt werden, korrupten Managern und maßlosen Vorstandsmitgliedern das Handwerk gelegt und Wahrheit und Gerechtigkeit Genüge getan wird, ist HR nun also angetreten, um solcherart Schattenmoral ans gleißende Licht der Leuchtstoffröhren zu zerren. Der Zeitpunkt dafür scheint wohlgewählt, die Gesellschaft reif für die Mission. Das zeigt nicht zuletzt der seltene Publikumserfolg eines Dokumentarstreifens. „Stromberg – Der Film“ beleuchtete aufrüttelnd die Ab- gründe des Vorstands einer großen Versicherungsgesellschaft und spielte damit zweistellige Millionenbeträge ein. Wer hätte gedacht, dass es dieses Thema einmal auf die große Leinwand schaffen würde?

Und eben offensichtlich auch auf die 27-Zoll-Bildschirme des Personalwesens. Ob es sich um eine konzertierte Geheimoperation von HR-, Marketing- und Compliance-Abteilungen handelt, lässt sich zum aktuellen Stand der Nachforschungen noch nicht sagen. Aber die Raffinesse, mit der Personalabteilungen weltweit verdeckt zu Werke gehen, ist verblüffend. Denn wofür Robert Redford alias Condor noch drei volle Tage brauchte, das erreichen die HR-Agenten in einem einzelnen Arbeitstag.

Die Legenden der Spione ähneln sich: Meist weisen sie sich als interessierter Nachwuchs aus, der sich ein Bild vom Arbeitsalltag der Vorstände oder anderer höher positionierter Mitarbeiter machen möchte, um von diesen zu lernen und sich motivieren zu lassen, in die großen Fußstapfen zu treten. Laut unseren Informationen funktioniert das einwandfrei: Die Zielpersonen stellen nicht infrage, warum ein Mensch einen Tag lang ein Schatten ihrer selbst sein sollte.

Bei der Recherche stießen wir auf weitere Konstellationen. So hieß es aus gut informierten Kreisen, auch externe Agenten würden in Unternehmen eingeschleust – dann in der Tarnung als sogenannter „Coach“. Bisweilen sollen zudem gestandene Mitarbeiter auf junge Kollegen angesetzt werden, um diese bei der Arbeit zu überwachen. Die Losung hier: „Erfahrungen weitergeben“. Noch ist jedoch nicht abschließend zu beurteilen, ob es sich dabei um gezielte Irreführungen handelt, die von der eigentlichen Operation Shadowing ablenken sollen.

Diese wiederum gilt als hocheffizient. Schon so manchem Goldlangfinger und Dr. No-Go sei der Zugang zum vermeintlichen Casino Royale der Firmengelder endgültig versperrt worden, wissen wir aus sicheren Quellen – die verständlicherweise anonym bleiben wollen. Die meisten dieser Insider sind Aussteiger im Zeugenschutz, getarnt als Fachkräfte. Und hier zeigt sich die doppelbödige zentrale Intelligenz dieser HR-Operation: Indem sie High Potentials als Special Agent anheuern, tragen die Personaler dem Wunsch der jungen Bewerbergenerationen nach Compliance, Gerechtigkeit und moralischem Unternehmertum Rechnung. Die sie dann durch das Zeugenschutzprogramm mit einer Übernahmequote von nahezu 100 Prozent langfristig ans Unternehmen bin- den – ein brillanter Recruiting-Coup! Die wenigen Abtrünnigen wer- den als Mitwisser eliminiert. Damit stehen sie dem Unternehmen zwar nicht mehr zur Verfügung, können aber auch nicht zur Kon- kurrenz abwandern.

Ach ja, eliminieren. Sie haben diesen Beitrag bis zu Ende verfolgt? Dann gehören Sie jetzt leider ebenfalls zum gefährdeten Personenkreis. Zu Ihrem eigenen Schutz sollten Sie diese Seite unverzüglich herausreißen und aufessen. Sicher ist sicher.