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Jenseits von New Work

Portrait Ayad Al-Ani.
Prof. Dr. Dr. Ayad Al-Ani ist Organisationsforscher, Autor und Berater. Er ist assoziiertes Mitglied am Einstein Zentrum Digitale Zukunft, Berlin. Foto: Norman Posselt

Das ursprünglich von dem Philosophen Frithjof Bergmann entwickelte Konzept von „New Work“ basiert auf der Erkenntnis, dass traditionelle Arbeitsweisen durch Automatisierung und Digitalisierung immer obsoleter würden: zu langsam, zu wenig innovativ und zu wenig an Talenten und Motivationen der Mitarbeiter orientiert. Heute ist New Work zu einem mächtigen „Management-Fad“ mutiert – zu einem Trend –, und dies führte zu einer gewissen Sinnentleerung des ursprünglich recht revolutionären Ansinnens. Bei breit angewandten Konzepten entsteht oft der Gedanke, dass man alles ändern muss, damit alles so bleibt, wie es ist. Gerade in der gegenwärtigen Transformation lenkt diese Vorstellung von den eigentlichen Herausforderungen ab: Diese sind wohl zu groß, als dass ein Appell an Mitarbeiter und Führung, jetzt endlich innovativ zu sein und dadurch die Blockaden der Organisation zu überwinden, ausreichen wird.

Zumal das Phänomen der Digitalisierung schwer zu packen ist: Nicht die gesamte Organisation ist davon sofort betroffen, und die Auswirkungen auf die Mitarbeiter sind oftmals unklar: In welchem Ausmaß wird der Roboter menschliche Arbeit substituieren beziehungsweise der Algorithmus menschliche Entscheidungen ersetzen? Wann, in welchen Prozessphasen oder Unternehmensbereichen? Deshalb erscheinen an dieser Stelle die Entwicklung technikbasierter Personalstrategien und die Umsetzung neuer Arbeitsmärkte essenziell. Es gilt zu überlegen, welche Auswirkungen Technologien wie Machine Learning, Blockchain und Virtual Twins sowie neue Geschäftsmodelle auf die Prozesse haben werden, welche Mitarbeiterrollen wann, in welchem Ausmaß und mit welcher Wahrscheinlichkeit betroffen sind.

Bei aller Kontingenz liefern derartige Betrachtungen doch ein Bild davon, welche Skills notwendig sind und welche wegfallen werden. Nur wenn solche Szenarien entstehen, haben HR und Mitarbeiter genügend Zeit, Anpassungsstrategien zu entwickeln und sich vorzubereiten: „Up-Skilling“ im Sinne des Erlernens neuer beziehungsweise des „Freilegens“ vorhandener anspruchsvollerer Fähigkeiten bedarf ebenso gewisser Zeit wie das „Second-Skilling“: das Erlernen ganz neuer Tätigkeiten, die manchmal kaum mit der bisherigen Biografie zu tun haben müssen. Sehr wohl aber mit bisher nicht genutzten Begabungen oder Motivationen.

Eine nicht minder große Herausforderung stellt der nächste Schritt dar: Es gilt, die so befähigten Mitarbeiter an die richtige Stelle in der Organisation zu bringen. Große Unternehmen verfügen heute schon über interne Stellenmärkte, die eine solche Vermittlung ermöglichen. Allerdings ist die Nachfrage häufig zu gering, um über die normale Fluktuation hinaus Mitarbeiter zu vermitteln. Um daran etwas zu ändern, muss die Unternehmensführung Transformationsprozesse stärker als bisher an die internen Arbeitsmärkte ankoppeln und für Angebote öffnen, die für den Einzelnen vielleicht in völlig anderen Geschäftsfeldern liegen. Auf kleine und mittlere Betriebe kommt hier die Herausforderung zu, sich mit anderen Unternehmen zusammenzuschließen, um derartige Märkte aufzubauen. Neue Fähigkeiten können sie ebenfalls nur in Kooperationen entwickeln.

Für viele Unternehmen wird die Vermittlung neuer Aufgaben und Kompetenzen zu einer Schlüsselfähigkeit:

Automobilhersteller etwa werden ihr Geld nicht mehr nur mit der Produktion verdienen, sondern mit der Vermittlung von Mobilität. Viele Mitarbeiter werden dann nicht mehr in der ursprünglichen Rolle gebraucht, denn die Fahrzeuge werden von Robotern hergestellt. Die Unternehmen tun gut daran, die Entwicklung der Mitarbeiter hin zu sinnvollen Tätigkeiten innerhalb und außerhalb der Unternehmen zu begleiten – allein um den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu gewährleisten und die Nachfrage nach Produkten und Dienstleistungen stabil zu halten. Vielleicht wird die Arbeitszeit der Mitarbeiter im Unternehmen reduziert und eine zusätzliche Aufgabe außerhalb der Organisation übernommen? Dies war übrigens die ursprüngliche Idee von „New Work“, bevor sie zum Fad wurde …

›› Dieser Beitrag ist zuerst in unserer ›April-Ausgabe erschienen. Ein Abonnement können Sie ›hier abschließen.