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HR auf Brautschau

Cartoon von einem Mann, der das Wort Herz in einen Baum ritzt.
Cartoon: Kai Felmy

Letzten Monat forderte Kollege Lehnen an dieser Stelle Liebe ein. Make love, not war – wir unterschreiben. Happy End. Doch wenn der Film endet, geht es im Leben erst richtig los. Die Umsetzung des Ideals sorgt im Alltag für Reibungen. Unterschiedliche Auffassungen kommen ans Tageslicht, die Form der gelebten Liebe wird heiß diskutiert.

Im Personalmanagement hat man sich entschieden. Die ursprüngliche Verbindung mit dem Ziel, Arbeit gegen Geld zu tauschen, ist abgeschafft. Während der Arbeitgeber nach wie vor mit Geld und geldwerten Vorteilen aufwartet, reicht beim Arbeitnehmer malochen allein nicht mehr. Vielmehr möge er sich mit seinem Unternehmen identifizieren. Besser noch: Er soll sich auf die Beziehung zu seinem Arbeitgeber ganz einlassen, sich mit Leidenschaft hingeben, seine Persönlichkeit voll einbringen und authentisch sein. Böse Zungen könnten sagen: Prostitution jetzt mit küssen – zum alten Preis.

Begrifflich hielt man sich zunächst an das unschuldige Engagement (hier deutsch-französisch ausgesprochen), was gefordert war. Das ist einleuchtend – vor allem im Dienstleistungsbereich – und gesund begrenzt. Irgendwann jedoch machte sich die englischsprachige Variante breit und HR forderte „Employee Engagement“. Zunächst unauffällig, bekommt es aber eine besondere Note, wenn man sich vergegenwärtigt, was das englische „Engagement“ bedeutet. Anstellung und Beschäftigung, aber auch: Verlobung.

HR befindet sich also auf Brautschau. Linda de Mol leitet das Assessment-Center und im Fahrstuhl zum Bewerbungsgespräch plätschert leise Katja Ebsteins „Dann heirat’ doch dein Büro“. Alles erstrahlt ganz in Weiß, auch die Täubchen, die quasi-algorithmisch die guten Bewerber ins Töpfchen und die schlechten ins Kröpfchen sortieren. Ruckedigu, die rechte Braut muss es sein.

Für Elitepartner mag das noch angehen. Sie haben eine Wahl – mit zunehmendem Fachkräftemangel werden sie bald die Eheverträge selbst bestimmen. Aber wir leben in Zeiten, in denen viele Menschen von einem Job allein nicht leben können. Der Prinz rückt zu wenig Dukaten heraus. Aschenputtel hat ausgeträumt, Polygamie ist angesagt. Mehrere Arbeitslebensgefährten müssen das Geld für den Monat zusammenbringen, zur vollen Stelle gesellt sich der 450-Euro-Job. Da bleibt keine Zeit für Zärtlichkeit.

„Employee Engagement“ steigert den Gewinn des Unternehmens und bindet Mitarbeiter emotional. Nur: Wie nennt man das, wenn sich jemand zu seinem eigenen Nutzen der Gefühle anderer bedient? Emotionalen Missbrauch. Gerne kombiniert mit emotionalem Druck. Wo so viel Gefühl ist, wird eine Kündigung zum persönlichen Affront, und wer will schon anderen wehtun. Der Personaler steht bei einer von ihm ausgesprochenen Kündigung wohlgemerkt genauso schlecht da. Er weiß: Ein Mensch, der sich ganz einbringt, verliert nicht nur einen Job, sondern vor allem ein Stück seiner Würde.

Einer liebt immer mehr, heißt es. Wenn dies per „Employee Engagement“- Dekret vom deutlich machtloseren Arbeitnehmer verlangt wird, ist das eine äußerst unanständige Geschichte. Da steht er, der verliebte Tropf, emotional gebunden, und ritzt sein Herz mit Inbrunst in Birkenrinden. Doch auf Gegenliebe lässt sich bei einer Institution schwer hoffen. Institutionen sind gefühllos. Das ist normal und richtet keinen Schaden an, wenn man die Arbeitsbeziehung inhaltlich korrekt lebt und benennt, nämlich als Zweckehe. Ein klares Tauschgeschäft, in rationalem Handeln. Zweckehen sind gemeinhin sehr haltbar, Romantik wird seit jeher überschätzt. Mit der Zeit bleibt davon oft nur eine unstillbare Erwartungshaltung übrig und Hass, weil diese nicht erfüllt wird. Lange Haltbarkeitszeiten zeigen dagegen Respekt, Achtsamkeit und Wertschätzung. Damit kann man auch Geschäftspartnern gut begegnen.

Pfeifen wir die Blumenkinder zurück und gehen wir einfach wieder einem Broterwerb nach. In aller professionellen Emotionslosigkeit bis an unserer Erwerbstätigenzeit Ende. Rente gut, alles gut. Unsere Kollegen, inklusive Lehnen, mögen wir deshalb ja nicht weniger.

Autor: Wiebke Joester