Polizisten, Lehrer und Jobcenter-Mitarbeiter müssen viel einstecken können. Mal lautet der Vorwurf, dass sie ihren Job nicht machen („Faule Säcke!“), mal lautet er, dass sie ihn machen („Habt ihr nichts Besseres zu tun als hier zu blitzen?!“). Meist dreschen die Deutschen im übertragenen Sinne auf ihre Beamten ein. Doch manchmal werden Staatsdiener ganz konkret Opfer von körperlichen Angriffen, von alkoholisierten Straftätern, aggressiven Schülern oder von frustrierten Antragsstellern. Dabei ist Gewalt am Arbeitsplatz ein Problem, das überall vorkommt – und zunimmt, folgt man den Aussagen einiger Berufsverbände.
Die Bundesregierung hat daher eine Gesetzesreform auf den Weg gebracht, die härtere Sanktionen für Angriffe auf Polizisten wie auf Rettungskräfte und Feuerwehrleute vorsieht. Für tätliche Übergriffe sollen künftig bis zu fünf Jahre Haft drohen. Auch andere Berufsgruppen wünschen sich einen besseren Schutz vor Gewalt bei der Arbeit. So forderte etwa der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, die Politik vor einem Monat auf, Ärzte besser vor der zunehmenden Aggressivität von Patienten zu schützen.
Zwar gibt es Risikogruppen, die deutlich öfter Opfer von Angriffen werden. Zu ihnen gehören Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Vollstreckungsbeamte, Sozialarbeiter, Beschäftigte in der Personenbeförderung und Servicepersonal mit Kundenkontakt. Doch auch in anderen Bereichen sind Gewalterfahrungen weit verbreitet. Was einem klar wird, wenn man den Blick von körperlichen Attacken und Vandalismus auf die vielen weiteren Formen aggressiven Sozialverhaltens ausweitet: Beleidigungen, verbale Demütigungen, Drohungen, Mobbing. Solch in erster Linie seelische Gewalt tritt um ein Vielfaches häufiger auf als körperliche.
Leider fehlt für psychische Verletzungen oft noch das nötige Bewusstsein, wie das prominente Beispiel von Borussia Dortmund zeigt: Als im April ein Bombenanschlag auf die Fußballprofis verübt wurde und der Spieler Marc Bartra eine Verletzung am Arm erlitt, war er der Einzige aus dem Kreise der Mannschaft, der ins Krankenhaus kam. Alle anderen psychisch traumatisierten Spieler standen am nächsten Tag wieder auf dem Platz. The show must go on. Auch wenn es jedem Spieler freigestellt war, selbst zu entscheiden, ob er antreten möchte oder nicht, zeigt dies einen fahrlässigen Umgang der Vereinsverantwortlichen mit ihren von der Situation überforderten Mitarbeitern.
Der aktionistische Ruf nach schärferen Gesetzen ist in. Aber verhindert Abschreckung wirklich Gewalt? Zumal bei Gewalt am Arbeitsplatz die Gefahr nicht nur von Externen droht, sondern gleichfalls von Internen. Persönliche Demütigungen, Mobbing und sexuelle Belästigung finden sich in vielen Betrieben. Täter und Opfer sind in dem Fall Kollegen oder Vorgesetzte.
Wirksamer als nach der Tat die Täter möglichst drastisch zu bestrafen, ist Prävention. In Unternehmen äußert sie sich vor allem in der Wertschätzung der Mitarbeiter. Das bedeutet Schutz, damit nichts passiert, und Fürsorge und Beistand, wenn doch etwas passiert ist.
Wer nach innen und außen wertschätzend agiert, verringert die vielen kleinen seelischen Verletzungen, aus denen Aggressionen entstehen können. Bei Mitarbeitern, Führungskräften und Kunden, die dann weniger schnell zum leichten Opfer beziehungsweise zum Täter werden. Eine anerkennende, gewaltfreie Kommunikation ist ein Schlüssel dazu. Ein anderer ist das Bewusstsein, Probleme wie Mobbing oder ein aggressives Klima im Betrieb zu erkennen und anzugehen.
Dokumentiert ein Unternehmen die Wertschätzung, die seine Mitarbeiter verdienen, darüber hinaus nach außen, trägt es dazu bei, dass ihnen mehr Respekt entgegengebracht wird und die Hemmschwelle für gewalttätiges Verhalten steigt.
Autor: Christoph Bertram