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„Die Frau ist schussfest!“

Ursula von der Leyen im Flugzeug
Von der Hardthöhe nach Brüssel: Ursula von der Leyen wird EU-Chefin. Foto © Bundeswehr/Jane Hannemann

Anfang Juli sprang sie aus Macrons Hut, zwei Wochen später geht es für Ursula von der Leyen von der Hardthöhe nach Brüssel, an die Spitze der EU-Kommission. 27 Staats- und Regierungschefs und die Mehrheit der 751 Europa-Abgeordneten im Parlament konnte sie von sich überzeugen. Doch ist sie die richtige Wahl? Wir haben mit Jörg Kasten, Chairman der internationalen Personalberatung Boyden, über Frau von der Leyens Eignung aus Headhunter-Sicht gesprochen.

Personalwirtschaft: Herr Kasten, als Headhunter schauen Sie zunächst auf den Lebenslauf der Kandidatin. Passt der CV von Frau von der Leyen zum Job an der Kommissionsspitze?

Jörg Kasten, Chairman der internationalen Personalberatung Boyden.
Jörg Kasten ist Chairman der internationalen Personalberatung Boyden. Foto © Gerald Berliner

Kasten: Ohne sie persönlich zu kennen, gibt ihr Lebenslauf für die Position jedenfalls einiges her: Sie ist international geprägt, kennt Brüssel, spricht die drei Verkehrssprachen der EU fließend, hat viel politische Erfahrung und selbst länger im Ausland gelebt. Das verleiht ihr eine gewisse Breite für die Position.

Apropos Breite: Schaut man auf ihre Ausbildungsjahre, hat sie zunächst ein wenig mäandert. Wie werten Sie das?

Das ist ein Phänomen, das Sie bei schlauen Leuten häufiger erleben: Die haben viele Begabungen, da dauert es manchmal etwas, bis man sich für einen Weg entschieden hat. Frau von der Leyen hat zunächst Archäologie, dann VWL studiert, war eine Zeit an der London School of Economics und hat erst Anfang der 1980er-Jahre konsequent und erfolgreich auf die Medizin gesetzt. Das kann man als Personalberater positiv sehen – sie hatte breite Interessen – oder man könnte ihr unterstellen, dass sie nicht recht wusste, was sie wollte. Aber das Gesamtpaket Ausbildung betreffend, kann man sicher sagen:

Sie ist schlau, analytisch und bringt eine Menge mit.

Bleibt dieser Eindruck bestehen, wenn Sie ihre Laufbahn der vergangenen 20 Jahre mit politisch unabhängigem Blick besehen?

Ja. Man darf nicht vergessen: Frau von der Leyen ist sechzig Jahre alt, und hat in einer Zeit Karriere gemacht, als es keine Quote oder Diversity-Kodizes gab. Im männlich dominierten Politikbetrieb hat sie sich auf beeindruckende Weise durchgesetzt und ganz nebenbei noch sieben Kinder großgezogen. Seit 2003 hält sie verschiedene Ministerämter, ist seit sechs Jahren – auch hier als erste Frau – Verteidigungsministerin. Keines ihrer Ämter war vergnügungssteuerpflichtig, das Verteidigungsressort erst recht nicht. Fakt ist: Sie hat ihre Stationen gestanden, auch gegen Widerstände.

Nicht zuletzt die Zeit im Verteidigungsministerium ist aber nicht skandalfrei und spurlos an ihr vorübergegangen.

Sie werden kaum jemanden finden, der uneingeschränkt gefeiert wird, auch nicht unter CEOs: Im einen Jahr als „Manager des Jahres“ gefeiert, wird man kurz darauf abserviert – man schaue aktuell auf BMW. Natürlich hat Frau von der Leyen als Ministerin nicht immer klug gehandelt und auch nicht immer klug kommuniziert. Klar ist aber, bei allen Skandalen und Skandälchen: Sie hat ein sehr schwieriges Ressort durch eine harte Zeit geführt. Da sind schon ganz andere dran gescheitert. Die Frau ist schussfest!

Unter dem Strich also ein klares Votum für Frau von der Leyen als Kommissionschefin? 

Hätte man mich unabhängig von den Spitzenkandidaten gebeten, mir Gedanken um den Posten zu machen: Auf meiner Shortlist für das Amt wäre Frau von der Leyen sehr weit oben gelandet. Sie ist international aufgestellt, extrem erfahren im Politikbetrieb, sehr durchsetzungsstark, kann Strippen ziehen und harte Entscheidungen treffen. Und, ganz wichtig: Sie will nicht von allen geliebt werden. Trotzdem ist sie kompromissfähig und als Person unabhängig. Nicht zuletzt ist sie die erste Frau im Amt. Das Paket stimmt, um als Kommissionspräsidentin erfolgreich zu sein.