Zur Sache: Die Deutsche Post macht die Entfristung von Arbeitsverträgen offenbar von der Krankheitsdauer ihrer Mitarbeiter abhängig. Diese dürfen in zwei Jahren nicht häufiger als sechsmal krank gewesen sein beziehungsweise nicht mehr als 20 Krankheits- tage angehäuft haben. Die Empörung bei Gewerkschaften und Politikern jeder Couleur ist groß, „menschenverachtend“ und sittenwidrig sei das, was die Post mit ihren Mitarbeitern mache. Bundesfinanzminister Olaf Scholz plusterte sich unlängst bei Anne Will auf und polterte, dass es nicht akzeptabel sei, „dass innerhalb der Post als Konzern mit indirekter Beteiligung des Bundes Arbeitnehmer, wenn sie zu oft krank sind oder zu langsam arbeiten, Probleme mit unbefristeten Arbeitsverträgen bekommen“. Zudem war er sich nicht zu schade, damit zu drohen, dass der Aufsichtsrat auf das Entfristungsreglement der Post reagieren wolle. Ausgerechnet Scholz als Vertreter des Bundes, wo schon immer die Prämisse galt: Verbeamtung nur für Gesunde.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) hält jedenfalls nichts von der Kritik an der Linie der Post: „Die Praxis der Post entspricht vollständig Recht und Gesetz.“ Der BDA bezeichnet es als befremdlich, wenn ausgerechnet der Staat auf eine weniger harte Einstellungspraxis dränge. Denn er selber übernehme nur „nachweislich gesundheitlich geeignete Bewerber“ in das Beamtenverhältnis.
Der eigentliche Skandal ist nämlich nicht die Entfristungspraxis der Post, sondern die Verlogenheit der jetzt angestoßenen Debatte. Dass Unternehmen Mitarbeiter nicht langfristig an sich binden wollen, wenn diese den Anforderungen ihres Jobs nicht gerecht werden, ist nur folgerichtig. Und auch rechtlich nicht zu beanstanden: Ein befristeter Arbeitsvertrag ist grundsätzlich der gesetzliche Regelfall von Arbeitsverhältnissen. Es ist ja nicht so, dass der gelbe Riese seine Mitarbeiter willkürlich entlässt. Es gibt klare Vorgaben, die die Zusteller erfüllen müssen. Sehr wahrscheinlich, dass es in anderen Unternehmen und Branchen ähnliche Regelungen und Absprachen gibt. Was wäre beispielsweise, ginge es nicht um Brief- und Paketzusteller, sondern um Fluglotsen, Zugführer oder Piloten, von deren Dienstfähigkeit Menschenleben abhängen können? Hier würde die Debatte wahrscheinlich in die entgegengesetzte Richtung laufen, Tenor: Wer hier nicht genau hinsieht und seine Mitarbeiter auf den Prüfstand stellt, handelt fahrlässig!
Sicher, die Ansprüche an die Zusteller sind größer geworden. Immer mehr Angestellte beschweren sich darüber, dass die Touren nicht zu bewältigen seien, die Bezahlung trotz gleicher Arbeit unterschiedlich ausfalle und noch vieles mehr. Die Post selbst argumentiert dagegen, dass alle Brief- und Paketzustellbezirke regelmäßig überprüft würden und so bemessen seien, dass sie innerhalb der gegebenen Arbeitszeit bewältigt werden können. Unbenommen, welche Seite recht hat, erklärt sich dadurch nicht eine hohe Zahl an Krankheitstagen, wegen der einem Postangestellten die Entfristung verwehrt wird.
Lassen wir doch noch einmal Zahlen sprechen. Laut einem Bericht der „Bild am Sonntag“ hat jeder fünfte Brief- und Paketzusteller einen befristeten Arbeitsvertrag. So beschäftigte die Post Ende 2017 insgesamt 14 780 befristet eingestellte Kräfte. Hinzu kämen 10 335 nicht ständig befristet Beschäftigte und sogenannte Abrufkräfte. Umgekehrt gilt allerdings auch: Vier von fünf Zustellern sind unbefristet beschäftigt. Keine schlechte Quote. Allein im vergangenen Jahr wurden 9000 befristete Arbeitsplätze in unbefristete umgewandelt, zumal hat die Post nach eigenen Angaben in diesem Jahr bereits 2500 unbefristete Jobs neu geschaffen.
Am Ende bleibt von der unseligen Debatte nur der Theaterdonner, den empörte Gewerkschafter und Politiker entfacht haben. Und die Erkenntnis, dass es nicht schadet, einmal genauer hinzuschauen, wenn sich Politiker über scheinbare Missstände empören.
Sven Frost betreut das Thema HR-Tech, zu dem unter anderem die Bereiche Digitalisierung, HR-Software, Zeit und Zutritt, SAP und Outsourcing gehören. Zudem schreibt er über Arbeitsrecht und Regulatorik und verantwortet die redaktionelle Planung verschiedener Sonderpublikationen der Personalwirtschaft.