„Original und Fälschung“ hieß das Bilderrätsel einer wöchentlichen TVZeitung – Sie erinnern sich? Links war, sagen wir mal, van Gogh abgebildet, rechts auch, aber mit Ohr. Die Fehlerchen galt es zu finden, um die Fake-Kunst zu entlarven. Manchmal erinnern mich die Umbrüche unserer Arbeitswelt an das Bilderrätsel: Finde die Fehler! Und zwar, ernsthaft jetzt, nicht nur beim Mitarbeiter, sondern ebenso im Topmanagement. Gut, manchmal besteht im digitalen Wandel das „Kompetenzteam“ aus mehr Nullen als Einsen. Aber der Fisch riecht auch oft vom Kopf.
Denken Sie an Führungskräfteseminare zur wertschätzenden Mitarbeiterführung. Die verpuffen oft schon auf dem Rückweg im Stau, wenn die Sekretärin angerufen und ohne „Guten Tag“ mit „Stau, Stau, hier ist überall Stau“ angeblafft wird, als wäre ihre Einstellungsvoraussetzung ein drittes Auge auf der Stirn oder übernatürliche Fähigkeiten gewesen. Da kollidieren Anspruch und Wirklichkeit, Original und Fälschung. Und Hand aufs Herz: Wie oft werden Seminare danach belegt, ob sie günstig in die eigene Terminplanung passen? Notfalls geht man dann auch mal Bäume umarmen oder den Mond anheulen; dem modernen Manager wird das Höchste abverlangt von Coaches, die zum Teil auf die Couch gehören. Couch-Coaches.
Lean und agil
Natürlich möchte der oder die Chef(in) „State of the Art“ sein, notfalls auch „lean und agil“; die anderen machen es ja auch. Erschreckend allerdings, wie rasch man sich da selbst überflüssig machen kann. Und ist dieses „Lean und Agil“ wirklich so großartig? Ich habe lange in einem Großunternehmen gearbeitet und Umbauten auf personeller wie architektonischer Ebene mitbekommen. Überforderte Mitarbeiter, die lieber weiter friedlich in der Herde grasen würden, statt Verantwortung zu übernehmen. Dazu Großraumbüros für den ständigen Kontakt. Arbeitsplätze mit riesigen Monitoren in aquariengleichen Glaskästen. Ein Albtraum Orwell’schen Ausmaßes, indem nur noch dem Obersten auf dem Felsen Rückzugsraum gewährt wird.
Theorie und Praxis
Ähnlich verhält es sich mit „Maßnahmen“ die von der obersten Führungsebene ausgerufen werden. Meist geht dem ein offener Brief voraus, in dem die Begriffe „Herausforderungen“, „Strategien“ und „globale Märkte“ inflationär vertreten sind. Darauf folgt der löbliche Ansatz, dass man nun auf die verborgenen Kompetenzen jedes einzelnen Mitarbeiters zurückgreifen wolle, um in einer „gemeinsamen Anstrengung“ den vielbesungenen Karren nicht nur aus dem Dreck zu ziehen, sondern auf die Überholspur zu setzen.
Und ich habe das sogar mal geglaubt. Bis meine in Wochenendarbeit fertiggestellten Entwürfe in der Borniertheit unmittelbarer Vorgesetzter versandeten. Im zweiten Anlauf schließlich wurden meine Ideen zwar präsentiert, aber leider nicht unter meinem Namen. Andere Arbeiten, die ich befähigt durch meine verborgenen Kompetenzen anfertigte, wurden weder vergütet noch im Zeugnis erwähnt – da ich sie laut meiner Stellenbeschreibung oder fehlender Qualifikationen nicht hätte machen dürfen.
Eins habe ich gelernt: Dem Weckruf nach den „unerkannten Talenten und Kompetenzen“ von „ganz oben“ folgt reflexhaft der Warnruf vor „fehlenden Qualifikationen“ des unteren Managements. Und deshalb wird eine Idee erst schön, wenn sie der Richtige hat. Ich glaube, dass viele Veränderungen zur Chefsache erklärt und auch in ihrer Umsetzung vom Chef überprüft werden müssen. Sonst gerinnen viele gute Absichten zur Farce.
Es sind die Nuancen, die kleinen Fehler in der Umsetzung, die das Kunstwerk unserer Arbeitswelt zerstören können. Anders gesagt: Original und Fälschung.