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Die Challenger-Katastrophe

Neueintragung in den zehn Sprachgeboten: „Du sollst niemanden challengen. Und dich vor allem nie durch jemanden gechallengt fühlen!“ Sonst wird die Rache des Sprachpapstes grausam sein.

Cartoon: Kai Felmy
Cartoon: Kai Felmy

Gäbe es einen Wächter des deutschen Sprachschatzes zu bestellen, so fiele die Wahl leicht: Der neu zu schaffende Posten käme Wolf Schneider zu, der mit nun 92 Jahren noch so vital wie eh und je
Sprach- und Stilblüten seziert. Die Medienkollegen titulieren Schneider gern als „Sprachpapst“, was gut klingt, seiner legendär unnachgiebigen bis ätzenden Art der Kritik aber nur unzureichend Genüge
tut. Selbst gestandene Edelfedern erstarren bei seinem Urteil vor Ehrfurcht. 

In einem seiner Standardwerke für Journalisten warnt Schneider vor der unreflektierten Nutzung des Nomens „Herausforderung“. Diese sei im Deutschen schließlich in erster Linie ein Synonym für eine „Kampfansage“ oder „Provokation“. Verwendet werde das Wort aber zunehmend als „zumindest anfechtbare Übersetzung von ‚challenge‘“. Einfacher und präziser sei es meist, die „challenge“ schlicht mit „Aufgabe“ zu übersetzen.

Da gibt es allerdings ein Problem: „Aufgabe“ klingt nach Schulbank, Nachsitzen und Tafeldienst, „Herausforderung“ hingegen nach Kilimandscharo-Besteigung, Marathonlauf und Pitch-Präsentation. Verwalter erledigen „Aufgaben“, Gestalter meistern „Herausforderungen“. Wie tief diese Denke längst in die Sprache von Politik und Medien eingesickert ist, lässt sich am praktischen Beispiel der wochenlangen Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU, FDP und Grünen illustrieren. Die Gespräche seien „eine riesige Herausforderung“, befand etwa ein CDU-Vertreter. Die Grünen hätten „keine realistischen Vorstellungen über die gesellschaftlichen Herausforderungen beim Familiennachzug“, mäkelte die FDP. Die Grünen wiederum bemerkten: „Gegenseitige Schuldzuweisungen und Attacken helfen doch nicht, die großen Herausforderungen zu lösen.“

Falsch, liebe Frau Göring-Eckhardt, mag man da ausrufen, vielmehr sind gegenseitige Schuldzuweisungen und Attacken geradezu eine Steilvorlage für eine Herausforderung im klassischen Sinne! Fehlt nur noch, dass der Fehdehandschuh zu Boden geworfen wird. Stattdessen aber lächelten die Unterhändler abends stets schiedlich-friedlich vom Balkon. Also sei’s drum, wir wollen mal nicht sprachpäpstlicher sein als der Sprachpapst.

Dessen Warnung vor der vorschnellen Proklamation von „Herausforderungen“ scheint derweil in deutschen Managementetagen erhört worden zu sein – jedoch ganz und gar nicht im ursprünglichen Sinne. Denn dort spart man sich neuerdings gleich ganz die Übersetzung. Keine unternehmerische Herausforderung ist heute so klein, dass man aus ihr nicht auch eine „Challenge“ machen könnte.

Und HR macht fleißig mit. Führungskräftetrainings heißen jetzt „Team Challenge“, „Leadership Challenge“, „Management Challenge“. Klingt aufregend, herausfordernd, wild. Flexible Sprachballons, in die sich jede Soße reingießen lässt. Ex-Boxweltmeister Wladimir Klitschko lehrt übrigens inzwischen an der Schweizer Topmanagement-Uni in St. Gallen „Challenge Management“. Kein Witz: 17 Tage, 15 ECTS-Punkte, 14 950 Euro. Parallel dazu ist im Sommer ein Buch erschienen. Die Rezension im Handelsblatt resümiert entwaffnend: „Das Buch schafft es, den Begriff ‚Challenge Management‘ gekonnt in die Köpfe der Leser zu bekommen.“ Na immerhin. Herausforderung gemeistert!

Was bislang das Privatfernsehen mit Nachwuchsmodels und Promiköchen veranstaltete, machen nun halt die Unternehmen mit ihren Mitarbeitern: Alles wird zur Challenge. Und wir machen fröhlich mit. Wir hinterfragen es nicht mehr. Unsere Gedanken wurden unsere Worte wurden unsere Taten: spätkapitalistische Gegenwartskultur. Am schlimmsten wird es, wenn die Sprachverächter beginnen, eingedenglischte Begriffskonstruktionen grammatikalisch zu bearbeiten. Da will plötzlich der Geschäftsführer die eigene Produktpalette „challengen“ und der Vertriebler fühlt sich von der Konkurrenz „gechallengt“. Keine Ahnung, ob man das so schreibt. Ist auch egal, denn schon wenn man es nur zu schreiben versucht, dreht sich dem Freund des klaren Wortes der Magen rum!

Nicht, dass es eines weiteren reaktionären Rucks in diesem Land bedürfte, aber an dieser Stelle sei er beschleunigt: Es wird Zeit, das „Challengen“ zu challengen. Eine Herausforderung für den Sprachpapst: Schneider, übernehmen Sie!

Dieser Beitrag ist in Ausgabe 12/2017 erschienen.

Cliff Lehnen ist Chefredakteur der Personalwirtschaft und unter anderem spezialisiert auf die Themen Organisationsentwicklung, Unternehmenskultur, Innovations- und Veränderungsmanagement.