Der „War for Talent” ist laut und plump und zwanzig Jahre alt. Es wird Zeit für neue Metaphern im Personalmarketing. Es wird Zeit für die Liebe.
Vor zwanzig Jahren hat uns Steve Hankin den Krieg gebracht. Es ist ein Krieg, der weder knallt noch raucht, ein Krieg ohne Tote und Ruinen. Steve Hankins Krieg ist ein Krieg in bunten Lettern, ein Krieg in Seidenpapier. Hankin warf den ersten Stein, und bis heute werfen wir alle mit. Ganz so, wie Hankin es wollte.
Nun war Steve Hankin kein irrer Autokrat mit zittrigem Finger am roten Knopf. Auch fanden sich an seinem gut sitzenden Anzug keine goldenen Sterne, die ihn der Generalität zugehörig gemacht hätten. Nein, Steve Hankin war schlicht ein McKinsey-Berater mit einer Idee. Gemeinsam mit Kollegen hatte er – deutlich klarer als andere zuvor – die Veränderung des Jobmarkts hin zu einem Bewerbermarkt herausgearbeitet: Es stehe ein „War for Talent” an, ein martialischer Kampf um die besten Köpfe also. Auge um Auge, Zahn um Zahn.
Zugegeben: Es ist eine wahnsinnig griffige Metapher. So griffig, dass sie noch heute in jedem dritten Kommentar zu den Themen Recruiting und Talent Management verwurstet wird, ob in Studien, auf Podien, in Blogs oder Zeitschriften (ja, immer mal wieder auch in dieser). Der „War for Talent” ist der ideale Hebel, um Unternehmen die unmittelbare Dringlichkeit zu verdeutlichen, jetzt diese oder jene Software, Beratung oder sonstige Dienstleistung zu kaufen – wenn nicht, so die Suggestion, kann der nächste gegnerische Angriff vernichtend sein.
Dass Hankins Wendung bis heute so häufig genutzt wird, lässt nur zwei Folgerungen zu: Entweder funktioniert sie teuflisch gut oder an die sprachbildnerische Kreativität des Urhebers kommt einfach keiner ran. Vermutlich ist beides wahr. Doch leider schlägt die Metapher fehl. Denn während es im Krieg tatsächlich darum geht, zu siegen, indem man den Gegner ausschaltet – ein aggressiver, auf Vernichtung oder Kapitulation gerichteter Vorgang –, dreht es sich bei der Gewinnung und Bindung von Talenten viel- mehr darum, sich selbst in Augenschein zu nehmen, eigene Stärken herauszuarbeiten und diese klug zu kommunizieren; und schließlich darum, schlicht ein guter Arbeitgeber zu sein. Das geht nur, indem man sich – ein zunächst introspektiver und im Ganzen sehr friedfertiger Prozess – um seine aktuellen und potenziellen Mitarbeiter kümmert. Es ist ein Werben mit guten Argumenten, zu dem sportliche Metaphern à la „Der Bessere möge gewinnen” viel eher passen als kriegerische.
„Stell dir vor, es ist Krieg und niemand geht hin” war einer der Leitsätze der Friedensbewegung der 1980er-Jahre. Heute gilt der Umkehrschluss: Stell dir vor, es ist gar kein Krieg – aber alle flüchten in den Bunker. Es wird Zeit, dass wir dort wieder raus- kommen. Die Kriegsterminologie sollten wir den britischen Revolverblättern zu Fußball-WM und -EM-Zeiten überlassen. In unseren schicken Büros vom Krieg zu klimpern, ist Zeichen unserer feisten, saturierten Verachtung der europäischen Geschichte und unserer Unkenntnis der Welt da draußen. Siebzig Jahre Wachstum und Frieden haben uns weißere Zähne, größere Autos und jede Menge Hochmut beschert. Und doch sind und bleiben wir nichts als die fetten Maden im Speck der Welt. Entsprechend täten wir gut daran, unsere Sprache zu mäßigen.
Mehr Waffen, mehr Krieg, mehr Angst braucht keiner. Was wir brauchen, ist mehr Gemeinsinn, mehr Miteinander, mehr Zutrauen. „Love out loud” lautete im Mai das Motto der digitalen Vordenkerkonferenz Republica – mehr Liebe! Sich die Liebe zu trauen und seine Zuneigung zu gestehen, das ist mutiger als jede Kriegserklärung. „Love out loud” – das könnte doch der Slogan für die Personalgewinnung der nächsten zwanzig Jahre werden. Das Tolle an der Liebe ist ja: Vom kurzen Flirren bis zur ewigen Treue ist alles möglich. Kommandeur Hankin jedenfalls gehört mit sofortiger Wirkung in den Ruhestand versetzt.
Autor: Cliff Lehnen