angewandtes Wirtschaftsrecht, Nordakademie Hochschule der Wirtschaft, Elmshorn. Foto: privat
Personalwirtschaft: Herr Graewe, ist ein Verbot von Werkverträgen und auch von Zeitarbeit eine angemessene Reaktion auf die Zustände in der Fleischindustrie?
Daniel Graewe: Ich halte die Reaktion nicht für angemessen, aber für typisch. Das deutsche Arbeitsrecht
wandelt zwischen zwei Extremen. Auf der einen Seite
haben wir eine starke Überregulierung, auf der anderen
eine starke Unterregulierung, beispielsweise im Arbeitskampfrecht. Werkvertrag und Zeitarbeit sind Flexibilisierungsinstrumente, die Arbeitgeber in guten wie in
schlechten Zeiten benötigen. Beide sind seit langer Zeit
ein Dorn im Auge der Gewerkschaften. Daher ist es
nicht überraschend, dass mit dem Aufhänger Corona
jetzt wieder die Werkverträge in den Fokus rücken und
zwar, wie so häufig in diesem Bereich, vornehmlich
mit einem Schwarz-Weiß-Denken.
Andererseits hat die freiwillige Selbstverpflichtung
in dieser Branche bislang nicht funktioniert. Es hat
sich ein System von Subunternehmen entwickelt, in
dem Arbeitnehmer extrem wenig verdienen und die
Arbeits- und Lebensbedingungen skandalös sind.
Könnte die Abschaffung von Werkverträgen dem
nicht entgegenwirken?
Die freiwillige Selbstverpflichtung von 2015 hat nicht
funktioniert, weil einige Unternehmen und ein großer
Player sich nicht daran beteiligt haben. Wir wissen
schon länger, dass die Zustände in der Fleischindustrie
alles andere als gut sind und können auch über Maß-
nahmen nachdenken, um die Missstände zu beseitigen.
Gleichzeitig sollten wir uns aber vor Augen halten, dass
Werkverträge ein legales – und notwendiges – Instrument sind.
Sie sind also gegen ein Verbot – warum?
Das ist in meinen Augen nicht sinnvoll. Das Arbeitsrecht muss genügend Spielraum für unternehmerische Entscheidungen lassen. Wenn das Aus für die Werkvertragsgestaltung kommt, wird diesen Arbeitgebern nichts anderes übrig bleiben, als andere Instrumente zu entwickeln, mit denen sie flexibel ihre Personaldecke steuern können.
Beispielsweise mit Tochterfirmen? Medienberichtenzufolge hat der Tönnies-Konzern bereits 15 gegründet,in denen die Werkvertragsarbeiter nach und nachangestellt werden sollen. Sind damit automatisch bessere Arbeitsbedingungen verbunden?
Tönnies nutzt bereits Tochterunternehmen als konzerninterne Dienstleister, etwa im technischen Bereich.Wenn jetzt Schlacht- und Zerlegepersonal, das bislang über Werkverträge beschäftigt war, in einer Tochtergesellschaft angestellt wird, muss das nicht zwangsweise zu besseren Arbeitsbedingungen führen. Zumal auch öffentlich nicht bekannt ist, wie das neue Konstrukt genau aussehen soll und wie es in Zukunft gelebt wird. Interessant ist jedenfalls der Umstand, dass für die Anstellung extra neue Gesellschaften gegründet werden,also das Personal nicht einfach bei einem bestehenden Tönnies-Unternehmen angestellt wird.
Wie viel Aussicht hat das Vorhaben der Politik, Werkverträge für eine Branche verbieten zu lassen?
Das halte ich für nicht aussichtsreich. Es ist schwierig,einzelne Branchen herauszugreifen und dort gezielt flächendeckende Verbote einzuführen. Immer wenn der Staat in Freiheitsrechte eingreift, muss er geeignete und verhältnismäßige Mittel anwenden, er darf also die Grundrechte nicht übermäßig strapazieren. In diesem Fall wäre ein generelles Verbot von Werkverträgen für einen speziellen Wirtschaftszweig nicht verhältnismäßig. Zudem ist die Dienstleistungsfreiheit europarechtlich geschützt. Das heißt, es müssen besondere Sachgründe vorliegen, um den Eingriff in die Grundrechte zu rechtfertigen, was hier nicht der Fall ist. Meiner Ansicht nach wird ein solches Verbot sowohl vor dem Bundesverfassungsgericht als auch dem EuGH keinen Bestand haben. Die Politik ist mit pauschalen Verboten immer schnell bei der Hand, was aber verfassungsmäßig schwierig durchzusetzen ist
Wurde Ähnliches nicht in der Bauwirtschaft umgesetzt?
In der Baubranche gab es schon früh eine Europäisierung des Arbeitsmarktes, mit all ihren Vor- und Nachteilen, insbesondere einer Arbeitsmigration mit niedrigeren Standards. Deswegen kam es 1996 durch das Arbeitnehmerentsendegesetz zu einer Festschreibung von zwingenden Mindeststandards der Arbeitsbedingungen, unter denen Personal von ausländischen Arbeitgebern nach Deutschland geschickt wurde. Ursprünglich galt dies nur für die Baubranche, heute auch für rund zehn andere Branchen. Mit einem Verbot beziehungsweise einer Regulierung von Werkverträgen hat das aber nichts zu tun.
Welche Alternativen gibt es, um die Arbeitsbedin-gungen der Beschäftigten in der Fleischindustrie nachhaltig zu ändern?
Sinnvoll wäre es, über eine Regulierung der Vertragsinhalte und deren Durchführung nachzudenken. Beispielsweise könnten Arbeitsschutzstandards, Arbeitszeitregelungen und Fragen der Vergütung Bestandteil des Werkvertrags oder einer weiteren Regulierung sein, sodass sich auch Subunternehmer daran halten müssen. Ebenso könnten Kontrollen verstärkt und Bußgelder für den Fall der Nichteinhaltung erhöht beziehungsweise neu festgelegt werden. Eine Regulierung in diese Richtung wäre rechtlich weniger eingriffsintensiv und damit weniger problematisch. Dies müssen die beteiligten Akteure im politischen Prozess nur wollen und – wie immer – einen Kompromiss finden.
Eine Regulierung in Richtung gemeinsamer Verantwortung für Arbeitsschutz- und zeit? Equal Pay nach zehn Monaten?
Das wäre ein Weg, über den man nachdenken kann. Das große Übel dabei ist allerdings, dass ein Mehr an Regulierung auch immer ein Mehr an Bürokratie beinhaltet. Wir haben sehr viele Anläufe gesehen, bei denen versucht wurde, die Überregulierung zurückzufahren,was letztlich nicht funktioniert hat. In den letzten zehn Jahren ist Deutschland zudem im Weltbank-Ranking der am wenigsten von Regulierung belasteten Länder um 60 Plätze abgestürzt. Die Frage ist, ob das lange so weitergehen kann.
Warum nennen Gewerkschaften und Bundesarbeitsministerium Werkverträge und Zeitarbeit in einem Atemzug und wollen auch die Arbeitnehmerüberlassung in der Fleischindustrie verbieten?
Dieser Schachzug ist politisch motiviert. An diesen bei den sehr unterschiedlichen Vertragskonstruktionen arbeiten sich die Gewerkschaften schon sehr lange ab. Mit den tatsächlichen Missständen, die wir gerade in der Fleischindustrie sehen, hat die Zeitarbeit nichts zu tun. Beides sind zwar Instrumente, die Arbeitgebern in unterschiedlicher Form Flexibilität ermöglichen,aber es ist ein Reflex, sie in einen Topf zu werfen. Dahinter steckt auch das Prinzip der größeren Verhandlungsmasse, um einen Kompromiss in einem Gesetzgebungsprozess zu finden.
Was heißt das in der Praxis?
In den Prozess fließen die Meinungen der maßgeblichen Akteure ein – der Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter. Wahrscheinlich wird es letztendlich so sein, dass die Zeitarbeit „rausverhandelt“ wird. Das heißt, die Arbeitnehmerseite macht „Zugeständnisse“, um an anderer Stelle etwas durchzusetzen. Ein scheinbares Zugeständnis, denn Zeitarbeit hat mit dem jetzigen problematischen Fall gar nichts zu tun.
Was ist Ihre Prognose zum Ausgang eines künftigen Verfahrens?
Hier arbeiten zwei starke Lobbygruppen zusammen: Gewerkschaften und Tierschützer. Es gibt zudem ein klares gesellschaftliches Moment in Richtung Umwelt-und Tierschutz im Allgemeinen, dem sich die Politik nicht entziehen kann. Würde es etwa „nur“ um die Rechte osteuropäischer Arbeiter gehen und das Ganz ein der Logistikbranche spielen, würden wir wahrscheinlich nicht so schnell Änderungen sehen. Wir werden daher letztendlich eine stärkere Regulierung von Werkverträgen zumindest in der Fleischwirtschaft erleben. Kein Verbot, aber ein deutliches Anziehen der gesetzlichen Regelungen in Sachen Arbeitsschutz, Vergütung, Arbeitszeit, Gleichstellung – und natürlich auch ein Ansteigen der Kontrolldichte und der Bußgelder. Dies wird im Ergebnis Werkvertragskonstruktionen unattraktiver machen, wie wir es bei der Zeitarbeit auch schon mal gesehen haben
Christiane Siemann ist freie Journalistin und Moderatorin aus Bad Tölz, spezialisiert auf die HR- und Arbeitsmarkt-Themen, die einige Round Table-Gespräche der Personalwirtschaft begleitet.