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Ich bin so frei – und so bedrückt

Frau hält ihren Kopf
Die psychische Belastung ist im Homeoffice größer. Foto © CSA-Archive/iStock

Neulich, bei einer Geburtstagsparty. Zwei Frauen vertieft im Plausch über den Job. „Also, bei uns“, erzählt die Mittdreißigerin, „kann jeder von zu Hause arbeiten, wenn keine Präsenz nötig ist.“ „Und“, fragt die andere, eine Twentysomething, voller Bewunderung über so tolle Arbeitsbedingungen, „ist die teure Bürolage dann nicht total überflüssig?“ „Weit gefehlt“, entgegnet ihre Gesprächspartnerin. „Die meisten finden Homeoffice ätzend und gehen viel lieber ins Büro.“

Keinen Kontakt zu den Kollegen zu haben, ist ein großer Nachteil des Homeoffice, der gefühlt beliebtesten, längst etablierten Variante dessen, was man früher „Telearbeit“ nannte. Die SPD will das Recht auf mobiles Arbeiten, also auch am Schreibtisch zu Hause, sogar gesetzlich verankern. Eine gute Idee? Eher nicht, wie eine Studie des wissenschaftlichen Instituts der AOK nahelegt. Wer tageweise auf das soziale Miteinander im Büro verzichtet und lieber daheim Konzepte schreibt, Software programmiert oder mit Kunden telefoniert, fand das Institut in einer Befragung von 2000 Personen zwischen 16 und 65 Jahren heraus, klagt häufiger über Kopfschmerzen, Schlafstörungen und latente Wut.

Sapperlot. Eigentlich will man doch dem nervenaufreibenden Treiben in der Firma entrinnen statt das von unfähigen Vorgesetzten, miesepetrigen Kollegen und ständig ausfallenden Computersystemen verursachte Chaos zähneknirschend hinzunehmen. Tatsächlich schätzen die Befragten ihre größere Autonomie. Sie könnten mehr Arbeit bewältigen, betonen sie, konzentrierter zu Werke gehen. Und auch das fiel den Forschern auf: Wer regelmäßig im Homeoffice arbeitet, fällt weniger aus als seine Kollegen im Büro.

Morgens im Pyjama entspannt am Schreibtisch sitzen, während die Waschmaschine gurgelt und der Nachwuchs in der Wippe schlummert – da kommen die Geistesblitze doch von selbst. Diese Annahme wird in ihrer Naivität durch die Studie bestätigt. Es mag verwundern, dass im Homeoffice die Zufriedenheit und Belastung gleichermaßen höher sind als im Büro. Für die Forscher sind das nur zwei Kennzeichen eines grundsätzlichen Problems:

Ihren Mitarbeitern anzubieten, flexibel zu arbeiten, scheint für viele Unternehmen lediglich auf eine höhere Effizienz von Abläufen hinauszulaufen.

Dass sie sie damit dem Risiko ausliefern, sich so oder zu überfordern, übersehen die meisten Arbeitgeber.

Liegt doch an den Homeworkern und Nine-to-five-Gegnern selbst, wenn laut Studie 40 Prozent von ihnen nicht abschalten können? Trennen Beruf und Privatleben nicht scharf, lassen sich ständig unterbrechen und verlegen Prozessschritte dann in die Abendstunden oder aufs Wochenende? Schon klar. Wobei immerhin jeder fünfte Befragte kritisiert, nach offiziellem Feierabend Mails vom Chef zu erhalten oder sogar angerufen zu werden.

Es geht hier um einseitig verteilte Verantwortung für eine beidseitig gewollte Struktur: Offensichtlich werden viele Beschäftigte unvorbereitet ins Abenteuer Heimbüro geschickt. Weil ihnen Kompetenzen zur Selbstorganisation fehlen, merken sie spät, dass ohne strikt eingehaltenes Todo-Schema und entsprechende Selbstdisziplin die Erholung zu kurz kommt. Laut Studie sind sie deutlich nervöser und reizbarer als ihre Kollegen in der Firma, nachts kommen sie schwerer zur Ruhe. Es drängt sich der Verdacht auf, das zunehmende Bewusstsein für den Nutzen von BGM (siehe Titelstrecke Heft 12/2019) komme nur im Betrieb anwesenden Mitarbeitern zugute.

Übrigens: Bei Bewerbung wissen Arbeitnehmer noch nichts von ihrem vermeintlichen Glück, zu Hause arbeiten zu können. Wie Indeed herausfand, ist lediglich in einem Prozent der Stellenanzeigen explizit von Homeoffice die Rede. Man kann es so sehen: Obwohl die Segnungen von Telekommunikation und Internet bereits vor 30 Jahren eine von der täglichen Tretmühle befreite Arbeitswelt in Aussicht stellten, sind die meisten Unternehmen nicht annähernd auf diese Flexibilität vorbereitet. Man sollte ihnen auf die Finger klopfen, wenn sie sich mal wieder mit irgendeinem Award schmücken.

›› Dieser Beitrag ist zuerst in unserer ›Januar-Ausgabe erschienen. Ein ›Abonnement können Sie hier abschließen.