Ausgabe 12, Special Managementberatung - 2014
Nachfolgeplanung als strategische Personalentwicklung
Bei Besetzungsentscheidungen zeigt sich der Erfolg des Talent Managements: Wer weiß, welche Person auf welche Stelle passt, kann im Fall von Vakanzen zielsicher entscheiden und vorrangig intern besetzen. Um das zu erreichen, hat die Lufthansa Technik ihre Nachfolgeplanung grundlegend überarbeitet. Eine Fallstudie.
Die Betreuung des oberen Managements erfolgt innerhalb der Lufthansa Group von zentraler Stelle. Die Personalarbeit für das mittlere Management, also Abteilungsleiter und ähnliche Positionen, wird dagegen von den Konzerntöchtern konzeptionell und operativ eigenständig verantwortet – so auch bei der Lufthansa Technik AG (LHT). Bis vor einigen Jahren stand hier der Begriff der Nachfolgeplanung für ein Element des Beurteilungsprozesses von Leistung und Potenzial der Führungskräfte. Dabei traf der direkte Vorgesetzte eine Aussage über die grundsätzliche Eignung eines Mitarbeiters für Führungspositionen. Im Ergebnis existierten damit für jede Jobfamilie mit bis zu 50 Führungspositionen im mittleren Management lange Listen von potenziellen Nachfolgern. Für die Besetzung von Vakanzen und die gezielte Personalentwicklung war der Nutzen dieses Vorgehens gering – eine Überarbeitung mit dem Ziel konkreterer Ergebnisse überfällig.
Zielsetzung der neuen Nachfolgeplanung
Die Überarbeitung der Nachfolgeplanung lief letztlich auf eine grundlegende Neugestaltung hinaus. Sie erfolgte in zwei Zyklen, zunächst im Herbst/Frühjahr 2011/12 und dann mit weiteren Innovationen bei Design und Prozess der Nachfolgeplanung im Herbst/Frühjahr 2013/14.
Wichtigstes Ziel war die Erhebung verbindlicher und qualitativ hochwertiger Daten zu stellenspezifischen Nachfolgern. Der verbindliche Charakter der Daten ergab sich dabei aus einer von Anbeginn angestrebten, engen Abstimmung mit dem Top-Management. Auch sollten bestehende Silos innerhalb der Geschäftsfelder aufgebrochen werden. Bei der Suche nach geeigneten Nachfolgern wurde stets der gesamte Talentpool der LHT berücksichtigt – unabhängig von der Zugehörigkeit der Mitarbeiter zu den jeweiligen Geschäftsfeldern. Auf diesem Wege sollten zusätzliche Möglichkeiten für Rotationen gefunden und die Bereitschaft dafür gefördert werden.
Ein weiteres Ziel war die Nutzung der Nachfolgeplanung zur Standortbestimmung und als Karrierewegweiser für die betroffenen Mitarbeiter. Sowohl aktuelle Führungskräfte als auch Nachwuchstalente sollten im Rahmen der Nachfolgeplanung die Möglichkeit bekommen, ihr Interesse an Stellen zu bekunden und eine stellenspezifische Rückmeldung über ihre Eignung zu erhalten. Indirekt erhoffte sich die LHT hiervon eine größere Sichtbarkeit von Führungskräften und Potenzialträgern im Vorstand und Top-Management sowie die Möglichkeit zur Differenzierung innerhalb der Führungsmannschaft anhand der „Marktfähigkeit“ des einzelnen Mitarbeiters.
Herausforderungen im Projekt
Zentrale Herausforderung bei der Verfolgung dieser Ziele war die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses dafür, welche Anforderungen genau an eine Führungskraft bestehen, was eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter bereits an Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen mitbringen muss und was „on the job“ erlernt werden kann. Ohne dieses gemeinsame Verständnis, so die Auffassung des Projektteams, hatte jede Nachfolgeplanung für die weitergehende Verwendung, das heißt, die Nachbesetzung im Fall von Vakanzen, keinen Bestand. Klares Ziel war es, Nachfolgeplanung zu einer Gemeinschaftsaufgabe des Vorstands und des Top-Managements zu machen. Den direkten Vorgesetzten kommt bei dieser Aufgabe natürlich eine besondere Bedeutung zu, sie sollten jedoch nicht alleine darüber entscheiden, wer als potenzieller Nachfolger für eine Stelle in Frage kommt. Im Verlauf des Jahreswechsels 2011/12 wurde daher in einem ersten Schritt die Verantwortung für die Erstellung der Nachfolgeplanung auf Ebene der Geschäftseinheiten verlagert.
Der zweite Projektschritt 2013/14 war dann noch weitreichender: Statt des bisherigen Fokus auf die Geschäftsfelder lag das Augenmerk nunmehr auf Jobfamilien – eine Maßnahme, die zu einem Aufbruch der teils mehr, teils minder sichtbaren Silos zwischen den Geschäftseinheiten beitragen sollte.
Die zweite große Herausforderung lag in der operativen Durchführung der Nachfolgeplanung. Naturgemäß bestand auf Seiten der Führungskräfte die Befürchtung, viel Zeit und Aufwand in zusätzliche, von HR einberufene Meetings mit fraglichem Nutzen investieren zu müssen. HR hingegen stand vor der Aufgabe, den Prozess als Ganzes zu entwickeln, zu begleiten und zu dokumentieren – alles in Ergänzung zu bestehenden Aufgaben. Daher bedurfte es einiger Innovationen in der Konzeption und Durchführung der Nachfolgeplanung, mit denen sowohl der kulturelle Wandel als auch die operativen Herausforderungen im Alltag bewältigt werden konnten.
Konzeption und Durchführung
Die Realisierung der zuletzt durchgeführten Nachfolgeplanung begann mit der Erfassung der Kandidaturen im Herbst 2013 und endete mit der Dokumentation und dem Follow-up im Sommer 2014 (siehe Abbildung). Im Rahmen des Prozesses wurden insgesamt über 130 Stellen, rund 170 potenzielle Kandidaten und knapp 1700 Paarungen von Personen und Positionen (Kandidaturen) diskutiert.
Im Ergebnis des Prozesses standen Nachfolgelisten, die gemeinsam mit allen anderen Stellen der gleichen Jobfamilie im Rahmen spezieller Workshops im Top-Management diskutiert und verabschiedet wurden. Daran beteiligt waren Stellenverantwortliche aus allen Geschäftsfeldern, die Führungspositionen im mittleren Management in der jeweiligen Jobfamilie stellen. Der Personalvorstand der LHT beteiligte sich persönlich an allen Workshops, die anderen drei Vorstände je nach den von ihnen verantworteten Geschäftsbereichen.
In insgesamt zehn Workshops diskutierte das Top-Management je nach Größe der Jobfamilie bis zu sechsundzwanzig Stellen. Die inhaltliche Vorbereitung lag neben HR auch in der Hand je einer Führungskraft aus dem Top-Management, die als sogenannter Jobfamilien-Verantwortlicher eine besondere Rolle übernahm. Mindestens drei Wochen vor dem Workshop erhielten die Teilnehmer eine vorläufige Einschätzung der Kandidaturen durch den jeweiligen Jobfamilien-Verantwortlichen. Durch diese sorgfältige Vorbereitung konnten die meisten Workshops sogar früher als geplant beendet werden – was zu einer äußerst positiven Wahrnehmung des Prozesses von Seiten der Führungskräfte führte.
Auch die im Rahmen der Nachfolgeplanung diskutierten Kandidaten, das heißt, die aktuellen Führungskräfte im mittleren Management und im Vorfeld identifizierte Nachwuchskandidaten, wurden eingebunden: zu Beginn des Prozesses, als jeder Kandidat selbst entscheiden konnte, für welche Stellen er oder sie kandidieren möchte, und am Ende des Prozesses im Rahmen eines qualitativen Feedback-Gesprächs mit dem disziplinarischen Vorgesetzten.
Die operative Verantwortung für die Vorbereitung und Durchführung der Prozessschritte erfolgte aus einer Hand durch HR. Nach außen sichtbar war hierbei vor allem die von HR erstellte Übersicht über alle Kandidaten innerhalb der Zielgruppe („CV-Buch“) sowie eine Übersicht über die zu behandelnden Stellen in Form von aussagekräftigen Stellenprofilen. Ersteres wurde im Vorfeld unter Einbeziehung der Kandidaten, Letztere wurden mit den verantwortlichen Führungskräften aus dem Top-Management erstellt. Im Hintergrund erfolgte die Administration der Nachfolgeplanung mithilfe einer von der LHT entwickelten Datenbank.
Durch die mehrfache Einbindung des Vorstands, erstens im Rahmen der Workshops und zweitens zum Abschluss des Prozesses im Rahmen einer halbtägigen Personalkonferenz, hat das Ergebnis eine hohe Verbindlichkeit innerhalb des Unternehmens.
Positive Resonanz aller Beteiligten
Im Ergebnis der jobfamilienorientierten Nachfolgeplanung liegt jetzt ein aktueller und robuster Überblick über die Führungskräfte im mittleren Management und die Nachwuchskräfte der LHT vor. Die sogenannten Nachfolge-Pipelines für einzelne Stellen sowie für ganze Jobfamilien sind nunmehr transparent. Auch für die einzelnen Mitarbeiter und Führungskräfte lässt sich auf Basis der Ergebnisse eine qualitative Aussage über die eigene „Marktfähigkeit“ treffen. Sie erhalten von ihren Führungskräften eine maximal transparente Aussage zu möglichen konkreten Karriereschritten gemäß der Einschätzung durch das Top-Management.
Für die LHT erfüllt die neue Nachfolgeplanung damit im Wesentlichen sechs Funktionen. Sie trägt dazu bei, dass
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Stellen im mittleren Management zügig und mit einem als geeignet identifizierten Kandidaten besetzt werden können.
- 2.
Stellenverantwortliche eine exzellente Übersicht über die strategische Personalsituation für ihren Verantwortungsbereich haben.
- 3.
Verantwortliche für Jobfamilien diese Übersicht innerhalb einer Jobfamilie bündeln und Stellenverantwortliche bei der Besetzung von Querschnittspositionen (CEO, CFO, Vertrieb/Kundendienst) unterstützen und wenn notwendig Maßnahmen zur Talentsuche ableiten können.
- 4.
Stellen mit erhöhtem Besetzungsrisiko identifiziert und konkrete Personalentwicklungsmaßnahmen zum Aufbau potenzieller Nachfolger abgeleitet werden können.
- 5.
unsichtbare Grenzen zwischen einzelnen Geschäftsfeldern aufgebrochen werden, Mitarbeiter unternehmensweit sichtbar und Rotationen gefördert werden.
- 6.
Kandidaten, das heißt aktuelle Führungskräfte und Nachwuchstalente, eine wirklichkeitsnahe Potenzialeinschätzung erhalten.
Die im Rahmen der Nachfolgeplanung gesammelten Daten erlauben darüber hinaus eine weitergehende Auswertung. So zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den Jobfamilien, sowohl bei der durchschnittlichen Anzahl der Kandidaturen pro Stelle als auch bei der Quote der als geeignet identifizierten Nachfolger.
In jeder Jobfamilie finden sich dabei Stellen, die wenige Nachfolger haben. Die Gründe hierfür sind unterschiedlich: Manche Standorte sind weniger attraktiv als andere oder erfordern spezifischeres Expertenwissen. Und andere Stellen sind wiederum grundsätzlich als „Exoten“-Stellen zu sehen. Sie sind wenig vergleichbar mit anderen Führungspositionen im Unternehmen und weisen damit wenig potenzielle Nachfolgekandidaten auf.
Im Ergebnis der Nachfolgeplanung ist besonders die deutlich gestiegene Zahl der geschäftsfeldübergreifenden Nachfolger hervorzuheben. Dies ist nicht zuletzt der starken Identifikation der Jobfamilien-Verantwortlichen mit ihrer Rolle zu verdanken.
Fazit: Lohnender Aufwand
Das Resümee der Neugestaltung der Nachfolgeplanung der LHT fällt sehr positiv aus. Das neue Konzept konnte dazu beitragen, dass das Top-Management sich heute deutlich stärker mit dem Prozess identifiziert als zuvor. Aus Sicht des Top-Managements war der Aufwand zwar hoch, hat sich aber dennoch gelohnt. Die Nachfolgeplanung sei der fairste Prozess für die Betroffenen und zugleich der größte Spiegel für das Top-Management, den man sich vorstellen könne.
Auch der kulturelle Wandel hin zu mehr Jobrotationen konnte durch die Fokussierung auf Jobfamilien unterstützt werden.
Die Diskussion der Kandidaturen wurde dabei sachlicher denn je geführt und weniger politisch als bei der Erörterung von Kandidaten für eine akute Vakanz.
Die Selbstnominierungen durch Führungskräfte und Talente und die damit verbundene Abgabe von Kontrolle durch HR und das Top-Management führte zu einer stärkeren Präsenz des Themas im Unternehmen. Dies wiederum führte zu einem Austausch über die Passung von Aufgaben und Personen, der mittlerweile etablierte Praxis ist und offener und konstruktiver denn je erfolgt. Das Beispiel der Lufthansa Technik zeigt, dass sich Nachfolgeplanung mit innovativen Prozesselementen und effizienter Durchführung als wertvolles Element der strategischen Personalentwicklung eignet und damit weit über reines Risikomanagement hinausgehen kann.
Lufthansa Technik AG
Die Lufthansa Technik AG (LHT) ist Weltmarktführer für die Wartung, Reparatur und Überholung von Flugzeugen. Im Jahr 2013 erwirtschafteten die über 26.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in sechs Geschäftsfeldern einen Umsatz von rund vier Milliarden Euro. Als Mitglied der Lufthansa Group gehört die LHT zu einem der größten und bekanntesten Airline-Konzerne der Welt.
Die Leitlinien der Nachfolgeplanung bei der Lufthansa Technik
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Mehr Bottom-up: Selbstnominierung als primäre Quelle für Nachfolgekandidaten
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Mehr Rotationen: Bündelung und Diskussion von Positionen nach Jobfamilien
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Mehr Ownership: Job-Familien-Verantwortliche als Talent Scouts aus dem operativen Geschäft
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Mehr Transparenz: Rückmeldung an die Kandidaten inklusive stellenspezifischem Feedback
Autoren
Alexander Simon-Sichart, Leiter Personalentwicklung, Lufthansa Technik AG, Hamburg,
alexander.simonsichart@lht.dlh.de
Leon Jacob, Consultant, hkp Deutschland GmbH, Frankfurt am Main,
leon.jacob@hkp.com
- Stillstand ist Rückschritt
- Selbstbewusste Kurskorrekturen
- Mit eigenen Mitteln oft überfordert
- Nachfolgeplanung als strategische Personalentwicklung
- Deutsche Unternehmen vernachlässigen den eigenen Nachwuchs
- Den Wertbeitrag von HR steigern
- Großprojekte erfolgreich durchführen
- Vernetzen, Priorisieren, Quantifizieren
- Personalarbeit in der Zulieferindustrie: Alles anders?