Ausgabe 10 - 2015
H.R. Confidential

Sie wissen selbst, wie Recruiting geht? Sie halten Ihre HR-Prozesse für hoch effizient? Auf Ihr Workforce Management lassen Sie nichts kommen? Dann seien Sie jetzt ganz stark: Womöglich können Sie bald wieder von vorne anfangen. Die Internationale Standardisierungsorganisation ISO rollt 2016 die erste einer ganzen Reihe von HR-Normen aus. Doch nur die wenigsten sind darüber informiert.
Wer nach Regulierung ruft, begründet das normalerweise mit Marktversagen. Denn Freiheit hat unweigerlich Differenzierung im Gepäck, im Guten wie im Schlechten. Wenn diejenigen, die es ihrer Meinung nach gut machen, rings um sich herum zu viel Schlechtes sehen, verlangen sie nach Reglementierung. Wobei sie am liebsten ihre eigenen Regeln für alle verbindlich machen wollen. Weil das ja die guten sind.
Die Dummen sind in dem Fall alle, die das widerspruchslos geschehen lassen. Denn sie müssen sich dann nach den Vorschriften derjenigen richten, die sich für besser halten. Obwohl jetzt einige entsetzt die Hände heben werden: „Unsere Personalarbeit ist doch exzellent!“, rollt auf die Unternehmen eine Welle von funkelnagelneuen HR-Normen zu. Federführend ist die International Organization for Standardization (ISO) in Genf, und die künftigen Soll-Vorschriften betreffen die gesamte Personalarbeit, angefangen bei der Terminologie über Recruiting, Workforce Planning und Mitarbeiterbindung bis hin zu Reporting und HR Governance. Eine Arbeitsgruppe beim Deutschen Institut für Normung (DIN) begleitet den Prozess seit 2012. Der erste dieser Standards, er beschreibt das mustergültige Recruiting, soll im kommenden Jahr bekannt gegeben werden. Daraus könnten eines Tages DIN-Normen werden, die wie viele ihrer Vorgänger im Geschäftsleben und vor Gericht folgenreiche Konsequenzen haben.
Fluch oder Segen?
Eine Norm ist kein Gesetz. Trotzdem werden Unternehmen mit der bohrenden Frage marktmächtiger Kunden rechnen müssen: Haltet Ihr Euch dran? Sonst können wir Euch leider nicht mehr beauftragen. Die denkbaren weiteren Aussichten sind auch nicht gerade heiter. Bewerber meiden Arbeitgeber, die auf die Normen pfeifen.
Banken und Versicherer richten ihre Vorzugskonditionen an der Befolgung der globalen HR-Standards aus. Software und Prozesse müssen den Normen entsprechend umgestellt, HR-Dienstleister auf deren Einhaltung verpflichtet werden. In den Datenräumen von Due Diligences laden fortan weltweit nach identischen Methoden erhobene HR-Kennziffern zum Vergleich. Gewerkschaften und Berufsgenossenschaften fordern Aufschläge für Anpassungsverweigerer. Das Schlimmste jedoch: Womöglich droht irgendwann eine Zertifizierungspflicht mit allem, was daranhängt. ISO/DIN-geprüfte HR, etwa in dieser Richtung.
Andererseits: Der Plan hat auch Vorteile. Endlich wird die oft als Dunkelkammer beargwöhnte Personalfunktion von oben bis unten ausgeleuchtet. Unmissverständlich formulierte, transparente und weltweit gültige Standards bringen der HR-Arbeit die Wertschätzung zurück, die sie in den vergangenen Dekaden an die Logik des Controllings abgegeben hat. Jeder Kaufinteressent, jeder Kunde, Lieferant und Mitarbeiter kann auf einen Blick sehen, wie diese HR im Vergleich zu der in anderen Unternehmen aufgestellt ist. Personaler können leichter wechseln, weil sie ihre Erfolge nun ISO auf DIN belegen können. Und noch haben Berater, Normüberprüfer und die Hersteller einschlägiger Softwareprodukte kaum Wind davon bekommen.
Streng geheim
Man könnte über die Sache diskutieren. Wenn man wüsste, was auf HR zukommt. Bis auf zwei, drei Dutzend Eingeweihte weiß das aber niemand in Deutschland. Und diejenigen, die den Plan kennen, dürfen nicht über die Einzelheiten sprechen. Viele Personaler würden schon gern wissen, wie vorbildliches Recruiting in der künftigen Norm definiert ist. Welche KPI das HR-Reporting standardmäßig abfragen wird, was die „Retention Metrics“ beinhalten, was hinter den „Turnover Metrics“ steckt und wie der Weltstandard Cost per Hire und Quality of Hire beziffert (siehe Infokasten 1). Für all das und mehr sind Normen geplant, in denen Ziele und der optimale Weg dorthin beschrieben sind. Wie die aussehen werden, wissen bisher nur die Autoren und die Begutachter in den teilnehmenden Ländern (siehe Infokasten 3 auf S. 19). Sobald sich der Vorhang öffnet, dürften nicht nur diejenigen dumm aus der Wäsche gucken, die sich bislang davor gedrückt haben, ihre Personalarbeit auf den State of the Art zu bringen. Sondern auch solche HR-Verantwortliche, die sich als Best in Class überlegen fühlen. Nach dem Studium von etlichen Dokumentenmappen werden sie scharf überlegen müssen, ob sie das immer noch sind.
Die Vorgeschichte
Die richtig Guten in dieser Geschichte sind die Amerikaner. Genauer: Die Society for Human Resource Management, kurz SHRM. Mit mehr als 275 000 Mitgliedern in 140 Ländern oder noch mehr ist die SHRM die weltweit größte Vereinigung von HR-Verantwortlichen. Sie unterstützt deren Arbeit, sorgt sich um das Ansehen der Berufsgruppe und unterstützt Personaler dabei, noch professioneller zu werden. Seit 2009 sammelt und bewertet der Verband Spitzenleistungen in HR, schlägt diese dem American National Standards Institute (ANSI) als verbindliche Richtschnur vor, hat es so schon zu einigen amerikanischen HR-Normen gebracht und empfiehlt diese allen Interessenten, Mitgliedern wie Nicht-Mitgliedern, zur Übernahme.
Mehr Druck wäre gut, fand die Finanzwirtschaft kurz nach der Lehman-Pleite 2008. Was die Buchhaltungsdaten anging, hatten Börsen, Analysten, Banken, Beteiligungsgesellschaften und Firmenhändler mit dem international eingeführten Rechnungslegungsstandard IFRS mittlerweile einen wirksamen Vergleichsmaßstab an der Hand. Aber HR blieb vielfach ein großes, schwarzes Loch. Aus dem können talentierte HR-Profis zwar viel Dampf aufsteigen lassen, aber so richtig benchmarkfähig ist das alles noch nicht. Überhaupt: Was nutzt ein US-Standard, wenn sich der Rest der Welt nicht daran halten muss?
Die SHRM versteht sich als Speerspitze guter Personalarbeit auf der ganzen Welt. Sie hat auch gute Beziehungen zur internationalen Standardisierungsorganisation ISO in Genf. Die ISO kennt man, von dorther kommen technische, klassifikatorische und Verfahrensnormen, Dokumentationsvorschriften und andere Handreichungen für Anwender, Trainer und Zertifizierer. Zu den bekanntesten ISO-Erzeugnissen gehören die Normengruppen ISO 9000 (Qualitätsmanagement) und 14000 (Umweltverträglichkeit). Im Oktober 2010 beantragte ANSI auf Drängen von SHRM die Einrichtung eines neuen ISO-Arbeitsgebiets zum Thema Human Resource Management. Die Genfer Organisation ließ ihre Mitglieder entscheiden. Das vom DIN als Stimme Deutschlands ins Leben gerufene Expertengremium, damals noch unter Leitung von Alexander Böhne von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), stimmte dagegen.
Die deutsche Beteiligung
„Unsere Stärke war es in der Vergangenheit, so wenig wie möglich zu regulieren und zu normieren“, erläutert DGFP-Geschäftsführerin Katherina Heuer das Nein zur Norm. „Wir setzten stark auf die Möglichkeiten der unternehmerischen Gestaltung.“ Doch das Sträuben half nichts. 2011 wurde der Antrag aus Amerika mit einer knappen Mehrheit auf internationaler Ebene angenommen. „Darauf haben wir gesagt“, erinnert sich BDA-Mann Böhne, „wir begleiten kritisch und kommentieren, um die Interessen der deutschen Wirtschaft zu vertreten. Aber wir starten keine eigenen Initiativen.“ Später habe es dann einen Stimmungswechsel mit deutlich gestiegenem Engagement gegeben. Böhne hat das nicht gefallen. „Wir haben in Deutschland eine ausgeprägte mittelständische Wirtschaft und dafür eine offizielle Arbeitgeberposition gefunden“, sagt er trotzig. „Aber wir wurden überstimmt.“ Es sei reiner Pragmatismus gewesen, erklärt Inga Schlüter, die die deutsche Arbeitsgruppe, den sogenannten Spiegel-Ausschuss, beim DIN koordiniert: „Wenn der Zug schon fährt und wir es nicht verhindern können, dann wollen wir wenigstens mitsteuern.“
Was auffällt: Rund ein Viertel der aktuell rund 20 Personen umfassenden DIN-Arbeitsgruppe, über deren Zusammensetzung strengstes Stillschweigen vereinbart worden ist, ist Mitglied im Goinger Kreis. Darin finden sich vor allem Konzern-Personaler (unter anderen von Deutsche Bank, Infineon, Deutsche Bahn, SAP, Zeiss, TUI) sowie Berater wie der frühere Deutsche-Bahn- und Praktiker-HR-Vorstand Karl-Heinz Stroh. Die Hauptklientel der BDA, die mittelständische Wirtschaft, ist nur in Spurenelementen vertreten. Aber die steht ja auch nicht im Fokus der internationalen Finanz- und M&A-Wirtschaft.
Nachfolger von Böhne als Obmann der Arbeitsgruppe wurde Harald Ackerschott. Der in Normungsprozessen erfahrene Eignungsdiagnostiker aus Bonn kann die anfängliche Ablehnung gut verstehen. „HR ist ein Differenzierungsmerkmal“, sagt der Psychologe. „Gute Personalarbeit zeichnet manches deutsche Unternehmen international aus, kein Land hat so viele heimliche Markt- und Technologieführer wie wir. Ich kann gut verstehen, dass die nicht wollen, dass Know-how aus ihren Konzepten in Normen fließt, die jeder anwenden kann.“ Andere Mitglieder der deutschen Arbeitsgruppe arbeiten indes sehr fleißig in den internationalen Working Groups mit. Sie nehmen an regelmäßigen Treffen teil, sichten die Vorschläge der Kollegen, stimmen ihnen zu oder legen Alternativorschläge vor – kommentarlos ablehnen darf man nicht, das vereinfacht natürlich die Prozedur – und bringen sogar begeistert weitere Normungsideen wie HR Reporting und Diversity in die internationalen Gremien hinein.
Was bisher erarbeitet wurde
Der Zug rollt, das Projekt gewinnt an Fahrt. Mittlerweile ist die Arbeit an den ersten der geplanten HR-Normen auf der Zielgeraden angekommen. Im April hat die Working Group „Recruiting“ den Entwurf eines Standards zur finalen Kommentierung eingereicht, bis Ende Juli sollten sich die nationalen Arbeitsgruppen dazu äußern. Harald Ackerschott geht davon aus, dass der Beschaffungsstandard im kommenden November auf der einwöchigen Arbeitstagung in Texas zur Verabschiedung vorgelegt werden und bei einer Bestätigung im nächsten Jahr als ISO-Norm vorliegen wird. Damit man sich gleich ans Bezahlen gewöhnt, kann der Entwurf für 58 Schweizer Franken von der ISO-Webseite heruntergeladen werden (http://www.iso.org/iso/home/store/catalogue_tc/catalogue_detail.htm?csnumber=64149). Sein Umfang beträgt knapp 30 Seiten einschließlich Glossar, Anhängen und Literaturverweisen. Im Text beschrieben wird der idealtypische Recruiting-Prozess Attract, Source, Assess, Employ nach den Arbeiten von W. Cascio und J. Boudreau („Investing in People“, Financial Impact of Human Resource Initiatives, 2. Auflage 2011), die Merkmale der im Talent Pool und im Applicant Pool aufzunehmenden Kandidaten sowie die einzelnen Maßnahmen, die im Pre-Boarding (Anzahl der definierten Prozessschritte: 21) und im Boarding (11 Prozessschritte) zu ergreifen sind. Beispiele: Vor dem An-Bord-Nehmen des neuen Mitarbeiters ist unter anderem ein Plan für die erste Arbeitswoche zu erstellen, das E-Mail-Fach einzurichten und gegebenenfalls eine Parkerlaubnis auszustellen. Am ersten Tag soll der oder die Neue durchs Haus geführt und vorgestellt werden. Außerdem ist der Telefonapparat freizuschalten. Neu ist an dem Workflow nichts, allein er wird gründlich beschrieben. Wie man das von der ISO gewöhnt ist.
Wer Algorithmen mehr schätzt als To-do-Listen und noch grübelt, wie man das Controlling von den Leistungen des Recruiting überzeugen kann, wird in den Anhängen fündig. Darin geht es um die Schlüsselindikatoren (Key Performance Indicators, KPI), mit denen der Erfolg beziffert wird, säuberlich gegliedert nach den Kriterien Effizienz, Effektivität und wirtschaftliche Bedeutung. Auch hierfür ein Beispiel: Die Prozesseffizienz des Sourcing sollte (1) nach der Zahl der aus den verschiedenen Quellen zutage geförderten Kandidaten, (2) nach der Dauer des Sourcing-Prozesses in Tagen und (3) nach den Kosten je Kandidat gemessen werden. „Wir wollten das nicht, dass der Standard so aussieht wie ein Curriculum“, beklagt der Obmann. „Stattdessen wollten wir praktische Hinweise für den Mittelständler, was für die HR-Arbeit relevant ist und was nicht.“ Was hat der deutsche Personaler jetzt davon? Ackerschott zuckt die Schulter, er sieht für die HR-Praxis keinen gravierenden Veränderungsbedarf und spricht von einer „vertanen Chance zu zeigen, was möglich ist.“
Ackerschott holt aus, das sei wichtig für das Verständnis. Zu Anfang sei das Ziel der Initiatoren ein Set von definierten HR-Standards gewesen. Der deutsche Ausschuss habe gemeinsam mit anderen Europäern dafür gesorgt, dass die ursprüngliche Zielformulierung im Arbeitsplan von „Minimum Effective Standards“ (Minimalstandards) auf „Educational Guidelines“ (Richtlinien) geändert worden sei. So steht es jetzt auch im Business-Plan. Der ist auf der ISO-Homepage www.iso.org, Suchbegriff ISO/TC 260, nachzulesen. Ackerschott verwendet im Durchschnitt einen Tag je Woche auf die Lektüre von neuen Dokumenten. Und er liest gründlich. „Auch in dem zu Beginn an die nationalen Ausschüsse versandten ersten Draft für den Recruitment-Standard stand wieder ‚Minimum Effective Standards‘. Wir haben das in unseren Kommentaren sofort moniert und durchgesetzt, dass wir ‚Educational Guidelines‘ erarbeiten wollen.“
Die weiteren Themen stecken in unterschiedlichen Bearbeitungsstadien. Die Gruppe, die sich um Workforce Planning kümmert, ist fast so weit wie die Kollegen vom Recruiting, auch hier könnte der Rollout im kommenden Jahr erfolgen. Für die Terminologie wird gerade ein Glossar erarbeitet. Bei Human Governance geht es Ackerschott zufolge „um den Versuch, HR im Unternehmen anzuheben“. Im Sinne von Aufwertung, etwa so: „Der Aufsichtsrat muss sich mit HR beschäftigen.“ Die Working Group HR Metrics erarbeitet Messansätze wie zum Beispiel zu Quality of Hire und Cost per Hire. Auch die Mitarbeiterbindung soll berechenbar und damit benchmarkfähig werden. Mit beiden Ergebnissen ist voraussichtlich nicht vor 2017 zu rechnen.
Mit den Standards zur Messung der HR-Leistungen sieht Ackerschott die größten Veränderungen auf deutsche Personaler zukommen. „Damit werden nicht nur Prozesskosten sichtbar, sondern auch die Dauer von Prozessen“, sagt er. „Aber manchmal ist die Dauer gar nicht so wichtig, sondern der richtige Startzeitpunkt. Der sagt nämlich, ob HR mit am Tisch sitzt oder nicht. Und das hat letztlich Relevanz für ein Unternehmen. Das bringt es auf den Punkt, dass HR eine Kernfunktion des Unternehmens ist. Wenn hier Messbarkeit und über die Transparenz auch Vergleichbarkeit erreicht wird, bedeutet das eine Aufwertung von HR.“ Einfach ausgedrückt: Je mehr Zahlen HR liefert, desto größer der Applaus.
An manche Arbeitsbereiche traut sich bisher noch niemand heran. „Compensation & Benefits und Performance Management sind noch mögliche Themen“, sagt Ackerschott. „Noch hat kein Land gesagt, dass es darangehen will.“ Wenn eine Nation die Hand hebt, bekommt sie die Führung über das Teilprojekt. Solange niemand „hier“ ruft, bleibt es liegen. Dafür kommen – Applaus, Applaus – laufend neue Vorschläge für weitere Kennzahlenprojekte dazu. Israel hat das Thema Knowledge Management eingebracht. Es wurde in das ISO-Vorhaben eingegliedert. Die Holländer wollten Sustainable Employability, auch das wurde gerne genommen. Deutschland hat mit HR-Reporting ein avanciertes Projekt vorgeschlagen, klar, freute sich die ISO, machen wir das doch. „Dabei wird es insbesondere darauf ankommen, die Interessen von Unternehmen einerseits und die der Banken, Investoren und Analysten andererseits auszubalancieren“, erklärt Ackerschott. Immerhin: Die Niederländer sind fix. Zu Sustainable Employability wurde soeben ein Technical Report verabschiedet und veröffentlicht. So mager sind die bisherigen Resultate auf der öffentlich zugänglichen Detailebene. Die Einzelheiten kennen nur diejenigen, die den jeweiligen Standard konzipieren und kommentieren. Nebulös bleibt auch, was die zukünftigen Normen im Großen leisten sollen. „Gemessen werden soll nicht die Leistung von HR“, beruhigt Karl-Heinz Stroh, der als Ehrenmitglied des Goinger Kreises auf dem Laufenden gehalten wird, „sondern es soll die Art der Leistungserbringung transparent gemacht werden.“ Der Obmann der deutschen Arbeitsgruppe sieht das anders. Es empfehle sich, die zur Normung anstehenden Themen anzuschauen. Das beantworte die Frage, ob die geplanten HR-Standards die Leistung der HR-Arbeit oder das Human Capital des Unternehmens messen sollen. „Implizit beides“, sagt Harald Ackerschott.
Wie geht es weiter?
Die International Organization for Standardization ist die mächtigste Normungsorganisation der Welt. Wenn sie ein Projekt in Angriff nimmt, wird das nicht ohne Bedeutung bleiben. Nach Erarbeitung und Veröffentlichung einer Norm tritt die ISO mit dem Vorschlag zur Übernahme an die nationalen Normierungsstellen heran. In Deutschland ist das das Deutsche Institut für Normung (DIN). Das überlegt sich, ob es aus einer ISO-Norm eine DIN-Norm machen will oder nicht (siehe Infokasten 2). „Die Übernahme von ISO-Normen in eine deutsche Norm ist freiwillig“, sagt DIN-Teamkoordinatorin Inga Schlüter. „Wenn die ISO-Norm verabschiedet worden ist, können die Experten im nationalen Spiegel-Ausschuss empfehlen, dass diese ISO-Norm als DIN-Norm übernommen werden soll.“ Mithin werden bald noch nicht mal zwei Dutzend Menschen darüber entscheiden, ob Zehntausende deutsche HR-Abteilungen samt deren externen Beziehungen umgebaut werden sollen.
So weit ist es noch lange nicht. Doch auch ohne deutsche Variante werden die globalen Normen auf die hiesige HR-Arbeit abstrahlen. „Das wird eine große Veränderung für viele HR-Bereiche“, orakelt Karl-Heinz Stroh. „Bisher bastelte ja fast jeder seinen individuellen Prozess nach eigenem Gutdünken, aber in weiten Teilen bereits grundsätzlich vorgegeben durch die Anwendungsangebote der weltweit agierenden Softwaregiganten.“ Nun komme zwar eine Standardisierung von Personalern für Personaler, schmeichelt der Berater, trotzdem würden sich manche Freigeister beschnitten sehen. „Das wird in der praktischen Umsetzung ein Balanceakt zwischen Aufwand und Ergebnis.“ Hilger Pothmann sitzt für die Deutsche Bank in der nationalen Arbeitsgruppe. Kollegen von ihm sind in amerikanischen und britischen Ausschüssen mit von der Partie. Sein Mitmachmotiv beschreibt der Personalleiter der Geschäftsregion Ost ohne jeden Schnörkel: „Ich will den Prozess inhaltlich mitgestalten, um die Interessen der Finanzbranche und hier ganz besonders unseres Heimatmarktes zu vertreten.“ Das klare Ziel sei es, Personalarbeit vergleichbar und damit benchmarkfähig zu machen, um dem Markt – „also Öffentlichkeit, Mitarbeitern, Investoren und Kreditgebern“ – Orientierung bei der Bewertung der immateriellen Werte zu geben. Das vor dem Hintergrund, dass die Zukunftsfähigkeit und Prognostizierbarkeit des Unternehmenserfolgs zunehmend in das Augenmerk von Investoren und Mitarbeitern gerate. „Das Problem ist, dass man diese sogenannten ‚weichen‘ Faktoren nicht hinreichend greifen kann“, erklärt Pothmann das Verlangen der Finanzwirtschaft nach Richtlinien. Und beruhigt diejenigen, die sich ungern greifen lassen wollen: „Unternehmen, die nicht die Interessen von externen Stakeholdern wie zum Beispiel Investoren und Ratingagenturen bedienen wollen, müssten diese nicht anwenden.“ Welches Unternehmen hat keine externen Stakeholder?
Während viele andere Arbeitsgruppenmitglieder aufgeschreckt, zumindest aber völlig baff waren, trotz des Schweigegebots namentlich als Teilnehmer im Spiegel-Ausschuss identifiziert worden zu sein, geht Deutschbanker Pothmann gelassen damit um. Souverän ist auch seine Antwort auf die Frage, mit welchen Reaktionen er auf die Ankündigung der HR-Normungswelle rechnet. „Mit jeder Art“, sagt er, „Neugier, Wertschätzung der Profession, aber auch Angst vor Veränderung, vor Kosten, Fremdsteuerung, Kontrollverlust und dem Aufzeigen von Defiziten. Das ist ein riesiger Veränderungsprozess – für HR, aber auch für Unternehmensbewertungen im Allgemeinen.“
Mitstreiter gesucht
Und noch einer zieht das offene Wort der bübischen Geheimniskrämerei vor. „Deutschland wird internationale Normen im Bereich Personalmanagement nicht verhindern können“, sagt Oliver Kothrade, General Manager Human Resources & General Affairs bei Panasonic Europe in Hamburg. Er arbeitet für den Bundesverband der Personalmanager (BPM) in der Arbeitsgruppe mit. „Von daher ist aktive Gestaltung und Einflussnahme besser, als sich nicht an dem Prozess zu beteiligen.“ Dazu passt ein Leitspruch des DIN: Wer nicht normt, der wird genormt.
Harald Ackerschott nimmt noch Anmeldungen entgegen. „Engagierte und kompetente HRler können sich auch jetzt noch einbringen und mitgestalten“, lädt der Obmann zum Mitmachen im Spiegel-Ausschuss ein. Er hätte gern mehr Input von solchen Personenkreisen, die von den Ergebnissen der Normierungsarbeit künftig unmittelbar betroffen sein werden. Das müssten nicht nur Personaler sein, sondern auch Dienstleister, Zulieferer, Berater sowie Unternehmensinhaber. „Es geht um HR-Arbeit und nicht darum, wer sie macht“, begründet er. Für notorische Neinsager sei aber kein Platz. „Ich möchte Leute dabeihaben, die konstruktiv und in Alternativen denken. Wir brauchen überdies Köpfe, die sagen, welche Themen wir über die bisher angenommenen hinaus auf die Agenda setzen sollten. Sonst reagieren wir nur auf das, was andere bestimmen.“ Man kann das auch anders verstehen. Es soll Projekte geben, die an schierer Größe zugrunde gehen.
Großunternehmen hatten schon immer den Wunsch, sich eine Welt zu schaffen ohne nationale Grenzen, Gesetzgebung, Währung und Befindlichkeiten. Eine Welt, in der alle zu gleichen Bedingungen arbeiten und managen, gleich denken, handeln, kaufen, mit ihren Einkäufen umgehen und daraus messbare Bestände machen. Jetzt ist also Personal an der Reihe. „Jeder kennt schließlich die Marktlogik“, sagt Harald Ackerschott. „Wenn ein Mächtiger etwas verlangt, kann es selbst bei grundsätzlicher Freiwilligkeit de facto vorgeschrieben werden.“
Was zur internationalen Normung ansteht
Zur Normung angenommen und in Arbeit: Human Resource Management – Terminology Human Resource Management – Guidelines on Recruitment Management by Sustainable Employability of Staff Human Resource Management – Cost per Hire Human Resource Management – Guidelines on Human Governance Human Resource Management – Workforce Planning Human Resource Management – Impact of Hire Metric Human Resource Management – Quality of Hire Human Resource Management – Retention Metric Human Resource Management – Turnover Metric |
Zur Normung vorgeschlagen: Human Resource Management – Reporting Human Resource Management – Diversity |
Abgelehnte Anträge: Human Resource Management – Investor Metrics |
Wie entsteht eine neue Norm beim DIN?
Jeder, der eine Idee oder einen Wunsch für eine Normung hat, kann formlos einen Antrag stellen. Der wird beim DIN an den fachlich zuständigen Normungsausschuss weitergeleitet. Es gibt Dutzende solcher Gremien. In jedem sitzen Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Gemeinsam wird entschieden, welcher Antrag akzeptiert wird. Gibt es vielleicht schon eine ganz ähnliche Norm, die nur ein wenig verändert werden müsste? Wer würde von der Norm profitieren? Ist der Bedarf überhaupt groß genug? Wird durch die neue Norm irgendetwas sicherer oder irgendjemand besser geschützt? Sind solche Fragen geklärt und ist der Antrag angenommen, werden Experten zum Thema in das Normungsgremium berufen. Die sollen sich auf eine Lösung zu dem im Antrag formulierten Problem einigen. Das kann gelingen, mitunter aber auch nicht. Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Es bleibt bei mehreren individuellen Lösungen oder der Gesetzgeber schaltet sich ein und spricht, wenn es beispielsweise um Sicherheits- oder übergeordnete Aspekte wie Umweltschutz geht, ein Machtwort. Sobald eine Norm verabschiedet ist, wird sie im Beuth-Verlag, einer Tochtergesellschaft des DIN, veröffentlicht und kann dort oder im ISO-Shop erworben werden. Wer nicht die Katze im Sack kaufen will, kann online unter www.beuth.de eine kurze Zusammenfassung des Inhalts der Norm lesen oder den gesamten Text in einem von zahlreichen Leseräumen in Deutschland einsehen. Kopieren und Fotografieren ist nicht gestattet. Der Preis variiert von Norm zu Norm. Begründung: Darin steckt Wissen, das den Unternehmen nutzt und für das sie sich das Know-how nicht selbst haben erarbeiten müssen. Hinzuzufügen ist noch, dass sich das DIN im Wesentlichen durch den Verkauf von Normen finanziert. Die Anwendung von Normen ist freiwillig. Die Gerichte allerdings akzeptieren und anerkennen Normen und geben der Orientierung an einer Norm im Zweifel den Vorzug. Trotzdem wird eine DIN alle fünf Jahre neu untersucht und bei Bedarf verändert. |
ISO TC 260 – teilnehmende Staaten
Participating Countries (24) Australia (SA) Austria (ASI) Barbados (BNSI) Belgium (NBN) Canada (SCC) Finland (SFS) France (AFNOR) Germany (DIN) India (BIS) Israel (SII) Italy (UNI) Malaysia (DSM) Netherlands (NEN) Nigeria (SON) Pakistan (PSQCA) Portugal (IPQ) Russian Federation (GOST R) Slovenia (SIST) Spain (AENOR) Sweden (SIS) The Former Yugoslav Republic of Macedonia (ISRM) Turkey (TSE) United Kingdom (BSI) United States (ANSI) | Observing Countries (18) Bhutan (BSB) (Correspondent member) Cyprus (CYS) Czech Republic (UNMZ) Ghana (GSA) Iran, Islamic Republic of (ISIRI) Ireland (NSAI) Japan (JISC) Korea, Republic of (KATS) Lebanon (LIBNOR) Montenegro (ISME) (Correspondent member) New Zealand (SNZ) Poland (PKN) Romania (ASRO) Senegal (ASN) South Africa (SABS) Sri Lanka (SLSI) Switzerland (SNV) Thailand (TISI) |
Insgesamt arbeiten 24 Staaten an der Entwicklung der neuen HR-ISO-Norm, weitere 18 Staaten nehmen einen Beobachterstatus ein. |
Autorin
Christine Demmer, freie Journalistin, Värnamo
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