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Anders Indset: „Kniebeugen für die Rübe“

Anders Indset auf der Bühne; Bild: privat
Rock ’n‘ Roll für die Neuronen: Anders Indset auf der Bühne; Bild: privat

Personalwirtschaft: Herr Indset, momentan ist in der Arbeitswelt oft von „New Work“ die Rede. Sie blicken nicht nur durch die Brille des Unternehmers auf die Welt, sondern auch aus der Perspektive der Philosophie. Wie wird Ihrer Meinung nach die „neue Arbeit“ aussehen?
Anders Indset:
Die Arbeitswelt, so wie wir sie heute kennen, wird sich im Laufe der nächsten zehn Jahre radikal verändern. Die rasante Entwicklung von exponentiellen Technologien stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Wir stehen heute vor der Frage, welche Arbeitswelt für uns zukünftig erstrebenswert ist und welche Zukunft wir gestalten möchten. Denn noch können wir das entscheiden. Die Arbeitswelt in der zukünftigen „Gig-Economy“ und „Projektgesellschaft“ wird interdisziplinär, kreativ und geprägt von Co-Creation und Kollaboration sein. Ganz neue Skills sind von uns gefragt.

Wie erleben Sie die Rolle des HR-Bereichs in dieser Veränderung?
HR hat die Chance und das Potenzial, einen umfassenden Wandel unserer Arbeitswelt einzuleiten. Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass wir HR völlig neu denken und die verkrusteten Strukturen aufbrechen. „Humankapital“ hat ausgedient – wenn es um effizienten Ressourceneinsatz geht, können wir schon jetzt mit Technologie und Maschinen nicht mithalten. Wir müssen uns stattdessen darauf fokussieren, Strukturen zu schaffen, in denen Mensch und Maschine gewissermaßen Hand in Hand arbeiten. Der Personalbereich kann aus meiner Sicht diesen Wandel einleiten und auch ihr Treiber sein. In anderen Worten: HR muss zum Kernbereich in allen Unternehmen werden.

„HR neu denken“ klingt gut. Aber wie?
Zunächst einmal, indem wir aus dem ursprünglichen Zusammenleben lernen, wie es im alten Griechenland in der Agora 2.500 vor Christus war. Es wird Zeit, dass wir das „R“ in Human Resources ersetzen – mit Reasoning, Rhetoric, Recognition und Relationship. Heute geht es um Beziehungen, um ein höheres Bewusstsein, um Aufmerksamkeit und um Anerkennung. Und wir haben verlernt, richtig zu kommunizieren. Es geht heute mehr denn je darum, Menschen emotional und auch intellektuell mitzunehmen. Dafür brauchen wir Kommunikationstraining, wir müssen unseren Ethos, Pathos und Logos beherrschen. Darüber hinaus ist es wesentlich, ein Warum zu haben, einen Purpose. Sinnhaftigkeit und Nachhaltigkeit sind heute Musskriterien für alle Unternehmen.

Wir brauchen eine Gesellschaft des Verstandes. – Anders Indset

Noch einmal zum Begriff „New Work“: Greift der nicht zu kurz? Arbeit ist schließlich ein großer, integraler Bestandteil unseres Lebens. Brauchen wir nicht vielmehr „New Life“, also neue Wege, unser Leben zu gestalten – jenseits des reinen Broterwerbs oder eines (Arbeits-)Lebens im Dauerstress?
Ich denke nicht, dass ein „New Life“ der richtige Ansatz ist. Aber ein Bewusstsein für das Leben, das wir führen, halte ich für essenziell. Wir brauchen eine Bewusstseinsrevolution. Wir beschäftigen uns heute viel zu wenig mit uns selbst, kennen uns selbst nicht, und wissen nicht, was wir wirklich wollen. Work-Life-Balance ist nicht der richtige Fokus. Wir brauchen vielmehr eine Life-Life-Balance. Jeder hat einen deutlich größeren Gestaltungsspielraum, als man ihm heute zumutet. Die Verantwortung, „New Work“ zu gestalten, liegt also bei jedem einzelnen. Ein Leben, Zwei Worte: Tu was!

Sie bemängeln in Ihren Vorträgen gern, dass Manager kleinteilig denken, zu selten die Vogelperspektive einnehmen. Was kann man daran konkret ändern, als Einzelner und als Organisation?
Die höchste Komplexität im 21. Jahrhundert ist die Simplifizierung. Um kleinteilig zu denken, brauchen wir ein hohes Verständnis. Wir treiben jetzt die Informations- beziehungsweise Desinformationsgesellschaft voran und hoffen, mit der neuen Technologie schnell eine sogenannte Wissensgesellschaft aufbauen zu können. Wissen heißt aber nicht automatisch verstehen. Was wir daher brauchen, ist eine Gesellschaft des Verstandes. Und das wiederum geht nur gemeinsam. Manager brauchen mindestens eine Denkstunde pro Woche, tiefe Kniebeugen für die Rübe. Aber auch einen deutlich stärkeren Fokus auf Dialog, Kollaboration und Co-Kreation.

Der Bundestag ist vollgestopft mit Bewahrern und Verwaltern, damit sind wir der Zukunft nicht gewachsen. – Anders Indset

Und wie erleben Sie die Manager und Politiker, denen Sie begegnen? Oft hat man ja den Eindruck, Wirtschaftslenker und Politiker sind alles andere als richtungsgebend, sondern eher ahnungslos in Bezug auf die Welt von morgen.
Unsere Politik tritt auf der Stelle. Statt zu agieren, leben wir nur noch im Reaktionsmodus. Geplant wird bestenfalls mit Vierjahresperspektive bis zur nächsten Wahl. Der Bundestag ist vollgestopft mit Bewahrern und Verwaltern, damit sind wir der Zukunft nicht gewachsen. Was wir stattdessen brauchen, sind Gestalter des Wandels. Wir brauchen „Rebellen“ unter den Top-Führungskräften, die die Bewusstseinsrevolution anstoßen, für eine Entwicklung hin zu einer bewussteren Gesellschaft der Partizipation und des Verstandes.  Für mich steht fest: Wenn du die Gesellschaft verstehen willst, musst du die Wirtschaft neu denken.

Welche Rolle spielt dabei die Technik? „Smarte“ Maschinen sind schließlich gerade dabei, die Arbeitswelt und die Unternehmen zu verändern.
Wir stehen vor einer regelrechten Intelligenzexplosion. Die Wirtschaft ist auf Geschichten aufgebaut – theoretisch ließe sich daher alles in Algorithmen überführen. Bereits in drei bis fünf Jahren werden wir den IQ von künstlicher Intelligenz messen können. Er wird dann wahrscheinlich vergleichbar mit dem eines durchschnittlichen Menschen (IQ 100) sein, doch bis 2030 ist aufgrund des Gesetzes der exponentiellen Beschleunigung gut ein IQ von 3200 bei einer Maschine möglich. Was das bedeutet, kann sich heute niemand vorstellen, dafür reicht unser „Affenhirn“ nicht aus. Wir müssen uns jetzt entscheiden, welche Rolle die Technologie in Zukunft spielen soll, denn noch haben wir die Kontrolle darüber.

Nun, und wozu brauchen wir in einer technisierten, hoch arbeitsteiligen Welt die Philosophie?
Weil wir ansonsten Gefahr laufen, alle unsere Autoritäten in Algorithmen zu verlagern und uns selbst überflüssig zu machen. Die größte Angst, und wovor wir tatsächlich Respekt haben sollten, ist Irrelevanz. Ich nenne das den „Homo obsoletus“ – ein starker zweiter Platz, aber überflüssig. Bevorstehende Herausforderungen sind alle global und schlussendlich kommen wir zurück zu alten traditionellen Fragen, mit denen sich Philosophen seit Jahrtausenden beschäftigen. Nicht nur die komplexen ethischen Fragestellungen und das Zusammenleben, sondern auch was wir als Mensch sind beziehungsweise was wir sein wollen. Wenn wir das organisierte Leben unserer Spezies noch ein, zwei Generationen beibehalten wollen, müssen wir uns jetzt mit diesen Herausforderungen auseinandersetzen.

Nur noch ein, zwei Generationen? Das klingt sehr skeptisch. Was liegt vor uns?
Uns stehen zwei existenzielle Herausforderungen bevor, die sowohl global als auch interdependent sind: Wir müssen den ökologischen Kollaps vermeiden und einen Weg finden, mit exponentiellen Technologien umzugehen. Um in den nächsten zehn Jahren die dafür nötigen Lösungen zu entwickeln, brauchen wir ein neues Wirtschaftsmodell und neue Formen des Arbeitens. HR kann hier so etwas wie ein Initialzünder für einen wirklichen Wandel sein.

Was sollte sich Ihrer Meinung nach jetzt unmittelbar in 2019 tun beziehungsweise ändern?
Wir müssen verstehen, dass „Zukunft“ ein Verb ist. Es ist das, was wir gemeinsam machen: Wir zukunften. Ab 2019 müssen wir damit anfangen, die Grundzüge einer neuen Wirtschaft zu entwerfen, die zugleich die Basis unseres künftigen Zusammenlebens sein wird. Hyperkonsumismus und unendliches Wachstum werden mit limitierten Ressourcen nicht funktionieren. Es gibt viele spannende Ansätze, wie wir unser neoklassisches, kapitalistisches System von Adam Smith weiterentwickeln können. In 2019 werden wir neue Geschäftsmodelle sehen und werden uns weiter in Richtung einer vollumfänglichen „Sharing Economy“ bewegen, in der wir alle Ressourcen „as a Service” nach dem Ausleihen zurück in eine echte zirkuläre Wirtschaft führen. Und die dabei trotzdem profitabel ist.

Was können wir von Ihnen im kommenden Jahr erwarten?
Mein Ziel ist es, im nächsten Jahr „eine Renaissance der europäischen Denker“ weiter voranzutreiben und auch weiter an neuen Bildungsmodellen zu arbeiten, sowohl für Kinder als auch im Bereich der Executive Education. Und Mitte März erscheint mein neues Buch (Quantenwirtschaft – Was kommt nach der Digitalisierung?, Econ Verlag, Anm. d. Red.). Ebenso erscheint noch in 2019 „Philosophy@Work“, das ich zusammen mit Thinkers50 herausgebe. Das Buch enthält 50 Reflektionen von den führenden Denkern der Welt – auch einige HRler sind darunter. Es wird ein sehr spannendes Jahr!


Zur Person:
Anders Indset (mit Sitz in Frankfurt) ist Wirtschaftsphilosoph, Gastlektor an internationalen Business Schools und vertrauter Sparringspartner für internationale CEOs und politische Führungskräfte. Der gebürtige Norweger rüttelt in seinen Publikationen und Keynotes mit provokanten Thesen und unkonventioneller Denkweise auf.

Hinweis: Weitere Köpfe, Geschichten und Impulse für 2019 finden Sie in der Januarausgabe der Personalwirtschaft (› jetzt bestellen).