Warum stellen sich viele Unternehmen der Herausforderung, ihrem wirtschaftlichen Tun einen „Purpose“ an die Seite zu stellen? Rein altruistische Gründe können es nicht sein. Eine Umfrage des Handelsblatts unter den Dax-30 zeigt: Sämtliche Großkonzerne glauben, dass ein erkennbarer Sinn ihres Handelns entscheidend für den künftigen wirtschaftlichen Erfolg ist.
Während einige Unternehmen – wie der Sportartikelhersteller Adidas – schon recht konkrete Vorstellungen davon haben, wohin die Reise gehen soll (O-Ton: „Through sport, we have the power to change lives.“), sind andere im wahrsten Sinne des Wortes noch auf der Sinnsuche. Henkel etwa bleibt maximal diffus und will lediglich „nachhaltige Werte schaffen, für Kunden, Konsumenten, Mitarbeiter, Aktionäre und Gesellschaft“. Ebenso vage klingt es beim jüngsten Dax-Konzern Covestro – „to make the world a better place“. Alles soll eben ein bisschen bunter und lebenswerter werden. Was das konkret mit einem Kunststoffhersteller zu tun haben soll, ist unklar. Generell: Gesellschaftliche Verantwortung, Wertgemeinschaft, Nachhaltigkeit – fast alle Dax-30-Schwergewichte bedienen sich bei der Handelsblatt-Umfrage dieser drei Schlagworte.
Der Versuch, einen Sinn im eigenen Tun zu finden, der jenseits des wirtschaftlichen Erfolgs liegt, mag ehrenvoll sein. Doch allzu oft verkommt dieser „Purpose“ zur hohlen Phrase. Davon wussten unlängst auch die Teilnehmer unseres Round Tables zum Thema Change Management zu berichten. Es bestehe, so der Tenor, die Gefahr, dass der Terminus zu einem reinen Marketingbegriff verkommt. „Ich habe bisher kaum einen Unternehmenspurpose gesehen, der die Menschen wirklich erreicht und mitgenommen hat“, kritisierte etwa Max Leichner, Senior Change Manager bei Kraus & Partner. Stefan Penning. Geschäftsführer von Penning Consulting, findet eine Anwendung des Begriffs durch HR oder Marketingagenturen sogar „etwas gruselig“.
Sicher, es gibt viele Beispiele, wie „Purpose“ mit Leben zu füllen ist. Adidas etwa gibt seinen Mitarbeitern die Möglichkeit, ehrenamtliche Tätigkeiten zu übernehmen, um sozial benachteiligten Kindern die Teilnahme an Sportprogrammen zu ermöglichen (wobei der Konzern gerade seine maschinelle Schuhproduktion in „Speedfactorys“ von Deutschland nach Asien verlegt – andere Geschichte). Dass man so nebenbei sein Image als Arbeitgeber aufpoliert, ist legitim. Schließlich ist laut einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung Deloitte für die begehrten Millenials der „Purpose“ eines Arbeitgebers wichtiger als das, was auf der Gehaltsabrechnung steht. Das Wirtschaftsmagazin Forbes hat 2018 postuliert, dass sich Purpose-getriebene Unternehmen schneller als andere entwickeln.
Die Gefahr bei der unternehmerischen Sinnsuche ist, übers Ziel hinauszuschießen. Ein Energiekonzern wie RWE, der sich „Zukunft. Sicher. Machen.“ auf die Purpose-Fahnen geschrieben hat, macht sich möglicherweise sogar lächerlich – Anti-Kohle-Aktivisten, die unter den potenziellen Arbeitnehmern (oder Kunden) sind, könnten sich angesichts dieses Slogans verschaukelt fühlen.
Vielleicht wäre einfach ein bisschen mehr Ehrlichkeit und Realismus bei der Verwendung des Purpose-Begriffs von Vorteil. Ein Konzern ist schließlich kein Wohlfahrtsunternehmen, sondern existiert in erster Linie, um Profit zu erwirtschaften. Wer sich einen „Pseudo-Purpose“ verordnet, weiterhin aber in erster Linie die Ziele Umsatzsteigerung und Kostenreduzierung verfolgt, begeht Selbstbetrug. Besser wäre es, die Sinnsuche mit realistischen Zielen zu verbinden und sein Purpose-Heil im Kleinen zu suchen. Das wäre etwa auch für KMU umsetzbar, an denen der Purpose-Hype bislang größtenteils vorbeigegangen ist: Sie könnten beispielsweise auf lokaler Ebene das soziale Engagement ihrer Mitarbeiter fördern – und sei es nur, indem die Führungsetage gemeinsam mit der Belegschaft bei den Tafeln aushilft. Hier ist weniger mehr – als Weltenretter taugen die meisten Unternehmen nämlich nicht.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.