Am 18. Mai 2010 postete Lazlo Hanyecz, ein Pionier des Krypto-Minings, in einem Forum einen Vorschlag für folgendes
Tauschgeschäft: 10 000 Bitcoins gegen zwei Pizzen, gern auch
selbstgemacht. Potenziell ein guter Handel, war die Summe damals immerhin 41 Dollar wert – rein theoretisch. Denn noch
galten Kryptowährungen als nerdiges Nischenexperiment, Spielgeld quasi. Niemand hatte damit für etwas wirklich bezahlt. Bis
vier Tage später jemand auf Hanyecz‘ Angebot einging und ihm
seine Pizzen brachte – die
erste Bitcoin-Transaktion
der Welt wurde in Gang gesetzt. Dieser Ruhm verblasst
jedoch gegen das, was 10 000
Bitcoins heute wert sind: bei
Redaktionsschluss 388 455
621 Euro und zehn Cent.
Es verlockt, über derartige
Fehleinschätzungen zu lachen, doch wir selbst treffen
sie andauernd – sie werden
nur nicht immer schriftlich
festgehalten. Dieses Ihnen
vorliegende Magazin zitierte im Jahr 2000 den inzwischen längst verstorbenen Informatikexperten Joseph Weizenbaum mit der Aussage: „Kein Unternehmen hat durch den
Einsatz eines Computers jemals Geld gespart.“ Und obwohl sie
dazu kein Interview gab, erinnert sich die Autorin dieses Beitrags noch schmerzlich an ihr Urteil über die sich im Freundeskreis immer weiter verbreitenden Smartphones im Jahr 2010.
Damaliges Fazit: braucht kein Mensch. Versuchen Sie sich selbst
einmal vor Augen zu halten, wie vor zehn oder zwanzig Jahren
Ihr Arbeitsalltag ausgesehen hat. Noch Ende der 1990er Jahre
gab es zum Beispiel kein generelles Rauchverbot in Betriebsräumen. Undenkbar? Dann hat das damalige Verbot wohl ein
„New Normal“ geschaffen.
Über diesen Begriff stolpert man seit den ersten Wochen der
Corona-Pandemie täglich. In allen Medien, dieses hier nicht
ausgenommen, wird ausführlich darüber spekuliert, wie wohl
unser Leben „nach der Krise“ – denn wer definiert ihr Ende? –
aussehen wird. Dabei ist das Phänomen „New Normal“ nicht einmal selbst neu. Schon nach dem Ersten Weltkrieg machte es
sich in Wort und Schrift breit, ebenso nach dem Anschlag auf
das World Trade Center 2001 und der Finanzkrise von 2007.
Wir alle haben also schon mehrere „New Normals“ durchlebt
und es vor lauter Alltag gar nicht gemerkt.
Wie schnell dieser Alltag einen einholen kann, musste die Geschäftsführung eines hier anonymisierten Großkonzerns bei
ihrer virtuellen, internationalen Betriebsversammlung
feststellen. Nach Ansage der
Geschäftsführung, dass die
Belegschaft nach den Lockdown- und Homeoffice-Monaten geschlossen in ihre
Büros zurückkehren sollten, regte sich Widerstand.
Die Angestellten verlangten
Begründung, und zwar eine
triftige. Diese konnte ihnen
das Management nicht liefern. Der Betriebsrat wurde
eingeschaltet, und dem
Konzern blieb nichts anderes übrig, als den Wünschen
der Belegschaft zu folgen. Fortsetzung des Ausnahmezustands
oder Beginn der neuen Normalität?
Es liegt in der Natur der Sache, dass wir diese immer erst im
Nachhinein definieren können. Das erschwert wiederum die
Treffsicherheit von Prognosen über neue Entwicklungen. Dennoch scheint es uns ein Bedürfnis zu sein, nach einer Krise
ausführlich darüber nachzudenken, wie sie unser Arbeits(leben) permanent verändern wird. Auch die Titelstrecke dieses
Heftes beschäftigt sich mit dieser Frage. Heben Sie sie also diese
Ausgabe gut auf und schauen Sie in zehn oder zwanzig Jahren
wieder hinein. Und schreiben Sie uns, womit wir falsch oder
richtig gelegen haben. Falls es dann in ihrem New New Normal dann noch so etwas wie gedruckte Magazine, E-Paper und
E-Mail gibt.
Angela Heider-Willms verantwortet die Berichterstattung zu den Themen Transformation, Change Managemment und Leadership. Zudem beschäftigt sie sich schwerpunktmäßig mit HR-Technologie und Diversity.