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Das Schiff sinkt vom Kopf

HR-Werstatt-Wand
Unsere „HR-Werkstattwand“ wurde zum inoffiziellen Kummerkasten der Messe „Zukunft Personal Europe“: 138 Personalmanager hinterließen ihre Praxisfragen.

Seit Anfang des Jahres laden wir in der Online-Serie „HR-Werkstatt“ Personalmanager ein, uns Fragen und kritische Hinweise aus ihrem Arbeitsalltag zu senden; wir vermitteln daraufhin Experten aus Wissenschaft, Beratung und Praxis, die sich der Themen unserer Nutzer annehmen. Über 20 Ausgaben der HR-Werkstatt sind auf diese Weise bereits entstanden, weitere folgen. Die Beliebtheit der Serie bei den Nutzern war Grund genug, an unserem Stand bei der dreitägigen Messe „Zukunft Personal Europe“ im September in Köln eine HR-Werkstattwand aufzubauen. Dort konnten die Standbesucher aktuelle Probleme anpinnen, die nach einer baldigen Lösung trachten.

So verging ein geschäftiger erster Tag auf der Messe, mit vielen interessanten Kontakten und Gesprächen – doch die Werkstattwand blieb weitgehend ungenutzt. Man konnte den Besuchern geradezu ihre Unsicherheit anmerken, sich mit vermeintlichen „Problemthemen“ zu exponieren. Als an Tag zwei dann einige Zettel geklebt waren, wendete sich das Blatt radikal: Plötzlich kamen immer mehr Kommentare hinzu, bis kaum noch Platz auf der Wand blieb. Am Ende waren es 138 HR-Profis, die uns ihre quer durch die Profession reichenden Fragen hinterließen. Unser Auftrag nun: zu den wichtigsten diejenigen Experten finden, die kundige Antworten geben können.

Vorab geben wir an dieser Stelle Einblick in die Themenstruktur. Dazu haben wir die eingereichten Problemstellungen in übergeordnete Blöcke geclustert (siehe Grafik). Das Spannende daran: Die Teilnehmer waren nicht durch vorgegebene Antwortoptionen oder -kategorien gelenkt, sondern eingeladen, die Themen frei aus ihrer Praxis zu assoziieren.

Diagramm
Was bewegt Personalverantwortliche aktuell? Die Auswertung unserer „HR-Werkstattwand“ zeigt, dass es vor allem beim Recruiting hakt.

Zu inhaltlichen Blöcken zusammengefasst, zeigen sich in den Antworten zunächst drei Komplexe, mit denen jeder Personaler heute konfrontiert ist: gute Leute zu gewinnen (Recruiting: 27 Nennungen), sie zu binden und zu entwickeln (Mitarbeiterbindung/-motivation: 11; Weiterbildung/Personalentwicklung: 8; Entwicklung Ü45: 5) und währenddessen, mehr denn je, Transformation in verschiedenen Ausprägungen zu managen (Kultur/Kommunikation: 18; Change/Transformation: 11; Leadership: 8). Dass diese heute wohl jede HR-Abteilung beschäftigenden Themen weit oben landen würden, war zu erwarten.

Was uns indes in der Auswertung wunderte: die in HR immer noch sehr virulente Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle. Denn die zweitmeisten Anmerkungen haben mit der Positionierung und dem Standing von HR zu tun. 24 Nennungen fallen in diesen Bereich (hinzu kommen zehn weitere, die sich explizit mit HR-Digitalisierung und -Prozessen plagen). Deutlich wird damit, dass Personaler – trotz der seit 20 Jahren proklamierten Wandlung von HR zum Gestalter – mit ihrer Rolle kämpfen, dass sie Probleme mit der Positionierung Richtung Geschäftsführung und Business haben.

Es knirscht also immer noch zwischen HR und dem Rest der Organisation. Doch die Problemlage verändert sich offenbar, jedenfalls aus Sicht der Personaler. Mag HR vielfach noch den Ruf des Bremsers in einer Welt haben, die mehr denn je nach Machbarkeit und Tempo strebt, zeigt sich in den Werkstattfragen ein entgegengesetztes Bild: Zahlreiche Personaler beklagen, dass ihnen Veränderungen nicht schnell genug gingen und dass es insbesondere die Unternehmensleitung sei, die im Wege stehe. Beispiele gefällig? „Wie überzeugen wir die Geschäftsführung von der Notwendigkeit einer Kulturveränderung?“; „HR-Digitalisierung ist überfällig – das Management will das aber nicht hören“; „Wir müssen mehr in Recruiting und Arbeitgebermarke investieren. Wie überzeuge ich die Chefs?“.

Fragen wie diese bilden eine lange Liste, die nahelegt: Zumindest in der Selbstwahrnehmung ist HR nicht immer der schwergängige Verwaltungsapparat, als der es gilt. Die mächtigsten Veränderungsverhinderer und Das-habenwir-immer-schon-so-gemacht-Sager sitzen demzufolge gerade nicht in HR, auch nicht im so oft kritisierten Mittelmanagement oder in der gern gescholtenen Mitarbeiterschaft. Sie sitzen im Chefsessel.

› Dieser Beitrag ist in unserer November-Ausgabe 2019 erschienen. Ein Abo können Sie in unserem Shop abschließen.

Cliff Lehnen ist Chefredakteur der Personalwirtschaft und unter anderem spezialisiert auf die Themen Organisationsentwicklung, Unternehmenskultur, Innovations- und Veränderungsmanagement.