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Arbeit für alle

Cartoon: Kai Felmy
Cartoon: Kai Felmy

Anfang des Jahres erklärte Johanna Wanka, damals noch Bundesministerin für Bildung und Forschung, Vollbeschäftigung für möglich, wenn Arbeitnehmer für die Digitalisierung „fit gemacht“ würden. Musik in den Ohren ihrer Chefin Angela Merkel, hatten die Christdemokraten im jüngsten Wahlkampf doch Vollbeschäftigung als politisches Ziel ausgegeben. Gemessen an einer aktuellen Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) befindet sich das Projekt schon jetzt auf der Zielgeraden: In Westdeutschland kamen Ende 2017 durchschnittlich 194 Arbeitslose auf je 100 offene Stellen, in den neuen Bundesländern waren es 225 – die niedrigsten Werte seit 25 Jahren. Na prima.

Doch wovon reden wir hier eigentlich? Gablers Wirtschaftslexikon definiert: „Vollbeschäftigung bezeichnet den Zustand in einer Volkswirtschaft, bei dem alle Produktionsfaktoren eingesetzt und auch ausgelastet sind. In der praktischen Wirtschaftspolitik liegt das Augenmerk zumeist auf dem Faktor Arbeit.“ Es geht also um den vollen Einsatz der Ressource Mensch.

Schauen Sie sich doch mal um: Die Menschen sind voll beschäftigt. Zwischen dringenden Terminen wird ein Power Nap gehalten, bevor es weitergeht. Via Smartphone prasseln unaufhörlich unaufschiebbare Arbeiten auf den gemeinen Werktätigen ein, während er von Termin zu Termin eilt. Oder von seinem Haupt zum Nebenjob, wenn die Kohle nicht reicht. Ist doch mal ein Slot zwischen Meeting und Telko, Führungskompetenz-Webinar und Yoga, Instagram-Account- Pflege und dem Training für den Halbmarathon frei, werden die Messages gecheckt. Und wer dann noch nicht umgekippt ist: Wie wäre es mit Porzellanmalerei, Intuitionstraining oder Laternen-Bestricken?

Arbeit sei vom Lebenserwerb zum Selbstzweck geworden, heißt es aus den Reihen der Kritiker am Heilsversprechen der Vollbeschäftigung. Von falschem Götzendienst an der heiligen Kuh „Arbeit“ ist die Rede. Ein Ketzer, wer sich da noch auf die faule Haut legen will. Und überhaupt: Vollbeschäftigt heißt ja per Definition eben nicht ausreichend entlohnt. Frei nach dem Motto: Da habt ihr schon Arbeit und wollt auch noch Geld? Es gibt doch so viele schöne Dinge, die als zusätzlicher Broterwerb taugen. Flaschen sammeln beispielsweise. Oder man macht sich selbstständig und betreibt Ein-Personen-Fundraising vulgo Betteln.

Aber keine Sorge, wir halten weiter an der Vollbeschäftigung fest. Das Schöne am Hamsterrad ist ja: Solange nur einer noch darin läuft, dreht es sich zuverlässig weiter. Eine kleine Hoffnung bleibt: Das nächste Wahlprogramm kommt ganz bestimmt. Vielleicht stellen die Parteien wieder ein bereits vorgegebenes Ziel in den Fokus. Wie Artikel 1 des Grundgesetzes etwa: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“ Aber mit solchem Gedöns wie Menschenwürde gewinnt man wahrscheinlich keinen politischen Blumentopf.