Neulich erzählte mir eine Personalleiterin von einem selbstverständlich nicht namentlich genannten Angestellten. Master in International Business, Einser-Schnitt, zwei Praktika, eines davon im Ausland: Mit Handkuss vor zwei Jahren eingestellt, fügte sich super ein, weshalb er aktuell mit der Leitung eines Digitalisierungsprojektes betraut werden sollte. Er lehnte völlig überraschend ab: „Ich bin schon mit der eigentlichen Arbeit voll ausgelastet!“ Die Verantwortlichen in HR, Lenkungsausschuss und Fachabteilungen waren, gelinde gesagt, massiv befremdet.
Das Befremden steigerte sich, als eine Kollegin die Projektleitung übernahm: selbes Arbeitsfeld, selbe Qualifikation, selbe Arbeitsbelastung – aber sie übernimmt die Zusatzaufgabe, geht die Extrameile, gibt sich mit der „eigentlichen Arbeit“ nicht zufrieden. Sie macht das nicht, weil sie jemand unter Druck gesetzt hätte. Sie leistet gerne und gerne mehr als „eigentlich nötig“. Der Leiter des Lenkungsausschusses sarkastisch zur HR-Leiterin: „Warum haben wir nicht mehr von ihrer und weniger von seiner Sorte?“ Die Personalleiterin schlagfertig zurück: „Sie haben ihn vor zwei Jahren ebenfalls interviewt – warum haben Sie ihn durchgelassen?“ Gute Frage. Wie findet ein Unternehmen Leistungsträger?
Ich würde gerne auf einen validen und reliablen Einstellungstest verweisen. Ich fürchte aber, es gibt ihn (noch) nicht. „Brauchen wir auch nicht vorrangig“, meinte die Personalleiterin: „Eigentlich sind die Symptome evident.“ Und sie erzählte von Bewerbern, die im Bewerbergespräch auffallend oft und vorrangig nach Regelungen zu Urlaub, Employee- Assistance-Programm oder Sabbatical fragen: „Wir achten zu wenig auf die Anzeichen. Wir lassen uns von der formalen Qualifikation blenden, anstatt nachzubohren.“ Natürlich ist nicht jeder, der sich nach Work-Life-Balance erkundigt, ein Arbeitsvermeider. Eben deshalb sollte man nachfragen.
Ein Fachabteilungsleiter steuerte eine weitere Heuristik bei: die Szenario-Technik. Er skizziert im Interview in drei, vier Sätzen einige leistungsindikative Situationen, zum Beispiel: Endtermin für ein Projekt ist in fünf Tagen, die offenen Arbeitspakete benötigen jedoch noch sieben. Um einen Lösungsvorschlag gebeten, antworten manche Bewerber: „Dann brauchen wir eben mehr Leute!“ Andere schlagen vor: „Wir gehen die Arbeitspakete noch einmal durch. Effizienzreserven finden wir immer.“ Die Antworten sprechen für sich.
Momentan drängt die Generation Y in die Unternehmen, Zugeständnisse müssen gemacht werden: flexible Arbeitszeiten, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, attraktive Aufgaben. Diese Ansprüche unterscheiden jedoch Leistungsvermeider nicht von Leistungsträgern. Der Unterschied liegt vielmehr in der Priorisierung der Interessen: Der Leistungsvermeider optimiert vorrangig eine falsch verstandene Work-Life-Balance mit weitgehender Reduktion von Arbeit und Leistung. Der Leistungsträger dagegen optimiert vorrangig seine Leistung – alles andere betrachtet er als Hygienefaktoren. Die HR-Abteilung ist da keine Ausnahme.
Der Werksleiter eines großen Mittelständlers erzählte mir: „Wenn wir dringend eine überraschende Vakanz besetzen müssen, sticht unser Trumpf in der Personalabteilung.“ So bezeichnet er jene Personalreferentin, die 50 einlaufende Bewerbungen auch mal bis abends um sieben sichtet, denn: „Der vakanzbedingte Produktionsausfall im Werk kostet uns Unsummen!“ Andere HR-Kollegen gehen um fünf nach Hause: „Kann ich auch noch morgen machen!“ Das stimmt und niemand kann sie davon abhalten oder zwingen, zu bleiben. Auch zwingt niemand die „Trumpf-Kollegin“. Sie macht das freiwillig. Weil Leistung sich für sie intrinsisch lohnt.
Prof. Dr.-Ing. Evi Hartmann ist Inhaberin des Lehrstuhls für BWL, insb. Supply Chain Management, an der Universität Erlangen-Nürnberg. Kürzlich von ihr erschienen: „Ihr kriegt den Arsch nicht hoch: Über eine Elite ohne Ambition“, Campus Verlag.